Mittelalter im Amerika

Mexiko ist eines, oder wenn nicht sogar das schönste Land, welches ich je bestaunen durfte.

Auf dem Weg vom trockenen und bergigen Norden, hinunter in den flachen tropischen Süden führt es seinen Liebhabern im Zentrum des Landes eine mitteleuropäische Schönheit vor Augen. Die reichen Wälder verwandeln sich besonders im Spätsommer zwischen August und November zur Brutstätte von unzähligen Monarchfaltern. Bis heute werden sie von vielen verehrt und als die Seelen Verstorbener betrachtet. Nicht nur die Schmetterlinge sind es, welche das Land in eine Farbenpracht verwandeln, sondern auch die Blumenwiesen.
Da von April bis August Regenzeit ist, stehen die Weiden in dieser Periode wortwörtlich unter Wasser. Von Oktober bis März ist wiederum Trockenzeit. Die Gräser schonen ihre Reserven und für das Auge bleibt lediglich eine westerntypische Prärie.
Der September jedoch bildet das Bindeglied zwischen diesen beiden Extremen und gibt dem Land einen kunterbunten Anstrich. Für mich ist dieser Reichtum an Farbe eines der Markenzeichen von Mexiko.

Was haben die Blumen nun wiederum mit dem Mittelalter zu tun? Nichts. Aber von oben betrachtet erinnern diese vielen bunten Flecken doch an eine Karte, wie ich sie erst vor Kurzem gesehen habe.

Wie wir noch aus dem Geschichtsunterricht wissen, waren die deutschen Fürsten und Kleinkönige eine sehr aktive Gesellschaftsschicht. Sowohl geschäftlich, als auch politisch. Wem das eigene Einkommen nicht reichte, rief dem Nachbarn den Krieg und nahm sich das seine. Oder man erklärte sich einfach direkt zum Besitzer seiner Länderein und gab sich einen Titel der dies representierte und ließ den Nachbarn zu sich kommen.

Hier in Mexiko, genauer Oaxaca (nicht nur) , ist das nicht anders. Auch 1000 Jahre später nicht.

Die Bürgermeister von kleinen Dörfer rufen der Reihe nach ihre Unabhängigkeit von der nächstgrößeren Gemeinde aus und nehmen die Verantwortung selbst in die Hand. (Mittlerweile sind es über 400)
An sich nichts Verwerfliches. Wäre da nicht das Problem, dass viele oder eher die meisten die Verantwortung mit dem Geld verwechseln.

Urlaub in Oaxaca

Vor einem Monat war ich mit meiner Familie der Hauptstadt des Bundesstaates Oaxaca. Die Stadt ist eine der Schönsten die ich kenne. Sie glänzt mit reich geschmückten Straßen, antiken Kolonialbauten, einem herrlichen Ausblick auf das Umland und sicherlich mit einer der höchsten Dichten an Künstlerateliers in ganz Mexiko.
Zudem stellt dieser Staat das kulinarische Herz Mexikos dar. Käse Oaxaca, Mole, Tamales, Tasajo, Tlayudas, Chapulines, Mezcal und Tequila sind nur eine kleine Auswahl der Schätze, die man dort entdecken und genießen kann.

Wir hatten eine Wohnung an einer der meistbefahrenen Straßen der Stadt. Wie das Leben so spielt, herrschte tagsüber jedoch eine Stille wie im Walde.
Keine lauten hupenden Autos, keine stinkenden Abgase, kein schwarzer Ruß in der Luft. Dafür aber ein leichter unangenehm riechender süßlicher Duft nach Bioabfällen.
Als wir auf der Straße nachschauten, bemerkten wir die Müllwagen auf den Kreuzungen am Ende der Straße parken. Wie es schien blockierte die Müllabfuhr die Hauptverkehrsader der Stadt.
Was für uns ein wahrer Glücksfall war, entpuppte sich auf unser Nachfragen als das komplette Gegenteil für die Stadtbewohner. Sie meinten, dass der Bürgermeister mit dem gesammten Lohn des öffentlichen Dienstes untergetaucht sei. Nicht nur dem Lohn von Oktober, sondern allen Geldern des restlichen Jahres 2021.

