Kleiner finanzieller (tortillärer) Überblick zum Leben in Mexiko

in Deutsch Unplugged3 years ago (edited)

Kleiner finanzieller (tortillärer) Überblick zum Leben in Mexiko

Meinen ersten Besuch in einem mexikanischen Supermarkt kann ich getrost als Kulturschock bezeichnen.
Nicht nur, weil bereits am Schaufenster Testosteron für nur 5€ angepriesen wurde und Cialis hier rezeptfrei erhältlich ist (Meerwasser als Ohrenspülung ist übrigens nur beim Arzt erhältlich^^), sondern vor allem wegen der vielen exotischen Früchte, welche in ihrem Aussehen teils an Dracheneier, teils an Kartoffeln erinnern und dem hiesigen Speiseplan eine enorme Vielfalt verleihen.

Früchte.png

Aber das, was das Herz eines jeden Geizkragens höher springen lässt, sind die Preise. Ananas 50 Cent, Melone 40 - 80 Cent, Banane 15 Cent. Pro Kilo natürlich. Auch Fleisch kann man relativ preisgünstig erwerben. Ein Kilo Huhn liegen auf dem Markt bei drei Euro. Natürlich auch billiger, wenn man weiß wo.
Den Herzkasper bescheert es einem erst, wenn man die Käsetheke erreicht oder gar andere Laktoderivate sucht.
Der billigste Käse, den man als Käse bezeichnen kann (so glaube ich, ganz sicher bin ich mir nicht), kostet etwa 4 €/Kilo.
Nun kann man sich denken, dass billig nicht die beste Qualität verspricht und was den Käse und das Fleisch angeht trifft dies auch vollkommen zu. Über Obst und Gemüse kann man jedoch nicht klagen.

Die Statistik sagt, dass Durchschnittseinkommen eines Mexikaners liege zwische 16.000 und 17.000 USD pro Jahr und das ist korrekt. ( Für Mexikaner hingegen ist allein schon diese Zählweise eine Absurdität, hier rechnet niemand mit einem Jahresgehalt. Das Geld wird im 15 Tagestakt bemessen. )
Leider muss man berücksichtigen, dass etwa 70 % der Bevölkerung sich diesen Betrag auch nicht in 5 Jahren erarbeiten werden.
Wenn wir allein das Vermögen des einen reichsten Mexikaners auf alle 128 Millionen Einwohner aufteilen würden, könnten viele ihren Zweitjob für zumindest ein Jahr aufgeben.
Diese vom reichsten Mann Mexikos erhaltenen 550 USD kann man folgendermaßen umrechnen:
550 USD = 11185 MXN
dies bedeutet:
= 11.000 Tortillas
= 2.237 Fahrten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln Mexiko Stadts
= 12+ Monate Durchschnittsmiete auf dem Land
= 3-4 Fahrten mit dem Bus durch das gesammte Land ( das entspricht der Distanz von Portugal nach Litauen)
= Luxusurlaub mit der Großfamilie am Strand

Mexiko in Tortillas

Meine Standardrecheneinheiten in Mexiko sind im Übrigen die Tortillas und die Metrofahrten (226.48 km, die man mit einer Karte abfahren könnte).
1€ entspricht 5 Fahrten oder 2,5-3 Kilo Tortillas. ( Seit neustem die Torta al Pastor. Entsprechend dem Preis von 4 Tacos, aber der Masse von 10.😋)

Tortilla.png
Wenn ich nun all diese Zahlen sehe, erkenne ich daraus die schlichte Aussage darüber, dass man in Mexiko sowenig den Hungertod sterben kann, wie in Deutschland. Nur das die Deutschen eine staatliche Pflege und Ernährung genießen.

1 Peso - bedeutend 1 Tortilla - pro Tag schützt vor dem Hungertod. Wasser gibt es überall, wenn auch nicht sauber.
Mit 5 Peso kann man bereits einen ordentlichen Taco essen.
Mit 10 Peso kann man in Schnulli investieren und diesen in der Metro verkaufen.
Mit den erwirtschafteten 50 Peso hat man das Essen für seine Familie sicher.
Und dann, dann kann sich der Tagelöhner nach einem 12 Stundentag beruhigt schlafen legen.

  • ich habe die CocaCola für 6 Peso vergessen. Sauberes Wasser kostet oft mehr und bietet keine Energiewerte.

