Wie ich schnell lese, ohne dabei Informationen zu verlieren ~

in #deutsch7 years ago (edited)

Immer wieder bin ich von der Leistung, die unser Gehirn vollbringen kann, echt erstaunt.. ich kann z.B. einfach so, ohne größere Probleme, und ohne es jemals irgendwann geübt zu haben, 600 Wörter pro Minute lesen. Bei 700 Wörtern pro Minute wird es etwas anstrengender, mir zu merken, was ich gerade gelesen habe, aber dennoch kann ich es aufnehmen. Für ein schnelles überfliegen also völlig okay.

Damit du eine kleine Vorstellung davon hast, wie viele "Wörter pro Minute" (wpm, words per minute) man normalerweise so liest: bis zum Ende dieses Satzes hast du 94 Wörter gelesen.

Diesen Absatz habe ich grade einfach nochmal gelesen, und dabei die Zeit gestoppt. Ich kannte also den Inhalt schon, und habe dafür trotzdem 15,5 Sekunden gebraucht. Auf eine Minute hochgerechnet sind das also 363 Wörter.

Wie komme ich nun also auf 600-700? Dafür gibt es ein spezielles "Tool", doch zuerst möchte ich hierfür gerne die Grundlagen der menschlichen Informationsverarbeitung (nach S.Card et.Al.) darlegen.

Der menschliche Prozessor

Nach S.Card et. Al. kann man die menschliche Informationsverarbeitung grob in 3 Bereiche aufteilen. Natürlich ist dies eine vereinfachte Annahme, die tatsächlichen Vorgänge sind noch etwas umfangreicher. Für ein allgemeines Verständnis reicht dies aber allemal. Das Modell nennt sich "Human Processor Model" und lässt sich unter [1] nachlesen.

Perzeption

Die Perzeption beschreibt (grob gesagt) das perzeptuelle (also das sensorische) "Eingabesystem", das die Reize aus der Umwelt aufnimmt. Hierfür berechnet man etwa 50 bis 200 ms, je nachdem, ob man eher schnell oder eher langsam ist.

Kognition

Als Kognition wird der Prozess des "Erkennens" oder "Verstehens" bezeichnet. Die Zeit, die dieser Prozessor pro "Aktion" beansprucht, liegt bei ca. 25-170 ms.

Motorik

Motorik bezeichnet die motorische Ausführung, also quasi die Muskelbewegung. Hier ist der für diesen Fall interessante Punkt: unter Motorik zählt auch die Augenbewegung. Beim Lesen springen wir ständig von einem Wort zum nächsten, dann zur nächsten Zeile, zum nächsten Absatz.. usw. Generell wird für den motorischen Prozessor eine Zeit von ca. 30 bis 100 ms angegeben, die Augenbewegung jedoch wird mit 70 bis 700 ms berechnet.

die Augenbewegung..

Der Unterschied zwischen einem schnellen und einem langsamen Leser beträgt also bei der Perzeption 150 ms, bei der Kognition 145 ms und bei der Motorik 70 ms. Für die Augenbewegung sieht man eine beeindruckendere Zahl: hier liegt der Unterschied bei bis zu 630 ms.

Um einen Text zu lesen, muss man alle 3 Prozessoren durchlaufen. Erst schaut man das Wort an und nimmt es dadurch auf, dann erfasst man den Sinn dieser Buchstabenkonstellation und anschließend springt man zum nächsten Wort.

Wenn das nur nicht so lange dauern würde..

..also lassen wir sie doch einfach weg!

Genau das dachten sich auch die Ersteller von "Spritz" [2]. Wenn man den letzten Prozessor einfach überspringt, kann man deutlich mehr Wörter in derselben Zeit lesen. Das Team hat sich um alles gekümmert - die Wörter werden nacheinander präsentiert, wobei genau auf die Wortposition und die Geschwindigkeit geachtet wird [3].

Jeweils ein Buchstabe pro Wort wird rot markiert, sodass man diesen Punkt fokussiert (rot in Kombination damit, dass es der einzige rote Buchstabe ist, ist für den Menschen ein präattentiver Reiz. Das bedeutet, er zieht automatisch die Aufmerksamkeit auf sich, ohne, dass wir darüber nachdenken müssen 😉). Die anderen Buchstaben kombiniert unser Gehirn automatisch zu einem sinnvollen Wort.

