Welche Ostpolitik braucht Deutschland?

in #deutsch6 years ago

https://younggerman.com/2019/02/17/welche-ostpolitik-braucht-deutschland/



 Beim Schlagwort Ostpolitik fällt uns Bundeskanzler Willy Brandt ein, wie  er 1970 in Warschau niederkniete. Und die Verbindung von Helmut Kohl  und Michail Gorbatschow hat sicherlich dazu beigetragen, den Abzug aller  sowjetischen Truppen 1991 zu ermöglichen – ein Gefallen, den uns die  USA bis heute nicht getan haben. 


 Ostpolitik ist auch heute wieder angesagt. Denn der Streit um die  Erdgasleitung Nordstream II legt Bruchlinien offen: Deutschland und  Russland verfolgen ein gemeinsames Interesse und die kleineren  osteuropäischen Länder, Frankreich und die USA protestieren. Dieser  Streit zeigt beispielhaft, dass Deutschland mehr Klarheit braucht,  welche Ostpolitik in seinem Interesse liegt. 

 Es ist offensichtlich, dass sich in Osteuropa Interessenssphären  überschneiden: Russland erhebt nach wie vor Anspruch auf zumindest den  postsowjetischen Raum. Dieser Raum sieht das teilweise anders und der  alte Feind der Sowjetunion, die USA, unterstützt diese Unwilligen nach  Kräften in ihrem Unabhängigkeitsbestrebungen. Osteuropäische  Kleinstaaten wie Polen, Tschechien und die baltischen Staaten haben ein  gemeinsames Interesse: Sie wollen nicht, dass sich die Geschichte wie  gehabt fortsetzt, dass sie weiterhin von Deutschland und Russland  malträtiert werden – mal von dem einen, mal vom anderen, mal von beiden  gleichzeitig. Deshalb verwundert es nicht, dass sie in der NATO und den  USA ihren Schutzgaranten sehen, denn die USA sind wie alle Westmächte an  einer Einhegung Deutschlands und Russlands interessiert. Liegt also  eine neue prorussische Ostpolitik nahe? 

 Wir wollen nun nicht vorschnell die deutsch-russische Verbrüderung  verlangen, wie es in nationalkonservativen und linksautoritären Kreisen  üblich ist. Denn der Preis dieser Verbrüderung wäre, dass die Staaten  zwischen Deutschland und Russland sich wieder in der Falle sähen, und  schon wären die Westmächte zur Stelle. Übersehen wir auch nicht, dass  die osteuropäischen Kleinstaaten einiges mit Deutschland verbindet: Sie  sind Mitglieder der EU und wichtige Handelspartner und wie in Russland  lernen auch hier viele die deutsche Sprache – zumindest nach dem  Englischen. Antisowjetische Kräfte in diesen Ländern haben in beiden  Weltkriegen mehrfach mit Deutschland gemeinsame Sache gemacht, weil sie  sich die Befreiung von bolschewistischer Unterdrückung erhofften.  Außerdem wären die konservativen Regierungen von Polen und Ungarn neben  Italien und Österreich in der Migrationsfrage für eine andere, nicht  bereicherungsverrückte deutsche Regierung wichtige Verbündete innerhalb  der EU. 

 Am besten wäre es, gemeinsam mit den osteuropäischen Kleinstaaten und  Gleichgesinnten die Machtverhältnisse in der EU zu verschieben und  gleichzeitig bilateral mit Russland gemeinsame Sache zu machen, wo es  sich anbietet.Zum gewissen Grad scheint die deutsche Regierung  das sogar zu tun, denn sonst wäre Nordstream II nie so weit gekommen.  Dafür sprechen manifeste wirtschaftliche Interessen, von denen die  deutsche Regierung durchaus geleitet ist. Aber auf die Dauer wird das  Hin und Her wohl nicht funktionieren, da sich die Bruchlinien  verstärken, wie sich im Wegfall der Ukraine als Puffer zwischen NATO  bzw. EU und Russland und in den Muskelspielen der NATO im Baltikum und  der militärischen Manöver Russlands zeigt. Es ist schwer zu beurteilen,  wann sich Deutschland klar auf eine Seite schlagen sollte. Aber früher  oder später werden wir uns wohl entscheiden müssen. Und diese  Entscheidung sollten wir nicht automatisch von den Westmächten abhängig  machen. Was es jetzt braucht, ist ein Bewusstsein für diese Spannung,  denn ein Bewusstsein für ein berechtigtes Eigeninteresse ist in den  Eine-Welt-trunkenen Hirnen der herrschenden Politiker nicht vorhanden,  die von Studien der OECD, WTO, IWF, Weltbank, Council on Foreign  Relations, Open Society Foundation (Soros), Bertelsmann-Stiftung,  Amadeo-Antonio-Stiftung usw. durchtränkt sind. 

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