Was ich oben aufgezeichnet habe, ist Alltag für viele Mexikaner, insbesondere der bildungsfernen und indigenen Bevölkerung.
Die Bildungsferne stellt bei Ihnen das größte Problem dar. Wenn man sie gut beschäftigen und gut bezahlen würde, passiert meist nur eins:
Sie kommen am nächsten Tag nicht auf Arbeit, sie haben schließlich das Geld für eine oder gar zwei Wochen. ( nicht selten bereits nach zwei Tagen für Feten und Spielereien verprasst)

Aber den Arbeitnehmern aus der Unter- und unteren Mittelschicht geht es auch nicht viel besser.
So verdient ein Arzt ohne Fachausbildung in der Hauptstadt umgerechnet 600 Euro im Monat.
Ein Polizist verdient 340 Euro, ein Fabrikarbeiter ohne Ingenieur 200 bis 400 Euro.
Ein Uni-Professor auf Honorarbasis( und hier komme ich) verdient 80 - 120 Pesos die Stunde, hätte also 500 Euro, wenn er voll arbeiten würde.

Wenn also meine Frau, Assistenzärztin, und ich, Prof auf Honorarbasis, Vollzeit arbeiten würden - was wir nicht tun. Ich habe schließlich zuvor in Deutschland 70% meines Jahresgehalts beiseite gelegt. Wir sind demnach äußerst priveligiert in Mexiko. - , dann müssten wir von 1100 Euro im Monat Leben. ( Das verdient mein Schwager als Vize Direktor in einer großen Fabrik und mit Ingenieurstitel.)
Zu zweit stellt dieses Einkommen kein Problem dar, wir zahlen 400 € Miete für 20 m² und haben sonst keine großen Ausgaben neben dem Essen und Besuchen bei Schwiegermuttern.
Die Makel werden erst dann ersichtlich, wenn wir in deutscher Manier vorausdenken und uns kommende Komplikationen ausmalen.

Was ein Land an sozialen Ausgaben einspart, zahlt es doppelt und dreifach in den Sicherheitssektor ein

So etwas wie Versicherungen gibt es hier auch. Aber sie sind teuer und privat. Die staatliche Vericherung deckt nur das Mindeste ab und beschränkt sich dabei auf die Krankengrundversicherung. Hierbei sollte bedacht werden, dass es 100.000.000+ potentielle Patienten gibt. Nicht selten kommt man ins Krankenhaus und bekommt keinen Arzt, weil schlichtweg keiner da ist.
Oder es gibt keine Medikamente im Krankenhaus, dass meint Selbstkaufen.
Oder die Wartezeiten sind schier etern. 5 Jahre sind keine Seltenheit.
Oder die Krankenhausleitung hat die Ressourcen selbst eingesteckt und man muss die Angestellten bestechen, um behandelt zu werden.
Oder, oder, oder.

Dazu gesellt sich der Wegfall der staatlichen Alterssicherung. Wer hier nicht selbst vorsorgt, ist auf seine Kinder angewiesen.

Die Effekte dieser - hier heißt es Descuido ( "Minderpflege") - Nachlässichkeit hinsichtlich der Sicherheit sowohl sozial, finalziell, als auch gesundheitlich, schlägt sich im Verhalten der Bevölkerung wieder.
Wenn ich aus einem "sozialschwachen" Millieu stamme, ohne Geld, ohne Bildung, ohne sichtbare Chance auf eine Verbesserung meines Lebensstandards, dann gibt man mir die Wahl, zwischen einem "Weiter so" oder einem kurzem, aber sehr luxuriösen Leben bei den Narcos.
Wenn ich Polizist bin und 300 Euro verdiene, täglich mein Leben im Kampf gegen die goldkettchenbehangenen Narcos riskiere und zudem eine Miete und Unterhalt (in Mexiko Stadt von 150-3000+ Euro) stemmen muss, welchen Weg wähle ich dann?

Kleiner Anhang:

Statistiken zu suchen, ist eine Tortur in Mexiko und zudem kann ich nicht sagen, wie aussagekräftig jene sind, die man im Netz findt.
Zu den Sozialausgaben gibt es schonmal gar keine Ziffern, der Sektor Gesundheit und Bildung liegt zusammen bei etwa 30 Mrd. USD und der Sektor Öffentliche Sicherheit bei 26 Mrd. (oder 13 Mrd. nach einer anderen) , nicht eingerechnet die privaten Sicherheitskräfte, welche einen in etwa gleichgroßen Anteil darstellen sollten.