Dabei werden Muster von bereits bekannten Wörtern verglichen, sodass einfach zu erkennende Wörter (da sie "einzigartig" aussehen) kürzere Verarbeitungszeit benötigen, als Wörter, zu denen es viele ähnliche Wörter gibt, sodass man sie etwas länger betrachten muss, um zu wissen, welches Wort man da nun eigentlich wirklich vor sich hat.

Außerdem macht man meistens mental eine kurze Pause, wenn man einen Satz zuende gelesen hat, um die ganzen Wörter wirklich sinnhaft zusammenzufügen. All diese Faktoren (und noch weitere, wie z.B. die Schärfe des Sichtfeldes) bezieht Spritz mit ein, sodass man einen flüssigen Lesefluss erreicht, ohne die Augen bewegen zu müssen. [4]

Grade auch um Steemit-Artikel zu lesen (die meiner Meinung nach leider manchmal etwas ZU lang sind - also mit zu viel Füllstoff, wenn man wirklich nur die Infos extrahieren möchte :D) finde ich diese Möglichkeit super. Man verpasst nichts, und kann seine Zeit gut einteilen. Ich persönlich finde z.B. öfter interessante Artikel, die ich mir dann aber aufgrund der begrenzten Zeit, die mir zur Verfügung steht, einfach bookmarke.. und dann geraten sie in Vergessenheit. Mit 600 wpm aber kein Problem mehr - ist ja eh schnell durch. 😁

Wenn du das ganze auch mal ausprobieren möchtest, solltest du aber nicht gleich bei so einer hohen Zahl einsteigen - jeder muss für sich die passende Geschwindigkeit finden. Ob es zu langsam ist, merkt man eigentlich daran, dass man sich beim lesen schon langweilt, weil man auf das nächste Wort wartet...


Alle Angaben hier natürlich nur nach meinem eigenen Verständnis, hab's nicht selber nachgeforscht :)

Quellenangaben

[1] Human Processor Model
[2] Spritz
[3] Die Wichtigkeit der Wortposition
[4] Pausen und die Länge der Wörter
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Entgegen der meisten Schnellleseratgeber ist das wohl auch eine der wenigen Methoden, die wirklich hilfreich sind.

Die beste Methode zum schnelleren Lesen liegt aber auch nicht in der Lesetechnik, sondern in der Auswahl des zu Lesenden. Ich glaube auch, wenn man sich beim Lesen beeilen muss/will, ist es der Text auch oft nicht Wert gelesen zu werden. Da reicht dann auch die Überschrift oder Überfliegen.

jupp, interessante Texte wird man wohl eher schnell aufsaugen als langweilige :)
aber manchmal "muss" man Texte ja auch lesen, wegen Schule/Studium/Arbeit etc.. dann kann das schon ganz schön anstrengend sein, egal wie lang er ist, sich da richtig zu konzentrieren und nicht immer wieder abzubrechen...

Super Technik und ein praktisches Tool am Browser.

Kommt es zu physischen Werken, benutze ich immer meinen Zeigefinger, der mit jeder Zeile mitgeht. So hat mein Auge immer einen Fixpunkt - habe das Gefühl, das ich sogar dadurch schneller lese.

Dein Text war mir viel zu lang. Hab ihn trotzdem gelesen :)

xD bestimmt nur wegen dem Pinguin!

Sehr gut geschrieben👍

Habe es auch immer mal versucht, so richtig schnell werd ich nur iwie trotzdem nicht... Das berühmte "querlesen" krieg ich auch überhaupt nicht hin 😅

Oh mein Gott, wie gut ist das denn. Ich hab mal den Link da ausprobiert und die Tests da gemacht, ich war richtig geflashed.

Bis 550 Wörter pro Minute geht das bei mir echt noch ganz gut, wenn ich höher gehe, fängt es an anstrengend zu werden. Ich bin erstaunt wie gut das funktioniert.

Dass die Artikel hier auf steemit oft immer länger werden finde ich auch schade. Ich denke man assoziiert Länge mit Qualität und glaubt, ein längerer Artikel ist auch qualitativ hochwertiger. Sodass man selbst auch immer längere Artikel schreibt.

Meiner Meinung nach braucht man zum Lesen des ein oder anderen Artikels aber auch länger, weil er voll mit Stolpersteinen ist. Damit meine ich Tipp- und Rechtschreibfehler. Aber auch grobe Grammatik-Schnitzer. Für die "interne Korrektur" braucht unser Hirn auch nochmal etwas Zeit vermute ich.

