Rezension: Die Putin-Interviews: Oliver Stone interviewt Wladimir Putin
Der Russe ist immer der Böse. Das wussten schon unsere Großeltern und Urgroßeltern, die zwei Weltkriege lang Angst vor dem Iwan haben mussten; das weiß auch noch jeder, der zur Zeit des realen Sozialismus lebte und unter dem doppelten Damoklesschwert von kommunistischer Bedrohung und Atomkrieg aufwuchs. Nach dem Ende der Sowjetunion setzte der Westen kurze Zeit seine Hoffnung in das flächenmäßig größte Land der Erde, doch das änderte sich bald wieder. Kein Wunder, war doch als Ablöse des Alkoholikers Boris Jelzin ein Politiker auf den Plan getreten, der die habgierigen Oligarchen und räuberischen multinationalen Konzerne des Landes verwies oder sie ihrer Macht beraubte.
Seither haben wir wieder einen Popanz, vor dem uns die gleichgeschalteten Medien tagtäglich warnen: Wladimir Putin, seit 2000 Präsident oder Ministerpräsident der Russischen Föderation. Grünpolitiker, politisch korrekte Streber, US-Demokraten – praktisch jeder darf den Mann ungestraft und ziemlich blöd als „Despoten“ oder „Diktator“ bezeichnen, der das Völkerrecht bricht. Angeblich hat er ja sogar klammheimlich die amerikanischen Wahlen beeinflusst und dafür gesorgt, dass Donald Trump Präsident wird.
Einer, der sich immer schon sehr gut von derartigen Narrativen abzugrenzen verstand, ist der amerikanische Regisseur Oliver Stone, der mit seinen Antikriegsfilmen („Platoon“, „Geboren am 4. Juli“ und „Zwischen Himmel und Hölle“) und anderen Werken wie „Wall Street“ zeigte, dass er mit US-Politik und -Wirtschaft ganz und gar nicht einverstanden ist. Andere Spielfilme („JFK – Tatort Dallas“) und Dokus („Comandante“ über Fidel Castro und „Oliver Stone – Die Geschichte Amerikas“) trugen ihm dann bei den Systemmedien den Ruf eines unverbesserlichen Linken und Verschwörungstheoretikers ein. Ein solcher Mann hat nichts mehr zu verlieren. Aus diesem Grund legte er 2017 noch ein Schäufelchen nach und produzierte den TV-Vierteiler „Die Putin-Interviews“, für den er sich im Lauf von drei Jahren mehrmals mit dem allseits verteufelten russischen Präsidenten traf. Im gleichnamigen Buch, das jetzt in deutscher Sprache bei Kopp erschienen ist, finden sich die vollständigen Abschriften dieser Interviews.
Der erste und stärkste Eindruck, den man als Leser gewinnt: Wladimir Putin ist ein interessanter, charmanter und durchaus witziger Gesprächspartner, der einen ehrlichen Eindruck erweckt. Das beginnt schon damit, dass er – nach einem inhaltlichen Abstecher in seine persönliche Geschichte und politische Karriere – die lächerlichen Propaganda-Argumente westlicher Politiker und ihrer Presstituierten so perfekt zerpflücken kann. Ohne Polemik und ohne das Geifern, das man von „unseren“ Abgeordneten, Kommentatoren und sonstigen Talking Heads gewöhnt ist, präsentiert er Fakten – über den von den USA und der EU organisierten Staatsstreich in der Ukraine und den anschließenden Pro-Russland-Volksentscheid der Krim-Bewohner; über Afghanistan und den Irak-Krieg; über die Fortsetzung des Kalten Kriegs, die Oligarchen und die Souveränität seines Landes. Er betont immer wieder, dass Russland (für das er anscheinend nur das Beste anstrebt) nach dem Abdanken des Kommunismus Teil der internationalen Gemeinschaft sein wollte, die aber nach wie vor ein Feindbild brauche – weshalb „unsere amerikanischen Freunde“ (wie er immer wieder sagt und auch seinem Interviewer damit ein Schmunzeln entlockt) alle Vorstöße in diese Richtung abblocken und stattdessen lieber waffen- wie propagandatechnisch aufrüsten würden.
Man muss (und darf) natürlich nicht alles glauben, was Putin hier äußert. Aber es tut gut, ohne Zensur und Meinungsterror lesen zu dürfen, was ein „Feindbild“ wie er zu sagen hat.
Oliver Stone
Kopp Verlag
368 Seiten
ISBN: 978-3-864455-98-8
€ 19,99
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