Statt einer Buchvorstellung

in Deutsch Unplugged9 days ago (edited)

Prometheus ohne Reue

„Hast du eigentlich schon ‚Die Reue des Prometheus‘ gelesen?“, fragte ich Vivienne, und sie nickte, ohne aufzublicken. „Mir scheint aber“, fuhr ich fort, „dass Prometheus gar nichts bereut, ganz im Gegenteil. Für ihn lief doch bis heute alles nach Plan.“ Nun schaute Vivienne doch auf und machte ihr „Was du nicht sagst!“-Gesicht: leicht gehobene Augenbrauen, eine Andeutung von Stirnrunzeln und ein kleiner spöttischer Zug um die Mundwinkel.

„Klar!“, redete ich eifrig weiter. „Der war doch als Titan kein Freund von Zeus, und er wusste genau, dass er mit der Übergabe des Feuers an die Menschheit den Untergang der Olympier heraufbeschwören würde. Schließlich war Prometheus ja der ‚Vorherbedenker‘!“

In Viviennes Gesichtszüge mischte sich jetzt Mitleid ein, schien mir. Offenbar überlegte sie noch, ob sie mir antworten sollte, und währenddessen wurde ihr Gesicht immer mitleidiger, eindeutig. Dann fragte sie endlich: „Hast du dich mal ein bisschen eingelesen über Prometheus, über den Mythos, über dessen Varianten, über seine Auslegungen? - Nein, das hast du nicht, das sehe ich schon.“

Recht hatte sie. Ich war erst noch bei meinen eigenen bescheidenen Kenntnissen geblieben und hatte von dort weiter gesponnen. Im übrigen hatte das Buch unter dem Reue-Titel nicht so arg viel mit Prometheus und seinem Mythos zu tun, sondern mit Feuer, mit der Beherrschung und Nutzung des Feuers durch den jungen Natur-Emporkömmling namens Menschheit. Es geht dem Autor vornehmlich um die Korrelation zwischen Wohlstand und Energie und um die dadurch sozusagen verdoppelte Ausbeutung der Ressourcen: In Folge der Überwindung von Knappheit vermehrte sich die Gattung des homo sapiens exponentiell, die Bedarfe an Nahrung und Energie wuchsen entsprechend mit, die Abscheidungen dieses „Stoffwechsels mit der übrigen Natur“ (eine Formulierung von Marx) häuften sich und belasteten immer mehr Gewässer und Atmosphäre, schon in Antike und Mittelalter.

Der Autor des Büchleins, Peter Sloterdijk, Jahrgang 1947, gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten deutschsprachigen Denker der Gegenwart, und durch seinen (meiner Wahrnehmung nach) großen Output, dabei stets kreativ und denk-anstößig, sprach-mächtig und heiter, scheint mir das durchaus passend und zutreffend zu sein. Die Heiterkeit gewann er nach eigener Darstellung in einem indischen Aschram:

„Nach Poona [1978-1980] war ich psychisch nicht mehr unter meiner deutschen Adresse erreichbar. Es begann etwas, was ich einmal die Osterweiterung der Vernunft genannt habe. Mit diesem Impuls kam eine tiefe Aufheiterung in mein Dasein. Ich war plötzlich befreit von dem psychosozialen Tiefdruckgebiet, das über meinem Leben und dem meiner Generation gehangen hatte.“
(Peter Sloterdijk)
Quelle: Interview im Magazin der Süddeutschen Zeitung [2014], zitiert nach Wikipedia

Das alles ist Vivienne natürlich genauso gut bekannt wie mir, falls nicht sogar besser und Detail-reicher. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sie alles längst gelesen und memoriert hat. Daher brauchte ich ihr damit jetzt gar nicht zu kommen, das war mir klar, und folglich antwortete ich frech: „Natürlich nicht.“ (Das war nicht ganz richtig, aber egal.) „Ich muss ja zuerst ein bisschen selbst mit Gedanken herum spinnen, bevor ich mich den Gedankengängen anderer aussetze, oder!“

Sloterdijk bringt in seinem Büchlein eine Art kurzgefasste Geschichte der Ökologie der Arbeit, geleitet durch die Metapher von Marx, das seien jene Tätigkeiten, die den Stoffwechsel zwischen Menschheit und der übrigen Natur betreffen. Marx weiter (zitiert bei Sloterdijk): „[Die Menschheit] tritt selbst dem Naturstoff als eine Naturmacht gegenüber.“ Die Menschheit als Naturmacht? Ich wage es, darin im Kern die ganze Hybris zu finden, welche den Planet Erde verwüsten könnte. Nein, das wäre selbst schon wieder überheblich, so weit reicht der Einfluss der Menschheit doch wieder nicht.