Ein kleiner Tippfehler:

Für ein schnellesb

Scnr :)

ohja. Wenn sich das häuft, hab ich dann immer so das Bedürfnis, als Kommentar zu schreiben, dass ich den Artikel echt gerne gelesen hätte, aber irgendwann aufgrund der Fehler abgebrochen habe.. aber man will ja auch nicht immer der böse böse Grammarnazi sein :P
Wenn das "Muster" trotzdem stimmt, erkennt das Gehirn trotzdem super schnell welches Wort es ist - da man ja eh nie Buchstabe für Buchstabe liest, sondern eben das Wort als Ganzes betrachtet. Wenn die Fehler zu grob werden, klappt das aber nicht mehr ...

Von dem her; danke für die Aufdeckung des Tippfehlers, ist nun korrigiert :P hoffe, dass sich ansonsten keine Fehler eingeschlichen haben ^-^

Habe zumindest keine anderen gesehen ;) bin aber auch kein Profi.
Sind ja nicht immer Tippfehler die den Lesefluss stören. Manchmal schreibt man manchmal ein Wort doppelt im Satz, das ließt sich dann auch holprig. (Das war jetzt Absicht)

Die Augenbewegung ist meines Wissens nach gar nicht der Flaschenhals bezüglich der Lesegeschwindigkeit. Vielmehr ist es die gedankliche Vertonung des gelesenen Wortes, welche die Lesegeschwindigkeit drosselt. Dieser Bremsklotz bleibt auch bei dem Ansatz von Spritz bestehen.

Es ist aufwendig aber offensichtlich erlernbar, sich die innere Vertonung abzugewöhnen. Dann werden radikal andere Lesegeschwindigkeiten möglich. Worte, bzw. ganze Satzfragmente werden dann nur noch visuell als Relief erfasst und verstanden. Bietet sich aber offenbar nur für faktische Texte an, da eine emotionale Anknüpfung an das Gelesene nur mit innerer Vertonung gelingt.

hm, darüber hab ich tatsächlich noch gar nicht nachgedacht. Es wird aber wohl immer mehrere Faktoren geben, die abbremsen. :)
Manchmal lasse ich automatisch die innere Vertonung weg, hab dann aber das Gefühl, das Gelesene weniger ausführlich wiedergeben zu können, wenn mich jemand danach fragt. Trotz dass ich den Inhalt eigentlich verstanden habe. Wiederholung dient ja auch als Festigungsprozess, vielleicht fehlt das da?
Hast du zufällig Lektüre dazu parat? :)

sehe das zwiegespallten (im Kontext wissenschaftlichen Austauschs), wenn es um Dinge geht, bei denen ich User selektieren will, scheiß ich auf Menschen, die keine langen texte lesen können. Das sind Individuen mit denen man was intellektuellen Austausch angeht, logischerweise aufgrund ihrer Kapazitäten nichts aufbauen kann. Wenns einem um die Quoten oder Wissensvermittlung geht (für die man schlicht entlohnt werden will) dann ist das ein wunderbares Werkzeug. Physiologisch läuft es z.B. mit der Perzeption nicht so ab, wie du geschildert hast. Das ist lediglich ein Modell, zu dem es Gegen-Evidenz gibt (wer die Falsifikation von vermeintlichen Fakten ignoriert, der ignoriert Wissenschaft). Das richtige würde somit nie Gehör finden, wenn jeder nur reduktionistisch vorgeht. Um Fäden anzulegen ist es super und der Artikel bekommt natürlich 100% Upvote und Resteem

Magst du mir die Gegenevidenzen schildern/nen Link zu geben? :) das ist das, was ich so erzählt bekommen & gelesen habe, und wie es für mich auch Sinn ergibt. Aber wie in so vielen Dingen gibt es wohl auch hier Meinungen dagegen. Perzeption ist für mich das "unverarbeitete", sensorisch aufgenommene. Reize aus der Umwelt, die dann in Signale umgewandelt und im Gehirn weiterverarbeitet werden. Was ist dazu die Gegenposition?

Danke für Vote & Resteem :)

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Ich kann mich noch erinnern als ich vor zwei oder drei Jahren Spritz entdeckt habe und mich das sofort in den Bann gezogen hat. Ich wollte uuuunbedingt schneller lesen und das Gelesene aber auch auf Anhieb verstehen und ich hab dann ständig wo und wann ich nur konnte 'trainiert'. xD Aber ich glaub mittlerweile bin ich wieder ne Schnecke beim Lesen :D

Ahja ich liiiiebe die Sketches die du immer machst!

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