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Als Beispiel: Bei einer Demo in CDMX (Ciudad de México) kommen im Schnitt 10 Polizisten und 1-2 Feuerwehrkräfte auf jeden Demonstranten. Es wäre deutlich billiger, die Ursachen zu bekämpfen, als stetig diese Einsätze zu bezahlen.

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 3 years ago 

Vielen Dank für diesen interessanten Überblick. In Tortillas bemessen, ist das Ganze ja auch sehr anschaulich - besser als jede Säulenstatistik... ;-)

Ich freue mich über die Gemüsepreise und da ich mittlerweile den zur Käseherstellung nötigen Aufwand kenne, muss ich sagen - das ist er wert! Aber gut, die Verhältnisse sind natürlich deutlich andere. Und so muss auch ich auf den Preis für eure Wohnung eingehen, über den ich bereits gestolpert bin, bevor ich die bisherigen Kommentare las. Da kann doch was nicht stimmen! Für 20 qm zahlst du ja nicht mal hier in D in einer mittelgroßen Stadt 400 €...
Und wenn's stimmt? Puh... Wie geht das? Professoren-Slums?!

Erstmal Entschuldigung für die späte Antwort, auch an @weisser-rabe und @reiseamateur.

Ja, guter Käse ist jeden Preis wert.^^

Mexico Stadt ist extrem groß. Die billigen Wohnviertel sind in anderen Gegenden.
Ecatepec oder Xochimilco sind okay, aber eben überhaupt nicht, was die Sicherheit angeht.
Wie gesagt, der Großteil des mexikanischen Geldes fließt in den Sicherheitssektor. Beim Staate wie beim Bürger. Ich zahle viel Miete, habe dafür aber meine Ruhe.

Viele meiner Kollegen wohnen in billigeren Gegenden oder bei ihren Eltern.
Aber wer es sich leisten kann, nimmt die Sicherheit. Es gibt hier Wohnsiedlungen mit viefacher Ummauerung und jedes Tor bewacht von bewaffneten Wächtern.
( Hilft aber auch nicht immer. Der Nachbar von einem Freund wurde vor 2 Monaten von seinem Altenpfleger umgebracht. Dafür hat es der Pfleger nicht durch das dritte Tor geschafft.)

 3 years ago 

Verstehe: das habe ich damals in Kolumbien so erlebt / gelebt und fand das dann für die Kinder nicht mehr zumutbar nach einer Weile...

Ohh, du hast in Kolumbien gelebt? Das Land ist auch wunderschön. Insbesondere die tropischen Küsten im Nordwesten.

Ich kann nicht sagen, welches Land üblere Zeiten durchhat.
Mein Onkel lebt dort seit über 50 Jahren und hat ein Buch mit Kurzgeschichten über das Leben in Kolumbien geschrieben. Das kann ich nur empfehlen: "La Pesca Blanca".
Es ist aber nur auf Deutsch erhältlich.

 3 years ago (edited)

wir zahlen 400 € Miete für 20 m²

also das ist ziehmlich hefitg,
wie wohnen da die Einheimischen zB. der Polizist mit 340.- Monatsgehalt??

Da bekomst ja in Bulgarien ne 130m² Wohnung...

toller post mit dem Einblick!!
lg

Mein Schwager wohnt für nur 1200$ (50€) im Monat in seiner 80m² Wohnung .
Aber eben nicht in einer schönen Gegend. Dahingehend ist es wie in Deutschland.
Eine Freundin von mir zahlt 9.000 $ (360€) für ein Zimmer in einem Appartment. Zentrumsnah, sicher und mit eigenem Fitnessstudio.
Sie ist aber festangestellte Lehrerin an einer öffentlichen Grundschule, da verdienen sie besser.

 3 years ago 

Holla... Ich denke, was die Einkommensverhältnisse und -unterschiede angeht, ist das ähnlich gelagert wie in vielen Ländern Südamerikas, Afrikas und Vorderasiens.

Sind die 20qm ein Tippfehler? Ich finde das ansonsten very tiny und nee, bei aller Bescheidenheit...

 3 years ago (edited)

Ja, das ist wahr. Ich denke, auch in ihrer Einstellung zum Leben :)

Nein, kein Tippfehler :) . Es ist eine süße kleine Hütte zwischen Garten und Hof zweier Nachbarn. Dafür aber mit Waschmaschine.

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 3 years ago 

Das ist ja süß! Da muss man sich zu Zweit aber sehr, sehr lieb haben… ;-)

Hihi, ja.

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