Immerhin kann die Menschheit das eigene Auslöschen wesentlich beschleunigen, wie es scheint, und zwar nicht mehr nur durch die weiterhin drohende Atomkraft in kriegerischen Sprengköpfen, sondern auch durch den gierigen Hunger auf Energie, vornehmlich aus fossilen Quellen. „Die moderne Menschheit ist ein Kollektiv von Brandstiftern, die an die unterirdischen Wälder und Moore Feuer legen.“ (Sloterdijk, S. 23) Von der strahlenden Asche der atomaren Feuerchen wird allerdings weniger geredet.

Wie dieser Satz wohl angekommen ist beim Vortrag im Oktober 2022, auf dem das Büchlein laut Nachwort gründet? Die Schirmherrschaft der damaligen Veranstaltung hatte neben dem Schweizerischen Bundesamt für Umwelt und Energie auch noch deren Organisation ‚EnergieSchweiz‘, und die zitierte Positionierung gegen fossile Brennstoffe dürfte den Patronen der Veranstaltung gefallen haben. Entgangen ist ihnen möglicherweise die Totale, die Sloterdijk in den Blickwinkel fasst, nämlich die gesamte Menschheit, aus der sich auszuklinken kaum machbar ist, es sei denn als einzelner Einsiedler. Bloß weil ich Windrädchen und dergleichen propagiere, bin ich ja noch lange nicht aus dem Brandstifter-Kollektiv heraus, außer wenn ich meinen Wohlstand mit in Frage stellen will.

Denn selbst das moderne Energie-autarke Haus wird teilweise mit solchen Stoffen errichtet, die alles andere sind als Ressourcen-schonend im Sinne forstwirtschaftlicher Nachhaltigkeit. In dieser geht es nämlich darum, immer so viel nachzupflanzen, wie entnommen wird, doch bei welchem Rohstoff außer Holz und dessen pflanzlichen Verwandten (Mais zum Beispiel) ist das möglich? Und das Wort „Dunkelflaute“ war 2022 noch exotisch, die so genannten alternativen Energiequellen schienen jeder Propaganda würdig.

Ich wollte das gerade mit Vivienne erörtern, als sie einen Anruf bekam, so dass ich dann lieber weiterlesen wollte in Sloterdijks Büchlein, statt ihrem Telefonat zuzuhören. Aber Vivienne sprach so laut, dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren konnte. Es schien in dem Gespräch über Außerirdische zu gehen, also nicht über bestimmte Außerirdische, sondern über die Möglichkeit und die Bedingungen, unter denen sie Kontakt zur Erde aufnehmen könnten, über die Gefahren, von ihnen ausgebeutet zu werden und so weiter. Offenbar ist es sehr schwierig, sich Außerirdische wirklich anders vorzustellen als Irdische…

Von welchem Provider beziehen Außerirdische ihre Energie? Wie groß ist ihr Bedarf daran, welche Probleme haben sie damit? Stellen auch sie sich vor, eine Naturmacht gegenüber den Naturstoffen zu sein? Wo entsorgen sie den energetischen Abfall? Oder haben sie den alchemistischen Stein der Weisen entdeckt und bringen ihren Stoffwechsel mit dem Rest des Universums in einen ausbalancierten Kreislauf?

Bei diesen Fragen hatte ich gar nicht bemerkt, dass Viviennes Telefongespräch längst zum Ende gekommen war.

https://steemit.com/hive-107855/@weisser-rabe/prometheus-the-humans-and-the-fire-prometheus-die-menschen-und-das-feuer

https://steemit.com/hive-146118/@weisser-rabe/buchempfehlung-ein-sloterdijk-book-recommendation-a-sloterdijk

image.png

https://www.suhrkamp.de/buch/peter-sloterdijk-die-reue-des-prometheus-t-9783518029855

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 8 days ago 


Wenn die Witwe Schlotterbeck aus ihrer Kristallkugel liest dann heis´t das noch lange nichts , hihi .

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