Der erste Schultag - Die Fortsetzung!!!steemCreated with Sketch.

in #deutsch7 years ago

Welches Schicksal erwarten Vasco, Hannes, Dominik & Kai?


Wer das, was bisher geschah nicht direkt abrufen kann, für den könnte der folgende Link hilfreich sein.

https://steemit.com/deutsch/@w74/der-erste-schultag-wenn-euphorie-und-ernuechterung-sich-treffen


erster Schultag Fotsetzung.jpg

Der erste Schultag - 2. Teil



Keine zwei Minuten, nachdem die Viererbande ihre Besitzansprüche manifestiert hatte, ergriff die Frau das Wort, die bisher nur als Fremdenführerin vom Schulhof ins Klassenzimmer wahrgenommen wurde.
»Alle hinsetzen und die Klappe halten!«
Dies war wahrhaftig der erste Satz der Grundschullehrerin Birgit Morgenstern, den sie überhaupt an das neu eingeschulte und mehr oder weniger wissbegierige Pack in dem Klassenzimmer der 1b richtete.
Vielleicht irritiert über die Lautstärke des Befehls, aber mit Sicherheit eingeschüchtert durch die resolute Art, mit der sich die Lehrerin an das Jungvolk wandte, kehrte augenblicklich die Stille in den Raum zurück, die erst kurz zuvor durch den Einmarsch der jungen Gladiatoren vertrieben worden war. Alle Erstklässler schauten gebannt auf die Lehrerin, die da vorne zwischen Pult und Tafel stand. Außer Hannes Scheit in der vorletzten Bank direkt neben dem Fenster, durch das ein freier Blick bis zur Hauptstraße gewährleistet war.
Hannes spürte in seinem noch so jungen Leben das erste Mal so etwas wie eine Seelenverwandtschaft. Da trat eine ihm wildfremde Person in sein unsortiertes Leben und bediente sich aus dem gleichen Wörtersee, in dem auch er immer wieder brauchbare Anwendungen fand. Birgit Morgenstern genoss ab diesem Moment seine volle Hochachtung.
Und man mag es glauben oder nicht, auch die junge Lehrerin hatte den kleinen Herrn Scheit mit dem lockeren Mundwerk schnell in ihr Herz geschlossen. Die nächsten vier Jahre empfand Hannes als das, von dem Wiederauferstandene immer behaupten, es sei der Himmel auf Erden.
»Wer von euch war schon zusammen im Kindergarten?«
Frau Morgenstern wartete geduldig darauf, wie viele Finger sich in die Höhe recken würden. Nachdem auch beim Letzten der Erstklässler die Frage im Hirnstübchen angekommen war, zählte die Klassenlehrerin sechzehn hochgestreckte Finger. Vier davon an den beiden letzten Tischen direkt neben dem Fenster. Sofort war klar, wo sie ihre Mission beginnen sollte. Doch bevor sie zur Tat schritt, bat sie jeden ihrer Schüler, doch einfach ein paar Sätze über sich zu erzählen. Es begann bei Paula Elst, erste Reihe vor dem Pult rechts und endete bei Vasco Ritter, letzte Bank an der Fensterseite links.
Die kurz vorgetragenen „Selbstportraits“ waren überwiegend typisch für Erstklässler. Es begann meist mit der Auflistung aller nahen Verwandten und Haustiere, ob noch lebend oder schon entsorgt, spielte dabei keine große Rolle, gefolgt von Leidenschaften, wie Singen, Tanzen, Fußball oder irgendwann mal einen eigenen Bagger zu besitzen (O-Ton Hannes Scheit), bis hin zu Wünschen bezüglich der Zukunft. Paula Elst wünschte sich jedenfalls zum nächsten Geburtstag einen Stallhasen. Darüber war jetzt die ganze 1b informiert. Martina Staller bedauerte schniefend den Verlust ihres dritten Hamsters und Vasco Richter erzählte nicht viel von sich, sondern hatte stattdessen mehr Fragen auf Lager. Zum Beispiel, warum die Schule nicht so lange wie der Kindergarten dauerte und warum es kein Mittagessen gab.
Birgit Morgenstern speicherte das Vorgetragene sorgfältig ab und beendete den ersten Schultag.
Ein paar Tage später begann das große Stühlerücken unter der Regie der noch immer resolut auftretenden Lehrerin. Anfänglich hegte die Viererbande noch Hoffnung, sie blieben von der Rochade verschont. Doch je näher Frau Morgenstern den hinteren Tischen kam, umso unguter wurde das Gefühl im Magen der Kindergartenfreunde. Als Erstes traf es Dominik, der seinen Platz räumen musste und mit seinem neuen Rucksack und gesenkten Hauptes vorne rechts neben Jens Bach seinen neuen Platz einnahm. Der nun freie Platz neben Hannes war reserviert für Eberhard Brill. Wahre Begeisterung über die Entscheidung mochte bei beiden nicht so recht aufkommen.
Dann, wie sollte es auch anders sein, dachte sich Vasco, war auch er schon an der Reihe. Dass es immer ihn traf, schrieb er seiner überschaubaren Größe und den langen roten Haaren zu. Mit der Größe hatte er in diesem Fall sogar nicht ganz so unrecht. Denn Kai konnte Frau Morgenstern unmöglich nach vorne verfrachten, da dann für die Schüler hinter dem damals schon Hochgewachsenen eine freie Sicht auf die Tafel nicht mehr möglich gewesen wäre. Doch die aufmerksame Pädagogin verfolgte mit diesem Schachzug ein ganz anderes Ziel. Ihr fiel an dem Tag auf, als sich ihre Schüler mit ein paar Sätzen etwas ausführlicher vorstellen sollten, wie unbeschwert Vasco seine Ausführungen vortrug ohne die nicht nur in diesem Alter üblichen äh und ah einzubinden, sondern das Ganze auch in einem fehlerfreien Hochdeutsch vortrug. Eine Fähigkeit, die die Mehrzahl seiner Mitschüler und Mitschülerinnen gänzlich vermissen ließen.
