REVIEW | Kingdom Come: Deliverance - Nüchtern statt Epos
Kingdom Come: Deliverance erschafft eine der stimmungsvollsten Open Worlds, die ich je erlebt habe. Um die großen Stärken des Mittelalter-Rollenspiels zu genießen, muss man dem Mittelalter-Rollenspiel allerdings viele Dinge verzeihen.
Kingdom Come hat viel Ähnlichkeit mit Gothic, Elex und Co., beispielsweise in seiner größten Stärke: Fast alles in Deliverance ordnet sich dem Ziel unter, eine lebendige Open World zu erschaffen. Und das gelingt. Von den derben Dialogen über den geregelten Alltag der Menschen bis hin zum glaubhaften Landschaftsdesign der Spielwelt - die Atmosphäre von Kingdom Come ist ein Brett!
Und hey, man kann sogar Wildschweine jagen gehen.
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Mittel zum gelungenen Zweck
Die Story von Kingdom Come: Deliverance ist Mittel zum Zweck. Klingt vielleicht im ersten Moment hart, allerdings erreicht die Geschichte ihr Ziel mit Bravour: Schmiedesohn Heinrich wird im Zuge katastrophaler Ereignisse aus seinem Heimatdörfchen Skalitz quer durchs böhmische Land und damit auch durch alle großen Bereiche des mittelalterlichen Lebens geschickt.
Wir erleben als Spieler das rege Handelstreiben im Städtchen Rattay, tauchen ein in die schmucklose Routine eines Benediktinerklosters in Sasau, wildern in den Wäldern, erkunden Steinbrüche und Bergbaustollen, begutachten den Bau mittelalterlicher Belagerungsgeräte, bekommen ein Gefühl für all die aufblühenden Handwerkszweige des 15. Jahrhunderts.
Schmiede, Bäcker, Wirte, Bader, Jäger, Spieler, Scharlatane und hussitische »Revoluzzer-Priester« - allein in der 30- bis 40-stündigen Hauptquest bleibt kaum ein Bereich unerschlossen. Heinrich muss sich um kriegsversehrte Flüchtlinge kümmern, erfährt die Furcht vor Pest, Aberglaube und bösen Hexen am eigenen Leib.
Er erlernt das Rüstzeug eines Ritters, prügelt sich trotzdem unritterlich hinter der Taverne und, und, und. In einer Open World in so viele Bereiche einer virtuellen Gesellschaft einzutauchen, erschafft ein unglaublich dichtes Mittendrin-Gefühl. Der Preis, den das Spiel dafür zahlt, schlägt sich im eigentlichen Plot nieder: Die erzählte Geschichte ist eine ziemlich seichte, konventionelle Heldenreise.
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Bodenständige Heldenreise
Ja, Kingdom Come verzichtet aufs hochtrabende Super-Epos eines auserwählten Ritters, der im Alleingang die Welt rettet. Man ist ein winziges Zahnrad in einem viel größeren Adelskonflikt, dessen Ausmaße sich auch erst nach dem Abspann im Epilog vollends entfalten.
Dadurch gewinnt die Kampagne spürbar an Glaubwürdigkeit. Aber auch im »kleinen Format« lassen sich spannende und innovative Geschichten erzählen - hier schöpft Deliverance sein Potenzial viel zu selten aus. Heinrich mausert sich vom harmlosen Jüngling zum hartgesottenen Krieger, kommt dabei einer großen Verschwörung auf die Schliche und hangelt sich in der Kampagne von einem Strohmann zum nächsten.
Das mündet in einigen wunderbar inszenierten Schlachten, und bietet gelegentlich sehr unterhaltsame Momente.
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Deliverance ist kein Skyrim
Sondern ganz und gar ein questbasiertes Story-Rollenspiel. Klar, es gibt schon einige Räuberverschläge oder andere Sehenswürdigkeiten in der Welt zu entdecken, doch man sollte sich davon nicht täuschen lassen: Was den Spieler wirklich nach vorne treibt, sind die Geschichten der zahlreichen Haupt- und Nebenquests.
