RE: Glücklich sein / Wer bin ich?
lieber @julianmorf, vielen dank für deinen artikel. in einem gespräch vor einiger zeit sagte mir mein gegenüber zum thema glücklich sein, das wäre doch recht hoch gegriffen. glücklich sein könne man nur für den moment. es wäre schon viel (und genug), wenn man nur zufrieden ist. das hat mir zu denken gegeben.
weltschmerz ist kein neuzeitliches phänomen. es hat ihn zu allen zeiten gegeben. jeder ist darin gefordert, damit umzugehen, abhängig von der eigenen empfindsamkeit, empathie vielleicht und feinsinnigkeit gegenüber der umwelt und sich selbst. auch der gerechtigskeitssinn ist äußerst unterschiedlich ausgeprägt. es ist eine frage der gottgegebenen eigenschaften und der erziehung, wie man auf seine umwelt reagiert. mein großvater z.b. brachte für seine fünf kinder manchmal schokolade mit nach hause, brach sie in stücke und gab jedem eines. einem aber gab er zwei, weil, wie er sagte, die welt nicht gerecht ist.
ich halte es für das klügste, die realität zu leben und keine utopie. schon kaum zu ertragen ist die flucht so vieler menschen in ihr schneckenhaus. aber das ist teil ihrer überlebensstrategie. jeder öffnet sich der welt soweit, wie er glaubt, sie erfassen und handhaben zu können, ohne überfordert zu sein. mein horizont ist aus meiner perspektive nicht weiter von mir entfernt, als der aus der perspektive meines gegenüber. verstehst du dich als universum, verstehe ich mich als ein teil davon. die größe dessen ist für jeden von uns nicht zu unterscheiden.
prinzipien haben verschiedene wege der entstehung. es gibt gute wege, organische und weniger gute, erzwungene. ein prinzip ist schon, ich lehne dieses oder jenes kategorisch ab. wenn aber diese ablehnung aus keiner eigenen erfahrung resultiert, wird sie zum gefängnis. auch dazu ein beispiel. ein jugendfreund, er war damals etwa 20 jahre alt, versuchte sie umzubringen. er wurde gefunden und reanimiert. später, als er sich erholt hatte soweit, fragten wir ihn nach dem warum. und er erklärte, das er nicht der sei, der er vorgab zu sein. vor aller welt wollte er nie so oder so sein, würde nie dies oder jenes tun, hatte klare ansichten über viele themen - aber er spürte, das vieles sich änderte mit der zeit. vor seinem suizidversuch war er vehement in allem, kämpferisch und überzeugt. er wagte es nicht, vor seinen freunden zu gestehen, das er einiges nun anders sieht. ein krisengefühl erwuchs daraus von solcher dimension, das er am ende keinen anderen ausweg gewusst hat.
das führt zum thema fügen. man muss sich zunächst sich selber fügen. seinen frieden mit sich machen, mit eigenschaften, die man nicht mag, mit seinem körper, der vielleicht nicht so ist, wie man es gerne hätte, usw. ich finde es nicht richtig, nicht auch zu versuchen, seinen frieden mit der welt zu machen, in der man lebt! und das sollte nicht bedeuten, das man sich selbst dabei aufgibt.
Hallo @pawos! Vielen dank für deinen inhaltreichen Kommentar, welcher mir viel bedeutet.
Ich bin auch der Meinung, dass das Glück in Form von einer positiven Verstimmung immer aus dem Moment kommt und nur dann, wenn man ihn bewusst wahrnimmt. Wenn das Glücklichsein der Grundzustand des eigenen Lebens ist, handelt es sich meiner Meinung nach um das selbe wie Zufriedenheit: Der Zustand vollkommen im Reinen mit der gegenwertigen Lebenssituation zu sein. Kein Drang zu verspühren, etwas zu ändern. Hingabe.
Zum Weltschmerz: Mitleiden, wenn man nichts ändern kann, bringt niemanden was. Doch wenn ich auf die Probleme dieser Zeit schaue, sehe ich die Ignoranz (fehlende Empathie) des Grossteils der Weltgemeinschaft als Hauptursache. Sich zu fügen (z.B. indem dass man sich eingesteht, dass die Welt nunmal ungerecht ist), um den Weltschmerz zu vergessen, finde ich keine gute Lösung. Eine bessere wäre alternative, weniger Leid-verursachende Gemeinschaftsformen zu erforschen. Und genau das ist es, was ich mit "Utopien leben" gemeint habe. Du schreibst, dass du es für das klügste hälst, in der Realität zu leben. Was ist denn die Realität? Wenn für die Realität Ausbeutung und Zerstörung Voraussetzungen sind, nein, dann möchte ich nicht in der Realität leben.
Die Geschichte von deinem Jugendfreund, so wie ich sie lese, sagt mir, dass die Verzweiflung davon kam, dass er sich nicht mitteilen konnte (womöglich aus Angst verurteilt zu werden). Es ist enorm wichtig niemals einen Schlussstrich zu ziehen und seine Meinung stehts beweglich zu halten - man kann immer "des besseren" belehrt werden.
Fügen muss man sich nur dann, wenn man nicht ändern kann/will.
Vielen Dank für deine Anregungen und die spannende Diskussion!