Birgit Morgenstern setzte ihre Hoffnung auf den Kopiereffekt, der damit eintreten könnte, wenn sie Vasco neben jemanden setzt, die oder der des Hochdeutschen momentan nicht mächtig zu sein schien. Um die Erfolgschancen dieses Experimentes zu erhöhen, musste Vasco seinen neuen Platz neben einem Mädchen einnehmen. Denn Jungs untereinander neigen eher dazu, in den üblichen Straßendialekt zu verfallen. In diesem Fall hatte sie an das zierliche dunkelhaarige Mädchen vorne am zweiten Tisch in der Mitte gedacht, deren etwas dunkler Teint auf einen Migrantenhintergrund schließen ließ. So führte sie Vasco nach vorne und bat Hanna Kranz, die neben dem dunkelhaarigen Mädchen saß, ihren neuen Platz neben Kai einzunehmen.
Hannes verfolgte diese Entscheidung mit größter Genugtuung. Denn rückblickend hatte es ihn dann doch nicht so hart wie Kai und Vasco getroffen. Ein Mädchen neben ihm, das wäre schon einer großen Katastrophe gleichgekommen. Was sollte man mit denen überhaupt reden? Dann war ihm Ebse doch schon lieber. Den würde er sich mit der Zeit schon zurechtbiegen.
So ist es der weisen Entscheidungen einer motivierten Grundschullehrerin zu verdanken, dass im Klassenzimmer 1b der Grundschule zwei Menschen plötzlich nebeneinandersaßen, die beide in der gleichen Stadt wohnten, aber sich nie vorher über den Weg gelaufen waren. Der kleine Mann mit dem schulterlangen roten Haar schaute zu dem Mädchen und sagte: »Ich heiße Vasco.«
Was er nicht sagte, sondern nur erleichtert zur Kenntnis nahm, war die Tatsache, dass dieses Mädchen so gar nichts gemein mit dem Typ Mädchen hatte, zu der seine Schwester gehörte. Überall von allem zu viel und ein loses Mundwerk noch dazu. Diese Sorte hätte er wohl nicht ertragen. Die junge Dame in ihrer Jeans und der karierten Bluse blickte zu Vasco und fragte: »Kann isch die mol aangeife?«
Vasco wusste sofort, was sie meinte. Er nickte nur. Ganz vorsichtig griffen ihre Finger in das rote wallende Haar.
»Die sinn soo scheen.«
Nach einer ganz kurzen Pause folgte dann noch: »Ich bins Selma.«
Selbstverständlich fiel Vasco sofort der tiefe Dialekt auf, den seine Tischnachbarin nutzte, um sich auszudrücken. Auch er hätte überhaupt keine Probleme sich sofort in diese Mundart einzufinden. Doch bei ihm zuhause war dies verpönt, er selbst hatte sich an das Hochdeutsch gewöhnt und nutzte den Dialekt eigentlich nur, wenn er mit den anderen drei Chaoten am Nachmittag auf dem Bolzplatz weilte. Aber auch dort nicht immer.
Frau Morgenstern ließ den neu gebildeten Pärchen ein paar Minuten Zeit sich zu beschnuppern, bevor sie mit dem Unterricht beginnen wollte. Dies nutzte Hannes zu einer Art Wiederannäherung an Eberhard Brill nach dessen nicht ganz freiwilligem Platzwechsel am ersten Schultag.
»Soll ich dir nachher ein Tattoo auf den Unterarm malen? Einen Dinosaurier oder ein Pferd? Ich kann dir aber auch einen Bagger malen.«
Ebse kannte ja schon Bilder von Hannes, die der im Kindergarten gemalt hatte und daher wusste er, dass es so schlimm nicht werden konnte. Aber gleich am ersten Tag? Mit welchen Vorschlägen würde er dann wohl morgen kommen? So entschied sich Ebse, Hannes bis auf morgen in der großen Pause zu vertrösten, da er sich über das Motiv noch nicht so ganz sicher sei. Der Filzstift-Tattoo-Künstler akzeptierte die Entscheidung seines potentiellen Kunden und drehte sich zu Kai um, der mit Hanna ganz zufrieden zu sein schien. Zumindest redeten die beiden miteinander. Da Hannes mit seiner Botschaft nicht länger hinter dem Berg halten konnte, unterbrach er die Unterhaltung am letzten Tisch und sagte: »Kai, morje losst sich de Ebse a Tattoo von mir schtesche.«
Warum auch er jetzt plötzlich in die Dialektkiste griff, bleibt rätselhaft. Vielleicht war er der Meinung, dass Eberhard ihn nicht verstehen würde, da der mit seinen Eltern erst vor zwei Jahren aus Hannover hierher gezogen war. Doch bei dem Wort stechen zuckte der junge Herr Blum zusammen. Hatte Hannes nicht vorher was von Malen erwähnt? In dieser Angelegenheit war definitiv das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zumal Kai seinem Freund noch für den Auftrag gratulierte und ihm den Ratschlag gab: »Aber mach was für die Ewigkeit.«
Als die Lehrerin auf ihrem Weg zum Pult am Tisch von Vasco und Selma vorbeiging, blieb sie kurz stehen und bat die beiden doch bitte nach der Stunde noch kurz zu ihr nach vorne zu kommen. Dann begann endlich der reguläre Unterricht. Der Schulalltag hatte die Schüler der 1b voll im Griff.

