Mehr als sieben Leben

Weibliche Note

Nennen wir ihn Käpt‘n. So bleibt die Anonymität gewahrt. Der Käpt'n wird seiner Leidenschaft für das Meer gerecht und zum Erzählen braucht es einen Namen. Schriebe ich ständig Hundertjähriger, wo bliebe die Lust am Weiterlesen.

Vor zwei Wochen erwähnte ich, während der Fahrt zum Markt, dass ich in einem Blog über ihn schreibe. Auf einer Blockchain, wo man literarisch wertvolle Werke urlegen kann. Das war ich ihm schuldig. Ich wollte sein Einverständnis einholen. Altersentsprechend hat er, außer dem literarisch Wertvollen als Scherz, kaum was begriffen und heute vielleicht schon vergessen. Es ist kein spannendes Dauerthema, sorgte aber kurze Zeit für Heiterkeit. Die Vorstellung, dass ich über ihn schreibe, regte ihn sofort zu spitzbübischen Überlegungen an, wie er mir eine heiße Geschichte hinlegen könnte.

Flugs schmiedete er eine lustige Intrige, die Eifersucht seiner Queen zu triggern. Was er am kommenden Wochenende auch durchzog und mir während der nächsten Tour zum Markt berichtete: „Ich erzählte ihr, dass es mir nicht so gut ging und du angeboten hast, bei mir zu bleiben bis es mir besser geht. Ich fand das sehr anständig von ihm und beruhigend, hab ich ihr gesagt. Er hat mich fürsorglich bemuttert. Bis er sich mit Stiefeln auf dein Bett, gelegt hat. Als er meine Hand halten halten wollte, habe ich mich bedankt und ihn nachhause geschickt.“

Was haben wir gelacht! Ob sie ihm die Story abgenommen hat? 100 Prozent! Ob sie überhaupt wahr ist? Ein bisschen davon garantiert.

Eifersucht ist ihr zweiter Vorname und die richtet sich gegen Jeden, der von außen kommt. Es ist die Konkurrenz, aber nicht nur das. Helfer sind unerwünscht, wenn sie zu sehr Einsicht ins Private erhalten. Jemand könnte ihr auf die Schliche kommen. Sie hat keine Ahnung, dass der Käpt’n ahnt, warum sie ihn seit 17 Jahren nicht mehr los lässt. Er vermeidet möglichst, dass wir aufeinander treffen. Reine Fürsorge. Was nicht immer gelingt. Doch sie besucht ihn treu und brav über verlängerte Wochenenden, sorgt für die weibliche Note im Haus, dem Flair, das er reiner Männerwirtschaft unbedingt vorzieht.

Sie ziehen durch Kurstädte, besuchen Events, z. B. einen Boxkampf, oder Bad Sowieso zum Wohlfühl-Weekend. Er kam vor ca. 30 Jahren aus Amerika zurück und treibt seitdem die normalsten, wie auch seltsamsten Dinge, von denen ich gerne erzählen will. Doch vor dem Vergnügen hat das Universum den Schweiß gesetzt.

Käpt‘ns Außenanlage bietet gewaltigen Zen-Faktor. Nicht falsch verstehen. Zen hat nichts mit Feng Shui, Huschi Wusch, oder dem Prinzessinnen-Schischi vom Gartencenter zu tun. Ein Buddha vor dem Haus macht keinen guten Menschen. Haus und Außenanlagen wirken auf den ersten Blick einfach nur normal gepflegt. Ständig sprießt Natur aus allen Ecken hervor. Grünes gedeiht des Sommers hurtiger, als es zwei Wochenstunden im Zaum halten könnten. Es sprießt sogar schon heute, im Februar aus Spalten, Fugen und Ritzen. Letztes Jahr wurde ich des Grüns lange Zeit nicht Herr. Zen ist sicher vieles aber ganz besonders Arbeit. Was als solche nicht zwingend empfunden wird. Es ist vielmehr Hingabe an die Tat. Nicht das Ergebnis zählt, allein die Hingabe.

Kamikaze Queen

Käpt'ns Eckgrundstück hat Garten vorne und hinten. Umrahmt von drei Straßenzügen und die vor dem Frontgarten hat keinen Bürgersteig. Stichstraße vor Reihenhaus. Natürlich arbeitet er tatkräftig mit, wo immer es geht. Lahme Rechte und relativ instabiler Stand fordern ihren Tribut. So ruht er in der Regel im Sessel, während ich arbeite. Es sei denn, wir stemmen ein gemeinsames Projekt. Am Ende des Sommers haben wir es den Thujen auf der Gartenseite mit der Motorsäge ordentlich gegeben. Da war er richtig hilfreich und natürlich der Boss. Beete, Gardinen, Deko, Wäsche sind Refugien der Queen. Na ja, wenn sie nicht kommt können wir auch Wäsche. Manchmal verlässt sie das Haus in Unfrieden und lässt sich eine Woche nicht sehen.

Mit ihren flotten Vierundachzig Jahren kann sie noch Auto fahren. Bis auf den Totalschaden. Als die Sonne blendete und sie den Hügel in der Mitte eines Kreisverkehrs für die Fortführung der ansonsten kerzengeraden Straße hielt. Sie blieben im Hügel stecken. Anschließend hat er den silbernen Benz gekauft. Von seinem Schornsteinfegermeister. All das geschah, bevor ich die Bühne seines Lebens betrat. Er ist keine Katze. Soviel ist sicher. Was der Mann überlebt hat, reicht für weit mehr als sieben Leben. Da brauchst du Geduld, um nur ansatzweise durchzublicken. Er erzählt nur Ausgewähltes und oft durcheinander. So von Woche zu Woche, meine ich.

Very special

„Sie behandelt die Wäsche, Martin, du glaubst es nicht! Wie Profis das tun. Gebügelt, gefaltet und gestärkt“, sagt er immer. Dann wirft er eine Kussgeste schmatzend von den Lippen, in die Luft hinauf. So nützlich ist die Queen. Arzt, Bank, Mode und was sonst so anliegt – alles hat sie stets zur vollen Zufriedenheit ihres alten Freundes begleitet, erledigt und besorgt. Sie kennen sich seit 17 Jahren. Im Lauf der Woche erscheint die Queen nach mir. Laut Käpt'n findet sie, was ich falsch gemacht habe. Es ginge mit dem Teufel zu, fände sie nichts. Was uns amüsiert. Zum Trost sagt er: „Martin, du bist perfekt“. Schon haben wir wieder Spaß, denn ich antworte: „Selbstverständlich. Anders würde man es bei dir auch nicht aushalten.“ Die alte Dame ist, nach seinen Worten „very special“ und war Ursache meines Erscheinens in seinem Leben. Denn kurz zuvor lief beim Käpt’n verdammt viel schief. Dagegen war ein überlebter Totalschaden nur laues Vorgeplänkel.

Teil 1 Der rote Stern von Moskau