Ein zukünftiges Modell für Religionsfreiheit und Toleranz aus libertärer Sicht (geschrieben für @jaki01)

in #deutsch7 years ago

Hier ist meine Antwort an dich, lieber @jaki01. Wie versprochen als "Osterei".

Religionsfreiheit



Der Artikel 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lautet:

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Auch die negative Religionsfreiheit, d.h. das Recht, frei von Religion leben zu dürfen ("Schutz vor zwangsweiser Identifikation") wird gemäß geltender Rechtsauslegung hierdurch abgedeckt.

Die Religionsfreiheit wird auch durch übernationale Rechtsnormen gedeckt.
Sie steht aber in Konkurrenz zu anderen Grundrechten, was im Einzelfall einem klärenden Entscheid durch Rechtssprechung bedarf.

Siehe hierzu die folgenden Quellen:

Toleranz



Die Forderung nach gelebter Toleranz (im zwischenmenschlichen Bereich) beruht aus libertäter Sicht auf dem "Nichtagressionsprinzip", was selbstverständlich auch in Bezug auf religiöse Einstellungen anderer Menschen gilt.

Siehe hierzu die folgende Quelle:

Finanzierung von Religionsgemeinschaften aus Steuermitteln in der Bundesrepublik Deutschland



Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zählen hierzu:

  • Bezahlung aller Bischöfe (sowohl katholisch als auch evangelisch)
  • Inkasso der Kirchensteuer
  • Erhalt kirchlicher Bauten
  • Religionsunterricht in den Schulen
  • Direkte Mittelzuwendung an christliche und nichtchristliche religiöse Vereinigungen
  • Bezahlung von Religionsvertretern in den Rundfunkräten
  • Bezuschussung sozialer und karitativer Einrichtungen mit kirchlicher Trägerschaft (Karitas, Diakonie)

Fehlende Toleranz gegnüber Atheisten und Agnostikern



Auch Atheisten und Agnostiker werden also über den Weg der allgemeinen Steuererhebung zur Mitfinanzierung von "implementierten" Religionen gezwungen. Die vom Staat repräsentierte Gesellschaft verstößt daher in kollektiver (und damit geschickt verschleierter) Form in eklatanter Weise gegen das Toleranzgebot gegenüber Ungläubigen.

Meine Forderung



Um den geschilderten Sachverhalt ganz konkret und plastisch zu beschreiben, gebe ich hiermit kund:

Ich möchte nicht zur Finanzierung jeglicher religiöser Aktivitäten gezwungen werden und berufe mich hierbei auf mein Grundrecht auf negative Religionsfreiheit. Ich fordere alle Nutznießer der religiös bedingten staatlichen Zuwendungen auf, dem Toleranzgebot aktiv genüge zu leisten und Schritte zur ihrer Abschaffung unverzüglich in die Wege zu leiten.

Meine Beweggründe



Es geht mir nur untergeordnet um den Pegelstand in meinem Geldbeutel. Die entscheidende Frage ist, wie Deutschland sich im Hinblick auf eine sich immer weiter vollziehende (und wohl nicht mehr zu verhindernde) religiöse Inhomogenisierung entwickeln wird. Der Blick in die Welt und in die Geschichtsbücher zeigt, dass ein Nebeneinander verschiedener Religionen innerhalb staatlicher Gebilde ein wesentlich höheres Gewaltpotenzial birgt. Mein Herzenswunsch ist es , dass es der Gesellschaft gelingt, dieses immanente Risiko zu erkennen und zu managen.

Mein Lösungsvorschlag



Meine Lösung besteht in einer völligen Säkularisierung des Staatswesens. Beispielsweise könnte ein einheitlicher Ethikunterricht, der die bestehenden divergierenden Religionsunterrichte ersetzt, ein Brückenbau für eine gedeihliche gemeinsame Zukunft der Heranwachsenden werden. Ich weiß, dass ich damit viele traditionell eingestellte Menschen vor den Kopf stoße, aber jedes starre Festhalten an der eigenen Position wird die zukünftigen Probleme nicht lösen können.