¡¿Der Fisch stinkt vom Kopfe her?!

Was in Oaxaca geschah, ist keine Seltenheit in Mexiko und es beschränkt sich auch nicht auf die Bürgermeister.
Nein, Korruption ist "die" Krankheit Mexikos. Viele geben der Politik die Schuld, aber ganz mitgehen kann ich bei dieser Aussage nicht.

In Deutschland kenne ich kaum Korruption auf der unteren Ebene. Schwarzarbeit ja, aber Korruption ist eher wie eine umgekehrte Pyramide aufgebaut und potenziert sich nach oben.
Mexiko hingegen malt einen Kreis. Hier besticht der Straßenverkäufer den Polizisten, um seine Tacos zu verkaufen; die Schuldirektorin steckt sich die Schulgelder in die eigene Tasche; der Krankenhausleiter lässt seine Angestellten ihre Schutzkleider kaufen und auch die Patienten müssen die OP-Unterlage selber mitbringen. Wenn kein Geld dafür da ist, reicht auch eine Windel.

In den Nachrichten, wie auf der Straße heißt es stets, die Narcos oder Politiker seien es gewesen. Doch letztendlich ist die Politik doch immer nur ein Spiegel der Gesellschaft.
Und in Mexiko die Narcos. Auftragsmorde bezahlen sich schließlich nicht von selbst.

Wir erklären euch den Krieg!

Die Narcos sind die Kreuzfahrer von und in Mexiko. Sie ziehen von Staat zu Staat, von Dorf zu Dorf, um den wahren Herren dieser Ländereien zu verkünden.
Selbst dort, wo keiner Drogen konsumiert, sind sie präsent.
In Metepec - ebenfalls eine der schönsten Gegenden, die ich kenne, und der Ort meiner Hochzeit - sollte am Wochenende ein Konzert mit vielen Künstlern aus dem ganzen Land veranstaltet werden.
Ein Kartell aus dem Nachbarstaat sieht sich allerdings in der Pflicht, die Bürger der Stadt vor der dortigen Staatsanwaltschaft zu schützen und erklärte ihr im gleichen Atemzug den Krieg.
Um zu zeigen, dass sie es ernst meinen, verboten sie den Artisten die Einreise in die Stadt.

Alles etwas wirr. Warum verbiete ich eine Kunstveranstaltung, wenn ich Probleme mit dem Anwalt habe?
Ganz einfach. Um zu zeigen, wer der König ist und wer die Gesetze macht. Ich!

Viele der Artisten haben sofort abgesagt. Einige jedoch nicht. Diese wurden anderweitig überzeugt.

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Wenn ich all das sehe und höre, kann ich einfach nicht anders, als an das Mittelalter zu denken. Bauern, die sich König nennen und anfangen ihre Nachbarn zu überfallen.
So einfach ist es leider nicht. Es ist viel komplexer und komplizierter. Es ist nicht der Kopf des Fisches, sondern vielmehr der Pilz, welcher sein Myzel bereits in allen Teilen verbreitet hat und ihn langsam zerfrisst.

Ist das menschlich?

So wie in Deutschland die Mehrheit gegen Kriegseinsätze ist, ist auch hier in Mexiko der Großteil gegen die Narcos.
So blind und abgestumpft, wie die Deutschen gegenüber den Bildern aus Kriegsgebieten sind, sind es auch die Mexikaner gegen die Bilder von Mordanschlägen. ( Wer sich von der Abgestumpftheit überzeugen möchte, suche einfach nach "Prensa roja Mexico")
So wie das deutsche BIP sich vom Krieg speist, nährt der größte Arbeitgeber Mexikos das Volk.

Ich stehe da ohne Antwort. Weiß nicht, wie ich helfen soll.
Die einzige Lösung, die wirklich zu funktionieren scheint, sind das Stehaufmännchen
und der mexikanische Humor. :)