Darf ich vorstellen: meine Zwillinge Angst und Panik
..... myI introduce myself .... so beginnt einer meiner Lieblingssongs der Rolling Stones.
So höflich stellen sich meine Zwillinge Angst und Panik nicht vor. Sie stürzen sich in mein Leben und machen ungefragt Party ohne Ende.
Ich habe eine Angsterkrankung. Wieso habe ich die Symptome quasi personalisiert?
Zum einen, um sie für mich besser "greifbar" zumachen. Ich kann mit ihnen schimpfen, mit ihnen verhandeln, sie ignorieren (das mögen sie garnicht) und akzeptieren, dass sie Teil meines Lebens geworden sind. Und ich kann akzeptieren, dass es quasi eigene Personen sind, die ichnicht kontrolieren kann, oder zumindest nur sehr begrenzt.
Zum anderen, um anderen Menschen meine Erkrankung zu erklären. Denn: wie soll man erklären, dass eine 54jährige Frau, die schon Einiges im Leben erlebt hat, manchmal nicht die Wohnung verlassen kann, weil sie Angst hat? Eine Angst, dieich selbst kaum erklären kann, ich habe nicht "vor etwas " Angst, es ist eine diffuse Angst, die sich in meinem Körper breit macht.
Aber die Angst ist noch der "sanftere" Zwilling. Die Panik haut rein - Zittern, total angespannte Muskeln, Engegefühl in der Brust, ein dicker Kloß im Bauch, wackenlnde Beine, Hyperventilation..... das sind ihre Lieblingsbeschäftigungen. Auch hier: ich habe nicht "vor etwas" Panik - es ist ein Schlag, der plötzlich da ist - oft ohne erkennbaren Grund. Tja - der Zwilling Panik ist eben spontan.....
Wie lebe ich mit den beiden? Mal mehr mal weniger gut. Sie kamen plötzlich - die erste Begegnung mit der Panik hatte ich in der Stadt beim Shoppen. Plötzlich Herzrasen, Engegefühl in der Brust, Schweißausbrüche, Atemnot. Kurze Zeit später fand ich mich auf der Kundentoilette im Kaufhof wieder und atmete in eine Plastiktüte. Durch die Hyperventilation waren meine Finger schon steif und alles kribbelte. Von da an haben sich die Beiden bei mir eingenistet.
Zu der Zeit war ich sowieso schon in psychiatrischer Behandlung, weil ich eine schwere Depression im Rahmen einer PTBS hatte und habe. Die verschiedenen Therapien haben mir sehr geholfen, zeitweise ging es nur, weil ich Medikamente nahm.
Also, wie sieht ein Tag mit den Zwillingen aus? Oft sind sie morgens schon da - ich werde wach un schaue quasi in ihre schadenfrohen Gesichter. Meist fängt die Angst an - dieses diffuse Gefühl, dass ich das Haus nicht verlassen kann. Natürlich tue ich das, ich muß arbeiten, einkaufen, was man halt so tut im Leben. Manchmal langweilt sie das und sie verschwindet. Manchmal holt sie aber die Panik dazu, die taucht dann gerne zB an der Kasse im Supermarkt auf. Ich habe gelernt, trotzdem meine Waren einzupacken, zu bezahlen und den Laden ohne Zusammenbruch zuverlassen. Das geht oft nur durch eine extreme Konzentration und unglaubliche Anspannung. Wenn ich dann zu hause zur Ruhe komme, habe ich oft Muskelkater von dieser Anspannung und bin seelisch, körperlich und geistig total erschöpft
Wieso tue ich das? Wieso mache ich Dinge, bei denen es mir so schlecht geht.
Das Schlimmste, was eine Angsterkrankung verursachen kann, ist totale Isolation. Man versucht, die Dinge, die die Zwillinge herbeirufen, zu vermeiden. Und weil sich die Zwillinge nicht gerne ignorieren lassen, kommen sie dann bei anderer Gelegenheit vorbei. Dann vermeidet man das auch. Irgendwann besteht das Leben nur noch aus Vermeiden. Das wäre mein absoluter Albtraum.
Also gehe ich mit den Zwillingen raus, ich gehe einkaufen, arbeiten, zu Konzerten, in die Kneipe, mache alles, was das Leben ausmacht. Das ist oft sehr anstrengend und ich brauche länger Pausen. Das werde ich wohl so akzeptieren müssen. Meistens klappt das mit dem Akzzeptieren auch. Manchmal nicht - Geduld ist nicht meine Stärke, und Geduld mit mir selbst schon mal gar nicht.
So bin ich den Zwillingen manchmal sogar dankbar: sie zeigen mir, dass ich diese Geduld mit mir brauche, dass ich gut für mich sorgen muß, dass ich Grenzen beachte.