Wer macht mit?



Pfründe werden bekanntlich nicht freiwillig aufgegeben. Große Änderung in Gesellschaften erwachsen in der Regel nur in Konfliktsituationen, die einen spürbaren Druck auf jeden Einzelnen ausüben. Sollen wir so lange warten? Je mehr Menschen sich für meine Denkrichtung engagieren, desto eher könnten sich positive Lösungen ergeben.

Die von @jaki01 in seinem letzten Artikel herausgegebenen, gutgemeinten Apelle an den Einzelen sehr zu begrüßen. Um aber den bereits laufenden und noch verstärkt kommenden "Clash of Cultures" zu verhindern oder zumindest friedlich zu gestalten, brauchen wir im großen Bild neue tragfähige gesellschaftliche Modelle.

In diesem Sinne

Frohe Ostern und Peace!

Sort:  

Dem kann ich zu großen Teilen nur zustimmen.

  • Ich bin für Religionsfreiheit (worunter selbstverständlich auch die Freiheit, religionslos zu sein, fällt).

  • Religion sehe ich als reine Privatsache, wobei der Staat religiöse Glaubensgemeinschaften weder finanziell zu unterstützen, noch Aufgaben wie z. B. das Einziehen von Mitgliedsbeiträgen zu übernehmen hat.

  • Grundlage juristischer Entscheidungen und der Regelung des öffentlichen Lebens sollte eine rein säkulare, durch Religion unbeeinflusste Gesetzgebung sein.

Ich füge noch einen, bereits an anderer Stelle geäußerten Gedankengang hinzu, weil er meiner Meinung gut in den Kontext passt: Ich hielte es für überdenkenswert, anstelle christlicher Feiertage jedem Bürger ein entsprechendes Kontingent frei verfügbarer zusätzlicher freier Tage zu gewähren, die er nach eigenem Ermessen übers Jahr verteilen könnte. Ein gläubiger Christ könnte sie ja weiterhin auf Weihnachten, Ostern etc. legen, ein Muslim nähme zu seinen Festen frei, während Atheisten und Agnostiker möglicherweise einfach einen zusätzlichen schönen Urlaub genießen würden ...

Aus der Schule bin ich ja nun lange raus, erinnere aber noch gut, daß ich den Religionsunterricht gar nicht als den kritischen Teil bei der Ausbildung einer eigenen Weltanschauung empfunden habe. Schon damals waren für mich Fächer wie Geschichte oder Deutsch anstrengender, wenn bei der Themen- oder Literaturauswahl die Ausgewogenheit zu kurz kam und permanent eine unterschwellige Nachricht transportiert wurde.
Stichwort: "Die deutsche Geschichte von 1933-45" reloaded I bis VII, bis die Ohren qualmten.

Ich kann mir vorstellen, daß das heute schon ab Kindergarten aufwärts eine deutlich stärkere Durchdringung in allen Bereichen bekommen hat.

Meine Lösung besteht in einer völligen Säkularisierung des Staatswesens.

100% Zustimmung.
Allein, mir fehlt jegliche Idee, wie das im aktuellen System noch umsetzbar sein soll. Da müssen erstmal wieder 3 Generationen entgendert werden und eine klare, unvoreingenommene Birne kriegen.

Vielleicht ist eine gute Ergänzung zu Deinem oben zitierten Paradigma

Eine völligen Entideologisierung des Staatswesens.

Vor der Umsetzung kommt die politische Forderung. Diese habe ich - nicht nur an dieser Stelle - laut vernehmbar getätigt. Es müssten nur noch ein paar Leute mitmachen.

Ich stimme Dir zu 100% zu, leider wird die Säkularisation des Staatswesen auch nichts mehr bringen (siehe Frankreich). Wie Nassim Taleb in seinem letzten Buch (Skin in the Game) aufgezeigt hat, setzt sich immer die Minderheit durch, die am intolerantesten ist. Wir alle wissen wer das ist und das Beispiel Frankreich zeigt wohin wir uns bewegen werden. Traurig nur, dass dieser Weg exakt von denen geebnet wird, die sich in den 60ern für mehr Freiheit eingesetzt haben. Aber auch unter denen hat sich leider die intoleranteste Gruppe durchgesetzt.

