Klinik, Knoblauch und Haulotte

Es gibt nichts Schöneres, als anderen bei der Arbeit zuzuschauen. „Mist! Ich habe den Knoblauch vergessen!“, meinte Meister Ritz plötzlich und ich wusste, worum es geht. Sie essen frisch Gekochtes zu Mittag und danach schläft jeder in seinem Sessel ein. Die Wolldecken liegen schon im Büro bereit. Das Ritual ist den Meistern heilig. Ab ein Uhr sind beide Werkstatttore zu und das Büro geschlossen. Freilich sind die Türen nicht verschlossen. Geschäft ist Geschäft. Aber du betrittst den Mief eines abgedunkelten Büros mit zwei schnarchenden Kerlen. Über die Hürde musst du drüber, oder du verschwindest schnell und beachtest die Geschäftszeiten.

Um die Uhrzeit stand mein hundertjähriger Klient auf dem Plan. Es winkte eine geschenkte Stunde. Mit Zeit bin ich großzügig. In einem ruhigen Moment meinte ich zu Ritz: „Ich habe Zeit“, woraufhin er eilig und laut Radmuttern mit dem Pressluftschrauber auf die Achsen dengelte. Ich wusste nicht, dass er so schnell arbeiten kann und suchte den Schweiß auf seiner Stirn. Hämmern auf Stahl, Ploppen entweichender Pressluft, das liebe ich, ging aber auf die andere Seite des Wagens, um das Konzert über die Akustik der Halle gedämpfter zu genießen. Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill. Ich blickte instinktiv um das aufgebockte Fahrzeug herum. Da erhaschte ich des Meisters Hinterteil auf dem oberen Absatz der Treppe zum Büro. Schwupps war er wortlos verschwunden und ich in der nächsten Warteschleife.

Macht nichts. Ich hatte Zeit, die Halle der Autoklinik zu inspizieren und das ist immer interessant. Nach Rundgang durch Teile verschiedener Projekte zogen mich die neuen Reifen an. Ich berührte sie. Der Gummi wollte die Hände gar nicht freigeben, so viel Grip war da drin. Ich roch den aromatischen Michelin. Nagelneu! Hohe Vulkanisierkunst schafft sattes Profil. Da bemächtigte sich meiner eben noch verzückten Nase die Knoblauchröstung des Meisters. Sofort ließ ich vom 205-er Allwetter auf Alufelge ab und wandte mich dem nächsten Ausgang zu. Natürlich mag ich Knoblauch, aber nicht in einer Halle mit Schmiere und zwei Hebebühnen. Das ist deplatziert. Zu Knoblauchdunst gehört mindestens eine Küche. Die liegt neben dem Büro und da zog es mich nicht hin.

Zufällig war an dem Tag ein Welttag. Der gegen Femizid und Gewalt gegen Frauen. Solche Tage sind ja immer für was. Aber der war dagegen. Das Thema lief im DLF hoch und runter. Nachrichten behandeln ihn pflichtgemäß halbstündlich achtundvierzig Mal in Folge und anschließende Reportagen geizten ebenfalls nicht damit. Der ganze Tag war dem Thema gewidmet. Es wurde aus allen Richtungen darüber berichtet und in jeder Ecke analysiert. Schon am Vortag kamen Experten, Betroffene, Journalisten wie andere Entsetzte zu Wort, weil morgen Welttag war. Moslems kamen in Afghanistan, Iran und Sudan vor, wurden teilweise anonym interviewt. Ich selbst war wohl schon extrem in der Materie drin, freilich ohne es zu wissen.

So wahr ich hier schreibe: Das Universum fing meinen Fokus mit Haulotte ein. Hau Lotte?, stutzte ich. Darauf zugehend, begann das Wort infolge des Pressluftschraubers in meinem Kopf hin und her zu dengeln. Hau Lotte. Hau, Lotte! Warum Lotte? Meine Schwiegermutter hieß Lieselotte. Ich versuchte es sogar rückwärts. Ettolauh klang französisch. Etto lauh. Doch englisch? Nein, da fehlt das GT. Rückwärts irgend was schön Französisches, Aulott, aber deutsch Hau Lotte! Das Ding musste dringend inspiziert werden. Nicht nur sein frauenfeindlicher Name, auch die satte Farbe des Geräts zog mich magisch an.