Grenzen ziehen - ein interkultureller Vergleich am Beispiel der Kassentoblerone

in #deutsch6 years ago (edited)

Im gestern erwähnten Buch "Manipulism and the Weapon of Guilt: Collectivism Exposed" schildert der Däne Mikkel Clair Nissen ein Experiment an der Supermarktkasse, bei dem er bewusst kein Warentrennelement hinter seine eigenen Einkäufe auf dem Rollband an der Kasse legt. Die passiv-aggressiven Reaktionen der Menschen sieht er als Beispiel für  kollektivistischen Gruppenzwang:

Das finde ich interessant, da ich seit einigen Monaten in der Schweiz wohne und bereits bemerkt habe, dass die Deutsch-Schweizer in St. Gallen oder hier bei Zürich (keine Ahnung wie die Romanen das in Genf handhaben) ebenfalls sehr großen Wert auf diese Geste legen. 

Es geht um dieses Ding:

" Wem das Wort "Warentrenner" nicht gefällt, dem bleiben andere Möglichkeiten. An klangvollen Vorschlägen mangelt es nicht: (Waren-)Trennbalken, (Waren-)Trennstab, Trendy, Warenstaffelstab, Kassenbandriegel und Separator. In der Schweiz kennt man außerdem den Ausdruck "Kassentoblerone". Besonders gefällt mir auch "Näkubi", kurz für "Nächster Kunde bitte!" Der mit Abstand charmanteste Vorschlag stammt aus Ostfriesland. Dort sagt man "Miendientje", weil man es zwischen "meins" und "deins" legt."
http://www.spiegel.de/kultur/zwiebelfisch/fragen-an-den-zwiebelfisch-wie-nennt-man-das-ding-an-der-kasse-a-284728.html 

In Deutschland war ich es gewöhnt, dass es der Job desjenigen ist, das Ding hinzulegen, der neu ans Band kommt und nicht der, des Vordermannes (jaja, auch der Vorderfrauen und der Vorderdiversen...). In der Schweiz und in Dänemark ist das nicht so. Anders als in Dänemark reagieren die Schweizer aber eher mit einer freundlichen Verwunderung, wenn der Vordermann das vergisst. Ich finde diese Geste ganz sympathisch und habe sie adaptiert und empfinde das als eine sinnvolle Konvention und nicht als Ausdruck eines schädlichen Gruppenzwangs. Mir ist beim darüber nachdenken sogar eingefallen, dass ich das in Deutschland von mir aus schon öfter gemacht habe, weil ich es einfach als nette Geste empfinde, wenn der Hintermann z.B. mglw. die Trennelemente noch nicht so gut erreichen kann.

Auch als Individualist achte ich spontane* Regeln und Konventionen und möchte mich in ein Kollektiv einfügen. Mich würde interessieren, wo die Leser die Grenze ziehen. Wo ist die Grenze zwischen sinnvollen Regeln und unterdrückendem Kollektivismus?

*spontan nicht im Sinne von "plötzlich aus dem Nichts", sondern aus sich heraus gewachsen, vgl. das Konzept der "spontanen Ordnung".

Sort:  

In Deutschland war ich es gewöhnt, dass es der Job desjenigen ist, das Ding hinzulegen, der neu ans Band kommt und nicht der, des Vordermannes

Ich habe mich lange nicht wirklich darum gekümmert, halt einfach das Ding hingeschmissen oder nicht, wie es gerade kam. Bis sich mal der Vordermann entschuldigte. Das war ein ziemlich komischer Moment lol

Der Folgende? Das ist doch total bescheuert!

Erstens mag ich es nicht, wenn mir jemand über meine Wampe und meinen Einkaufswagen (Single, hab ich eh 99% nicht, aber theoretisch) klettert. Und anders kommt man sonst nicht an die Stangen ran, die liegen ja perfider Weise meist vorne an der Kassen.

Zweitens: Wenn mein Vordermann meine Waren bezahlen möchte, soll er es doch machen - oder eben dafür sorgen, dass dies nicht geschieht. Hier liegt wahrscheinlich der Grund für die Nachkommer-Höflichkeit - aber Effizienzmäßig betrachtet ist diese völliger Schwachsinn.

ich renne mittlerweile immer schon hinter die Kasse, weil mir das Warten schon zu beengt ist. Das ist dann witzig, weil die Kassiererin immer die Person am Laufband anschaut und nicht mich, weil ich schon gefühlt am Ausgang stehe. Leider bisher keiner meinen Einkauf bezahlen :D


(IN leipzig gibt es mittlerweile Menschen, die sich um deine Payback Punkte prügeln :'(

Der Supermarkt ist und bleibt die beste gesellschaftliche Statistik um herauszufinden, wie es um dien Viertel bestellt ist.

Ich bin dafür, sich die Dinger gegenseitig so lange auf den Schädel zu kloppen, bis einer nachgibt und den Trenner auf's Band legt. Die Prügel trifft zu 99,99% immer den Richtigen. Von daher passt es. Individualismus her, Kollektivismus hin.

Bester Vorschlag! Kassentobleroneschlacht! :D

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Wie ernst der Autor seine Darstellung gemeint hat, weiss ich nicht. Grundsätzlich ist die kurze Tat des Hinlegens des Warentrenners sinnvoll. Sie macht kaum Aufwand und der Nachfolger an der Kasse kann direkt mit dem Hinlegen beginnen. Ich mache das genauso. Es ist eigentlich eine zivilisierte Tat, die wohl auch dem Grundvertrauen unter sich sonst fremden Menschen dienlich ist, wenn auch in eher geringem Masse.

Mikkel Clair Nissen will damit eher auf das in der westlichen Zivilisation grassierende Anspruchsdenken hinweisen. Wenn jemand denkt - von mir aus gerne auch unbewusst - er habe einen Anspruch darauf, dass ihm jemand den Warentrenner hinlegt und dann kurz vor dem Wutausbruch steht, weil es nicht dazu gekommen ist, dann halte ich sowohl Anspruchsdenken wie Reaktion für unpassend. Nur weil jemand eine kleine Geste vergisst, die sich wohl eingebürgert hat, aber nicht jedem bekannt sein muss braucht man noch kein Drama herzustellen.

Gerade in grösseren Städten kommt man sich unter wildfremden immer wieder einigermassen nahe, gerade in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Läden, da bin ich lieber etwas zurückhaltend, nehme aber dennoch meinen Raum ein.

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