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Sammelquests
Wer nach knapp 30 Spielstunden mal einen Blick in sein Questjournal wirft, der könnte Kingdom Come schnell die falschen Vorwürfe machen. Dort finden man nämlich durchaus Aufträge der Güteklasse »Bringe mir 20 Hasenbeine«, »Sammle zehn Mohnblumen« und »Stiehl fünf Wappenröcke«. Allerdings verbergen sich hinter diesen Aufgaben anders als bei den stumpfen Sammelquests eines Mass Effect:Andromeda fast immer unterhaltsame und/oder atmosphärische Tätigkeiten.
Um beispielsweise an die Wappenröcke zu kommen, muss Heinrich nachts klammheimlich in die Waffenkammer der Burg Talmberg eindringen. Die 20 Hasenbeine setzen indes eine erfolgreiche Jagd voraus: Hinter dem Erlegen von Tieren verbirgt sich ein stimmungsvoller Ausritt in den böhmischen Wald und das geschickte Handhaben des Bogens.
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Kein Quicksave
Umso mehr vermisst man in solchen Momenten das freie Speichern. Kingdom Come speichert den Spielstand gelegentlich beim Annehmen oder Ausführen von Quests, beim Schlafen im eigenen Bett und durch einen speziellen Gegenstand: den Retterschnaps.
In der Theorie soll das die Spieler zu behutsamem Vorgehen erziehen und sie im Zweifelsfall auch mal zwingen, mit Fehlern zu leben, weil man keine 30 Minuten nochmal spielen möchte. Die meisten Quests kalkulieren unser Versagen nämlich mit ein und setzen sich trotzdem fort.
In der Praxis sind die ollen Speicherschnäpse aber gerade zu Beginn unbezahlbar teuer. So landet man am schicksalhaften Scheideweg: Ich habe noch einen Termin, muss eigentlich ausmachen, verliere dadurch aber 35 Minuten Spielfortschritt.
Wie ein Depp rennt man vor jedem größeren Schritt erst zurück in eine Schenke, bezahlt dem Wirt zwei Groschen und schläft für eine Stunde im Bett, um zu speichern.
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Wie verbuggt ist Kingdom Come?
Und damit wären wir bei der Frage nach den Bugs. Die gute Nachricht zuerst: Kingdom Come spielt sich im Groben rund. Ich hatte in über 60 Stunden keinen einzigen Spielabsturz, die Kampagne ließ sich ohne große Probleme bewältigen und ganz generell kann man hier nicht von einem Bug-Fiasko sprechen wie beispielsweise bei Gothic 3.
Im Detail tummeln sich aber dennoch diverse Glitches und kleine Fehler, für die sich die Entwickler noch ein paar Wochen hätten nehmen müssen.
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FAZIT
Kingdom Come ist ohne Zweifel eines der mutigsten Rollenspiele der letzten Jahre.
Es ordnet nahezu alles dem großen Ziel unter, ein glaubwürdiges Mittelalter-Erlebnis zu erschaffen. Wenn es sein muss auch den Spielspaß. Exemplarisch dafür steht der erste Drill am Bogen, wenn ich nach mehreren Spielstunden endlich zum Soldaten ausgebildet werde.
Meterweit fliegen meine Pfeile am Ziel vorbei, während ich von einem adligen - pardon - Arschloch verspottet werde. Nein, das fühlt sich nicht gut an. Aber es passt eben zu meiner Rolle als vollkommen untrainierter Schmiedelehrling. Wenn man sich denn darauf einlassen kann und damit klarkommt, alles andere als ein Held zu sein.
Denn in vielerlei Hinsicht erinnert Kingdom Come mehr an eine Alltagsimulation als an ein klassisches RPG. Ich muss schlafen, essen, Verletzungen sowie Krankheiten behandeln und sogar auf meine Körperhygiene achten. Das artet immer wieder in regelrechte Arbeit aus und kann stellenweise sogar hart nerven, etwa, wenn ich das Spiel nicht einfach beenden und speichern darf, sondern erstmal die Quest erfüllen und anschließend noch zum nächsten Bett latschen muss.
Viele Spieler werden das hassen und Kingdom Come nach wenigen Stunden enttäuscht beiseitelegen, zumal es auch technisch alles andere als ausgereift ist. Wer allerdings auf Komfort und Genre-Konventionen verzichten kann, wenn er zum Ausgleich tief in ein faszinierendes mittelalterliches Leben eintauchen darf, der sollte sich Kingdom Come nicht entgehen lassen. Aber vielleicht noch zwei Wochen warten, bis die gröbsten Bugs beseitigt wurden.