Sort:  

Echt schön. Man muss sich nur genug Zeit nehmen das zu lesen, ich fand es etwas schwierig durch den Richtigen Kern der Geschichte durchzudringen.
Auch bei deinen anderen Geschichten, die ich unbedingt auch noch nachholen muss, fand ich es immer schwierig anzufangen, ich hab mir immer den link gespeichert und gedacht 'das les ich später'.
Jetzt merke ich natürlich was ich verpasst habe, aber beim normalen durchblättern von Steemit war es mir nicht möglich konzentriert genug bei der Sache zu bleiben.

Auf jeden Fall ein dickes Dankeschön für die Geschichte :)

Edit: Ich verstehe übrigens nicht genau wieso das "alle hinsetzen und die Klappe halten" das erste war was sie zur Klasse sagte, hatte sie nicht im ersten Teil schon irgendwas gesagt? Irgendwie hatte sie doch die Kinder zum Hinsetzen gebracht, oder?

Da ich meine Steempower für heute verjubelt habe, kann ich dir erst morgen meine Kommentare zukommen lassen. Ist aber auch kein Beinbruch.
Im ersten Teil der Geschichte steht die junge Lehrerin im Stau und wird Ohrenzeuge der deutschen Dichtkunst in Form eines katastrophal schlechten Liedes. So wird ihr klar, dass sie mit den Vorgaben aus dem Kultusministerium grandios gescheitert ist. Daraufhin wirft sie alle pädagogischen Fesseln aus dem Fenster ihres Kleinwagens und verlässt sich nur noch auf ihr Bauchgefühl.
Daher dieser Einstieg. Kommt aber, zumindest bei Hannes, ganz gut an.
Gruß, Wolfram

Ok, dann hat sie also vorher nichts gesagt und die Schüler sind einfach nur wegen ihres Ausdrucks von Elan so schnell auf die Plätze gerannt? Sie kannten sie aber noch nicht, richtig?

Ganz genau!

Ja, mal sehen was sich so ergibt. Ich behalte die vier Rabauken auf jeden Fall im Auge.

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