Das Beispiel Frankreich gibt natürlich zu denken. Michel Houellebecq hat meines Wissens sogar als letztmöglichen Notausgang für den Katholizismus als Staatsreligion plädiert. Jeder einzelne Artikel, der die Probleme aufzeigt, ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber wenn nur einer meiner Leser anfängt nachzudenken, war die Arbeit nicht sinnlos. Auch in den Diskussionen im Kommentarbereich entstehen zuweilen neue Ideen. Versuchen wir also unser Bestes! Du bist ja auch nicht wegen der drei steem fünfzig hier, die ein Artikel abwirft, oder?

Nein, wegen dem Geld bin ich nicht hier.
Ich schreibe, damit ich mir nicht irgendwann vorwerfen lassen muss, ich hätte nichts versucht, obwohl ich es besser wusste. Ich mache mir aber auch keine Illusionen, dass ich irgend etwas erreiche.

Da sind wir mal wieder einer Meinung.

Naja, immerhin hat Dein Artikel schon deutlich mehr abgeworfen, als drei steem fünfzig.
: )
Und das ist auch gut so. Wenn man sich schon die Arbeit macht, die Menschen aufzuklären, soll auch etwas dabei rausspringen.

Nicht so pessimistisch.. :)

Ich sehe das genauso wie du! Ich möchte nicht dazu gezwungen werden mit meinem Geld Aktivitäten zu unterstützen, die ich moralisch garnicht vertrete... Das die Politik das vorschreibt find ich persönlich nicht angemessen...
Wie können wir doch mit immer wieder gleichen Politikern neue gesellschaftliche Modelle einführen ?

Liebe Grüße und viel Spaß beim Ostereier suchen ;)

Vielen Dank für deinen zustimmenden Kommentar! Bist du noch in Kanada?

Hier kann ich dir nur zustimmen. Lassen wir alle Religionen komplett aus dem Staatsgebilde raus. Es reicht wenn wir jedem die Ausübung jedwediger Religion erlauben, solange er damit nicht in die Rechte anderer Menschen eingreift, insbesondere die Freiheitsrechte. Beschränken wir die Ausübungen aller Religionen auf den privaten Bereich und sorgen auch dafür das es so bleibt.
Dein Beispiel von negativer Religionsfreiheit finde ich deshalb sehr passend.

Noch eine Beobachtung zum Ethikunterricht:
Ich stelle immer mehr fest, dass Schüler die nicht katholisch sind (sogar Moslems), freiwillig in den katholischen Religionsunterricht gehen, weil der Ethikunterricht so ein "Gutmenschen-, Gendermainstreaming- und Klimawandelgetue ist".

... weil der Ethikunterricht so ein "Gutmenschen-, Gendermainstreaming- und Klimawandelgetue ist".

Das ist bedenklich. Noch bedenklicher wäre es jedoch, wenn es sich um "Schlechtmenschen-" und "Anti-Klimawandelgetue" handeln würde.

Die Schüler können es einfach nicht mehr hören.
Der Ethikunterricht (und auch kein anderer Unterricht) sollte nicht zu einem Parteitag der Grünen ausarten (und auch zu keinem Parteitag anderer Parteien).
Leider findet das häufig statt.
Die Schüler würden sich für Philosophie, andere Religionen usw. interessieren, leider fehlt es oft an kompetenten Lehrern.
Ich hatte Gott sei Dank in meiner Schulzeit einen nobelpreisverdächtigen Ethiklehrer.

Gibt es an deiner Schule im katholischen Religionsunterricht vielleicht kostenfreie Leberkässemmeln?
Für Mitleser: Das war ein Insider-Witz ...

Wenn dann Hostien.

Sehr interessant. Sehr vielen Dank.

Die Lehrpläne müssten natürlich völlig neu gestaltet werden. Inhalte wären Philosphie, Psychologie, Logik, Kommunikation, Teamarbeit, aber auch eine distanzierte Durchsprache der Religionen.

