Die Phantomzeit-Theorie

in #history7 years ago (edited)

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Der Chronologiekritiker Heribert Illig (geb. 1947) griff 1994 eine ursprünglich von Wilhelm Kammeier (1889–1959) aufgestellte These auf, man müsse knapp 300 erfundene Jahre aus der Chronologie des Mittelalters entfernen, sodaß wir selbst korrekterweise im frühen 18. Jahrhundert nach Christus angesiedelt seien (1) . Hans-Ulrich Niemitz, der sich dieser Vorstellung anschloss, nannte den Zeitraum dann Phantomzeit, weil das Fränkische Reich nach Chlodwig I. ein Produkt der Täuschung gewesen sei. Insbesondere Personen wie Karl der Große (s. Abbildung) und die anderen Karolinger vor Karl III. dem Einfältigen hätten entweder überhaupt nicht existiert, oder sie seien vor 614 beziehungsweise nach 911 einzuordnen. Ursache sei, dass die Kalenderreform durch Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 aus noch unbekannten Gründen extrem fehlerhaft durchgeführt worden war. Demnach soll die Differenz genau 297 Jahre betragen, es handle sich um den Zeitraum von September 614 bis August 911.
Wichtigstes Kriterium, eine Phantomzeit festzustellen, bildet die Fundsituation, wobei an der in der Geschichtsforschung gängigen Radiokarbondatierung heftige Kritik geübt wird (2). Der Soziologe und Liberty-Preisträger Gunnar Heinsohn, ebenfalls ein Chronologie-Revisionist (geb. 1943), fordert schon lange eine evidenzorientierte Forschung, die sich mit Vorrang an archäologischen Funden und nicht an Schriftquellen orientiert. Menschen hinterlassen dort, wo sie leben Spuren, von denen einige die Jahrhunderte oder auch Jahrtausende überdauern können. Finden sich für eine Epoche keinerlei Funde, obwohl in den Schriften von dieser Zeit die Rede ist, so muss die gesamte Epoche in Frage gestellt werden. Denn bekanntermaßen ist Papier geduldig und Schriftstücke lassen sich sehr leicht fälschen, wie tausende von anerkanntermaßen gefälschten Urkunden aus dem Mittelalter belegen. Kirchen, Klöster und andere Bauten und Artefakte lassen sich dagegen nur bedingt fälschen (z.B. durch eine nachträgliche Inschrift oder eben durch gefälschte Urkunden).
Die Fälschung erfolgte laut Illig im Jahre 990 bis 1009 von einem kleinen Kreis rund um die Kaiser und den Papst Otto III., Konstantin VII. und Silvester II. (3).

Seit der erstmaligen Formulierung der These wurde bislang erfolglos versucht, für verschiedene Orte und Regionen Funde in der fraglichen Zeit wirklich eindeutig zu belegen. Immer wieder zeigte sich, dass der Phantomzeit zugeordnete Funde auch genausogut in die Zeit kurz davor oder kurz danach datiert werden können und oftmals auch wurden. Eine Datierung in die Phantomzeit bzw. eine spätere Verlagerung in diese Zeit entspricht wohl eher dem Bedürfnis, die fundleere Zeit mit Artefakten zu füllen. Auch die Münzkunde liefert Hinweise in diese Richtung: alle Carolus-Münzen sollen laut Gunner Heinsohn stattdessen von Karl dem Einfältigen stammen und die karolingische Münzreform auf Pippin den Älteren zurückgehen. Die wohl umfassendste Studie haben Illig und Anwander 2002 für Bayern vorgelegt (4).
Von Historikern und Mittelalterexperten wird diese These als völlig verfehlt angesehen, was natürlich nicht wundert, würde eine Bestätigung der Theorie doch deren Weltbild in den Grundfesten erschüttern.

  1. Heribert Illig: Hat Karl der Große je gelebt? Ullstein, Berlin 2004, (Erstauflage 1994), ISBN 3-548-36429-2
  2. Christian Blös,s H.-U. Niemitz: C14-Crash. Das Ende der Illusion, mit Radiokarbonmethode und Dendrochronologie datieren zu können, Verlag IT&W, Berlin, 2. Auflage 2000, ISBN 3-934378-52-8
  3. Heribert Illig: The Invented Middle Ages. Toronto 2005.
  4. Heribert Illig, Gerhard Anwander: Bayern und die Phantomzeit, Verlag Mantis 2002, ISBN 978-3928852210
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Hahaha, das ist ja wirklich total abgefahren!
Es gibt soviel Leute, die soviel Unsinn ernst meinen, dass man mittlerweile gar nicht mehr weiß, wer einfach irre ist und wer genial. Und wer Dich verarschen will.
Aber geile Story auf jeden Fall!
Danke!

Ich kenne diese Theorie seit einigen Jahren, sie lehrt eines, dass man eben nichts glauben kann.

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