Gründen im Spätsommer des Lebens
Ein Silver Surfer macht BioTech – Gründen im Spätsommer des Lebens
Vor kurzem hat uns eine interessante Pressemitteilung erreicht. Tagtäglich bekommen wir zahlreiche Einsendungen zu Neugründungen, neuen Investments oder anderen Anliegen. Aber ein Bio-Tech Startup, welches von einem 63-jährigen gegründet wurde, ist dann doch eher eine Seltenheit.
Denn sind wir doch mal ehrlich: Normalerweise kommen die Gründer gerade von der Uni, sind zwischen 20-30. Studieren Wirtschaft oder haben an der WHU studiert. Sie gründen. Werden gefeiert. Bekommen viele Fördergelder. Sammeln utopische Summen von Investoren ein und zu 90% zerbricht der Hockeyschläger- Businessplan dann in tausend Scherben.
Aus diesem Grunde, haben wir uns die Meldung mal genauer angeschaut:
Nach 35 Jahren als hochrangiger Manager bei Schering tat Professor Dr. Wolfgang Kehr beschließt er ein Startup zu gründen um so vielen Patienten wie möglich zu helfen. Der mittlerweile 74jährige ehemalige Mitarbeiter eines Medizin-Nobelpreisträgers stellt im Vier-Mann-Team in Berlin und Potsdam ein weltweit einzigartiges, patentiertes Wirkstoff-Pflaster zum Aufsprühen her, das auch Parkinson und Alzheimer neue Therapieansätze verspricht. Jüngst konnte sein junges Unternehmen epinamics eine weitreichende Kooperation mit einem brasilianischen Pharma-Unternehmen schließen.
Kehrs Berliner Vier-Mann-Unternehmen mit Laboren auf dem BioTech-Campus in Potsdam-Hermannswerder entwickelt ein weltweit einzigartiges Wirkstoffpflaster zum Aufsprühen namens Liqui-Patch. Auf der Haut bildet es schnell einen transparenten, flexiblen Film, der sich mit warmem Wasser und Seife abwaschen lässt. Als patentierte Plattform-Technologie ist Liqui-Patch etwa bei Parkinson oder Alzheimer einsetzbar. Die lokal abgegebenen Wirkstoffe gelangen direkt in den Blutkreislauf und erreichen einen Wirkungsgrad, der um bis zum Faktor 5 höher liegt als bei konventionellen Wirkstoffpflastern. Die Haut wird geschont, der Patient kann sich bequem bewegen.
Been there, done that
Als Pharma-Manager kann man nicht viel mehr erreichen als Professor Dr. Kehr. 35 Jahre verbrachte der gebürtige Göttinger, der seit 1970 in Berlin lebt, in der pharmazeutischen Industrie. Anfang der 70er Jahre forschte er in Göteborg an der Seite von Arvid Carlsson, der für seine Untersuchung der Wirkung von Dopamin als Neurotransmitter und bei Parkinson im Jahr 1999 den Medizin-Nobelpreis erhalten hat. Danach übernahm Kehr für fünfeinhalb Jahre die globale Forschung bei Schering, später die strategische Geschäftseinheit Onkologie und Dermatologie. Als Vice President im Bereich Business Development und als Leiter des Therapeutika-Geschäfts wirkte er zwischen 1996 und 2003 bei der Schering-Tochter Berlex Laboratories in den USA. Ein Mann mit viel Erfahrung und internationalen Kontakten.
2005 wurde Scherings Dermatologie-Tochter Intendis – 600 Mitarbeiter in 13 Ländern – ausgegründet und von Kehr geführt. Es lief sehr gut, im Jahr darauf jedoch übernahm die Bayer AG Schering und verlagerte den Fokus. Die Ausgründung von Intendis war quasi die Generalprobe für epinamics und hielt eine wertvolle Lektion bereit. “Man muss sich auf ein Feld beschränken, wenn man wachsen will. Und wenn man nachhaltig wachsen will, muss man Forschung und Entwicklung stärken”, so Kehr.
Aus dem Leben eines Startuppers – jeder macht alles
Kehr entschloss sich, auf eigene Faust durchzustarten. Das von Intendis im Jahr 2005 eingereichte Patent für die dermale und transdermale Verabreichung von Wirkstoffen erwarb er von Bayer 2009 gemeinsam mit dem Toxikologen und Neuropharmakologen Hans-Michael Thiede, der ebenfalls bereits 1970 bei Schering begann. Somit war die ursprünglich von Patrick Franke 2006 gegründete Firma epinamics – ein Kofferwort aus “Epidermis” und “Dynamics” – startklar.
Heute widmen sie sich zu viert und verstärkt durch eine Erasmus-Studentin neben der chemisch-pharmazeutischen und klinischen Entwicklung auch Bereichen, für die ihnen zuvor ganze Abteilungen zur Verfügung standen: Patentwesen, regulatorische Planung und Aufbau von Lizenz-Partnerschaften. Unverzagt stehen Kehr und seine Mitstreiter Tag für Tag im Labor. “Es geht darum, diese neuartige Technologie so vielen Patienten wie möglich zugänglich zu machen. Ich bin Mediziner, das ist mein Job”, so Kehr. Bei allem jugendlichen Drive, den sich die Gründer bewahrt haben, machen sie sich bereits über eine Unternehmensnachfolge Gedanken. Ewig arbeiten will niemand, der Enkelkinder hat.
Vereinbarung mit brasilianischem Arzneimittelhersteller
Und die Arbeit zahlt sich aus. Jüngst hat epinamics eine Partnerschaft mit dem brasilianischen Arzneimittelhersteller Libbs Farmaceutica (https://www.libbs.com.br/en/) – 2.500 Mitarbeiter, ein Portfolio von 90 Marken – geschlossen, der Liqui-Patch zur Behandlung von Alzheimer zunächst in Brasilien und anschließend im gesamten südamerikanischen Raum einführen möchte. Der weltweite Umsatz mit dem Alzheimer-Wirkstoff Rivastigmin beträgt ca. 1 Mrd. € im Jahr.
Auch bei der Finanzierung mit der Zeit gehen
Trotz Patenten und weltweitem Potential hätten es Digital-Startups vermutlich leichter, Wagniskapital zu bekommen als epinamics. Medizin-Produkte sind komplex, institutionelle Investoren halten sich seit der Finanzkrise bei Health Tech und Life Science zurück. Prof. Kehr, der mit seinen Mitgründern aus eigenen Mitteln bereits über eine Million Euro in epinamics investiert hat, ficht das nicht an. Er denkt so modern wie jeder Gründer mit Kapitalbedarf und bietet Anlegern an, über die Crowdinvesting-Plattform aescuvest direkt in epinamics zu investieren. Nebenbei wird seine Firma bekannter. Mit dem Kapital sollen zwei klinische Studien finanziert werden, die dem Markteintritt eines transdermalen Parkinsonprodukts sowie eines transdermalen Sprühpflasters zur Behandlung der Alzheimer-Demenz vorausgehen sollen.
Wir vom Gründerfreunde- Team finden diesen Unternehmergeist top und drücken Epinamics die Daumen für die Zukunft!