Das Sofa in meinem Kopf
Ich habe ein Sofa im Kopf. Sehr gemütlich, gut gepolstert und bezogen mit weichem, grünen Samt.
Wann immer ich in Gesprächen oder Texten oder einfach bei entspanntem Sinnieren über ein komplexes Thema bei einem Gedanken ankomme, der mir wirklich gut gefällt, sitze ich stracks auf diesem Sofa, kuschele mich gemütlich in eine weiche Decke ein und denke: Ja! Das fühlt sich richtig und wahr an. Das will ich fortan glauben! Ihr kennt das vielleicht.
Zum Beispiel beschäftigte mich als Teenager die Frage, welche Argumente denn für die Reinkarnation der unsterblichen Seele sprächen, an die ich gerne glauben wollte. Mir kam der – sicherlich nicht sehr originelle – Gedanke, dass die sich immer schneller vollziehende moralische, intellektuelle und technische Entwicklung ja mit Reinkarnation gut zu erklären wäre, da ohne diese jede Generation mit allem von vorne anfangen müsste. Schwupp, saß ich auf dem Sofa, einen Becher Kakao in der Hand. Toll.
Als es hieß, wir könnten doch nicht einfach die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen, stimmte ich natürlich sofort zu. Die Rettungsaktionen waren ein Gebot der Menschlichkeit, Deutschland ein reiches Land und Flüchtlinge der Hilfe bedürftig. Oh, seit wann habe ich denn diese schönen weichen Kissen auf meinem Sofa? Sehr angenehm!
Leider bin ich ein unruhiger Geist, unfähig, lange still zu sitzen. Kaum habe ich begonnen, mich an meinem neuen Stück Wohlfühlerkenntnis zu erfreuen, kommt so ein gedanklicher Wadenbeisser daher und kläfft mit süffisantem Grinsen: "Du weißt schon, dass deine schöne neue Erkenntnis mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet, nicht wahr, meine Liebe?"
Dann lande ich unsanft wieder mitten im Thema. Oder, um in der Metapher zu bleiben, falle ich mehr oder weniger unsanft vom Sofa und muss hinaus aus dem Wohnzimmer meines Hirns, zurück zum Problem und in den Diskurs, und weiter fragen, prüfen, die Konsequenzen jedes Gedankens ausloten.
Wenn es eine unsterbliche Seele gibt, die selbst keine Körperlichkeit hat, wie interagiert sie dann mit dem Körper, mit dem Gehirn? Und da wir uns an frühere Inkarnationen nicht erinnern können, worin bestünde der Lerneffekt? Da wir voneinander lernen, auf den Überlieferungen, Texten, Erkenntnissen unserer Vorfahren aufbauen können, bedarf es noch einer weiteren Erklärung für den Fortschritt? Autsch! Ganz schön hart, der Boden! Nun gut, geh' ich mal weiter auf diesem Pfad.
Mit jedem Flüchtlingsboot, dessen Insassen gerettet und nach Europa, vornehmlich nach Deutschland gebracht werden, wächst die Motivation vieler junger Männer und weniger Frauen, sich aus ihren gescheiterten Staaten auf den Weg zu machen, ihr Hab und Gut Schleusern zu geben und sich selbst auf Seelenverkäufern über das Mittelmeer zu wagen. Und je mehr solcher Boote starten, umso mehr werden kentern. Umso mehr Menschen werden ertrinken.
Und wie viele Araber, wie viele Afrikaner, wollen wir in Europa versorgen? Die Bevölkerung Afrikas wächst in 9 Tagen um eine Million Menschen.[1] Krawamm! Das war jetzt aber eine harte Landung. Menno! Aber OK, mal sehen, wohin dieser Gedanke mich führen wird.
Diese Unrast, diese Unzufriedenheit mit der Bequemlichkeit angenehmer Weltanschauungen führt mich manchmal an Abgründe, manchmal in irre Labyrinthe oder an Grenzen des Denkbaren, wo meinem Hirn übel wird; immer wieder aber auch auf Ebenen der Rationalität, wo das Licht kalt und klar die Konturen eines jeden Gedankens in aller Schärfe sichtbar macht und kein Gefühl, keine Sehnsucht, kein noch so edler Wunsch die Sinne vernebeln.
Kein Sofa der Welt, sei es noch so weich und schön, kann es mit dieser kalten, klaren Atmosphäre des Weiterdenkens aufnehmen! Vielleicht sollte mein Hirn sich eine Katze anschaffen, damit das Sofa in meinem Kopf nicht unnütz rumsteht.
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