Das war ein kleiner Einblick in mein Leben....... heute geschrieben, weil ich gerade vorhin die Panik beim Einkaufen traf. Als sie um die Ecke schaute, machte ich ihr klar, dass ich den restlichen Tag entspannt auf dem Sofa sitze und stricke - das war ihr zu langweilig und sie zog ab.
Du gehst souverän mit Deinem Ballast um, alle Achtung! Der Weg, den Du für Dich gewählt hast, scheint so weit zu funktionieren, daß Dein Alltag läuft und Du launig darüber schreiben kannst. Ob sich die Anstrengung, die Du in dieses Funktionieren investierst, lohnt - kannst Du nur selbst beurteilen. Mögliche Korrelationen wirst Du mit Deinen Fachleuten längst gecheckt haben, darum verkneife ich mir 'mal Vermutungen oder schlaue Sprüche. Was mich interessieren würde: bleibt das jetzt so statisch für Dich oder gehst Du dem Übel doch auf lange Sicht an die Wurzel? Und wenn ja: was erhoffst Du Dir für eine Normalität?
uff - gute Fragen - ich bhabe mein Funktionieren schon so eingerichtet, dass es passt, als es anfing habe ich noch als Anäshtesist im OP gearbeitet, in Vollzeit, das ging irgndwann nicht mehr, ich war lange krankgeschrieben, Tagesklinik, Reha, Traumatherapie, das ganze Programm, jetzt arbeite ich nachdem ich mehrere Optionen ausprobiert habe, Teilzeit als Allgemeinmediziner, hae noch ein paar Nebenjobs wie Prüfungen im Rettungsdienst und sowas,
die Erkrankung an sich ist nicht statisch - ich habe auch Zeiten ganz ohne die Zwilling und ohne Depressionen, ich bin seit Langem in Theapie, ich sehe das als eine Art Reise an - das Ziel kenne ich nicht - ich lasse mich ganz offen daruf ein und schaue, wo es mich hinbringt,und Normalität? ich weiß gar nicht so recht, was das ist, für mich ist es so OK, wie es ist...
einer meiner Leitsprüche ist: Auf Umwegen hat man am meisten Spaß
Mir gefällt Deine Sichtweise darauf und Deine Selbstrefelxion. Wünschen würde ich Dir ein echtes, konkretes Ziel. Etwas, was Du selbst als erstrebenswert ansehen und anpeilen kannst. Sonst wird es eher ein Verharren, glaube ich.
Hut ab, wie du damit umgehst...
Ein Weg muss ja gefunden werden, verkriechen hilft leider nicht. Nur, dann auch den langen Weg zu gehen, ist noch die größte Herausforderung... weil Tag für Tag neue Überraschungen lauern.
ja - das stimmt wohl. Dazu kommt, dass psychische Erkrankungen noch ein großesTabu sind. Ich gehe deshalb sehr offen damit um. Jeder, der mich etwas länger kennt, weiß von meiner Erkrankung .... und gerade weil ich meinLeben ganz gut hinbekomme, kann ich da Vielen Mut machen
Danke für Deine ausführlichen Beschreibungen. Durch Deine Art zu Schildern hatte ich das Gefühl, dass ich neben Dir stand. Im Laufe Deines Lebens wirst Du wohl unendlich viele Ratschläge bekommen haben. Tu dies, probier das. Deshalb finde ich es sehr mutig, dass Du Dich hier so explizit erklärst. Ich wünsche Dir volle Power und tolle Erkenntnisse in Deiner Therapie. Alles Gute.
Danke - ich gehe bewußt offen mit der Erkrankung um, es ist einkleiner Beitrag, das Tabu zu brechen..... gerade jetzt in der Coronazeit werden viele Menschen psychisch erkranken..... ja ich hab viele Ratschläge bekommen - und viele tolle Menschen kennengelernt.......manchmal denke ich, wir Angsthasen und Depris sind "normaler" als viele Anderen........ grins
Genau, das dachte ich auch! Wenn Du offen darüber redest, dann zeigst Du Mut und Stärke!
Wenn ich mich in schweren Situationen befinden, dann denke ich immer daran wie klein und unwichtig ich im Vergleich mit diesem riesigen Universum bin. Dann erscheinen mir meine Probleme in einer Skala auch viel kleiner. Haha... das ist aber nur mein persönlicher Trick und kein Vorschlag für Dich. Weiterhin viel Erfolg.
Weed schafft Abhilfe (drum isses auch verboten)
grins...... ich weiß, aber nicht so richtig kompartibel in meinem Leben......
Panik und Angst, oder deine Zwillinge kommen nicht einfach so.
Ich litt selbst vier Jahre lang, von jetzt auf gleich an diesem misst.
Es können Hormonelle Probleme sein, wie Wechseljahre oder Schilddrüse, lasse es checken.
Auch deine Medikamente, könnten solche Ursachen herbeirufen.
sie sind auch nicht einfach so gekommen - ich hatte eine traumatische Trennung von einem gewalttätigen Narzisten hinter mir.....