Der ist tatsächlich gut!
Sollte nur schon früher stattfinden und nich erst in der 10.-12. Klasse.
Aber super Ansatz. Kann ich gar nicht glauben. 😃

Gibts auch schon für niedrigere Klassen, z.B. am Gymnasium:
https://www.isb.bayern.de/gymnasium/faecher/religion-ethik/ethik/lehrplan/

Das find ich echt nicht schlecht. Für Bayern allemal! 😉

Ich finde den Ansatz den Religionsunterricht durch einen allgemeinen Ethikunterricht zu ersetzen nicht optimal. Vor dem Hintergrund das du eine vollständige Säkularisierung erreichen willst macht das natürlich Sinn. Ich glaube jedoch, dass es durchdachter wäre, wenn der Staat ein Förderprogramm für alle in Deutschland existierenden Religionen anbieten würde. Dieses Förderprogramm ist dann aber an strenge Bedingungen geknüpft, wie z.B. Anerkennung der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder der Gleichgeschlechtlichen Ehe. Verstößt eine Religion gegen diese Bedingungen, würde sie dann aus dem Förderprogramm fliegen. Ich bin auch dafür, das es einen Islam Unterricht an den Schulen gibt, weil man genau da, den Kindern eine progressive und kritische Sicht auf ihre Religion mit auf den Weg geben könnte.

Nein, ich will ja gerade, dass der Staat sich heraushält und nicht noch mehr Geld in der Religionsschublade verklappt.

Es fällt mir schwer zu glauben, daß noch mehr Förderung mit noch mehr Regeln und (natürlich erforderlichen) Kontrollen einen freien Geist und eine freie Gesellschaft fördert.
Ist dann Scientology eine förderungswürdige Religion? Fällt ein Druide darunter? Wer entscheidet das?

Ich muß sagen, daß auch meine zweite Reaktion auf diesen Ansatz eher verhalten ist...

Also ich meinte natürlich nur als Religion, die auch wirklich als Religion eingestuft sind. Scientology gilt in Deutschland ja nicht als Religionsgemeinschaft.

Der Kern meiner Anmerkung liegt im ersten Satz, "Scientology" ist dann nur ein beliebiger Platzhalter.
Schon die erforderliche Einstufung als Religionsgemeinschaft, oder eben nicht, ist aus meiner Sicht zuviel staatliches Einmischen.

Ich bin einfach unverbesserlicher Freigeist. :)

So etwas kann sich ja aber ändern.

Ich ergänze meine Anmerkung hier noch:

Deutschland: Das Finanzgericht Köln (Az 2 K 6627/96) entschied am 24. Oktober 2002, dass zwei amerikanische Scientology-Körperschaften (SMI und IHELP) von der Steuer in Deutschland befreit. Diese Entscheidung fußt auf dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den USA und Deutschland und der Tatsache, dass die Scientology-Kirche in den USA als gemeinnützige religiöse Organisationen anerkannt sind. Ebenso erließ das Bundesamt für Finanzen in Bonn im Februar 2003 Freistellungsbescheide an die Scientology-Kirche International (CSI).

Quelle: Länderliste: Scientology-Kirche als Religion weltweit anerkannt – Gerichtsurteile, Expertisen und amtliche Entscheidungen

Die Qualität dieser Quelle kann ich aus dem Stand nicht bewerten.

Au ja, Freya, Odin, Thor, Jupiter, Hera, und Dyonysos ....

Absolut deiner Meinung was den Religionsunterricht angeht in Richtung Ethik.

Wenn ich an den "Tractatus logico-philosophicus" denke, dann frage ich mich, was diese Ethik denn sein soll. Wer bestimmt was ethisch ist oder sein wird? Ich halte also einen solchen Unterricht, weil zu klein/unbedeutend und die Gefahr der Manipulation birgt nicht für ratsam. - Ich fände ein Schulfach wie "kritisches denken" für angebracht.

Beste Grüße und frohe Ostern.

Gute Gedanken. Upvote und resteem.

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