Der Lüstling in Bronze

„Paaapaaaa? Jeehste mit mir raus?“ Meine vierjährige Tochter
versetzt mich mal wieder mit ihrem entzückenden Blick in
Hypnose. Das kann sie verdammt gut. Sie muss diese Fähigkeit
von ihrer Mama geerbt haben. Eigentlich fehlt mir gerade die
Lust das Haus zu verlassen. Ich blicke aus dem Fenster.
Das Wetter scheint an diesem Tag fantastisch zu sein. Es ist ein
sonniger Tag. Ein wunderbarer Sonntag nach dem Frühstück im
Mai.

„Ok, lass uns spazieren jehn.“ entscheide ich mich, und zwinker
ihr zu. „Juhu! Ick will aba meen Fahrrad mitnehmen, zum
Spielplatz, und dann zu Salvatore ein Eis essen!“ „Ok!“ rufe ich
ihr zu. Sie ist schon längst im Flur, hat ihre Schuhe an, und sucht
hüpfend ihr Fahrradhelm. „Wo isn meen Helm?“ „Im Keller Süße!“
Ich ziehe mir nun ebenfalls schnell meine Schuhe an. Während
sie schon die Wohnungstür aufreißt und die Treppe lautstark
herunterpoltert.

Unten vor der Kellertür bleibt sie stehen, und singt „Das ist Bibi
und Tina, auf Amadeus und Sabrina…“. Als ich auch unten bin,
sieht sie mit fordernden Blick wechselnd zu mir und dann zur
Kellertür. Nonverbale Kommunikation sozusagen. Ich schließe
die Kellertür auf, gehe die Kellertreppe runter um das Fahrrad
zu holen. Meine Tochter ruft mir ermahnend hinterher „Verjiss
aber nich meen Helm, Papa!“ „…sie jagen im Wind, sie reiten
geschwind….“ singt sie weiter.

Als ich mit Fahrrad und Helm wieder oben bin, gehen wir auf
den Hof. Sie hält ihr Fahrrad fest. Derweil setze ich ihr den Helm
auf, und mache den Verschluss vom ihrem Helm zu. „Mann Papa,
wie lange dauert dit denn?“ schimpft sie mit mir ungeduldig.
Dann fährt sie flink über den Hof, raus auf dem Gehweg, Richtung
Gemeindepark. „Hufe klappern, Pferde trappen, springen über
Wassergraben….“ Meine Tochter fährt sehr vergnügt auf ihrem
Fahrrad, und singt dabei unentwegt das Lied von Bibi und Tina.
Ich laufe hinterher, immer wieder rufend „Langsamer bitte,
langsamer!“.

Wir erreichen nach ca. 10 Minuten den Spielplatz im Park.
Auf dem Spielplatz tobt sie sich erst mal aus. Nach 20 Minuten
etwa erklärt sie mir, das sie keine Lust mehr hat, auf dem
Spielplatz zu sein, weil von ihren Freundinnen niemand da ist.
Wir beschließen neben an in den kleinen Garten zu gehen.
Dort ist es immer sehr ruhig. Der Garten ist schön angelegt,
schattig, etwas verwinkelt mit Bänken. Wir zwei sind scheinbar
allein in diesem Garten.

Wir einigen uns, das ich mich zum Relaxen auf eine Bank setze,
und sie mit ihrem Rad hin und her fährt. Nach kurzer Zeit aber
lehnt sie ihr Fahrrad an die Bank, auf der ich saß. Sie läuft
singend mal da hin und mal da hin, und untersucht die Knospen
an den Büschen. Irgendwann sehe ich sie nicht mehr. Ich höre
sie aber noch singen: „Über Stock und über Stein, wer kann das
wohl sein…“ Ich schließe meine Augen, lehne mich auf der Bank
zurück und genieße den Moment.

Ganz in der Nähe ist ein kleiner künstlich angelegter Teich mit
einer beruhigend plätschernden Fontäne. Das Geräusch der
Fontäne zusammen mit dem Vogelgezwitscher und dem leisen
Blätterrauschen lässt mich etwas hinweg träumen. Dazu höre
ich mein kleines Mädchen singen: „Das ist Bibi und Tina…“ .
Plötzlich steht sie wieder vor mir und reißt mich aus meinen
Tagtraum: „Papa, ick hab den Pullermann von den Mann da
anjefasst.“ Ich öffne blitzschnell wieder die Augen.

Wie ein Echo wiederholt sich dieser Satz nochmal in meinem
Kopf. Habe ich gerade richtig verstanden? „Wat hast du jesagt?“
frage ich meine Tochter. „Na, da hinten steht een nackter Man.“
erklärt sie mir. Ich stehe sofort auf, und rufe sehr laut: „Wo?“.
Mein Töchterchen fordert mich auf: „Na dann komm mal mit!“.
Sie flitzt in Richtung, aus der sie gekommen war.

Ich laufe hinterher, mit den Gedanken im Kopf, wie: „Dem Kerl
werde ich aber was erzählen. Der kann was erleben.“ Mir fallen
plötzlich jede Menge gemeine Dinge ein, die ich dem Mann antun
könnte. Wenn ich den Kerl in die Finger kriege. Mein Tochter bleibt
stehen. Sie hebt den rechten Arm nach oben. Mit Ihrem Zeigefinger
zeigt sie auf eine Bronzefigur. Diese Bronzefigur steht in genau der
gleichen Position da, wie meine Tochter gerade. Ein nackter Mann
mit sportlicher Figur wird dargestellt.

Meine Tochter und ich sehen uns an und fangen laut an zu lachen.
Interessant und auffällig war, dass die Bronzefigur komplett mit
Grünspan überzogen ist. Jedoch die intimste Stelle des
Bronzemannes ist bei dieser Skulptur wie blank geputzt.
Offensichtlich wird diese Stelle regelmäßig von Parkbesuchern
berührt. Ich schüttel nochmal erleichtert den Kopf.

„Jehn wa nu zu Salvatore ?“ fragt mich mein Töchterchen mit
entzückender Miene. Na klar, jetzt jehn wa Eis essen! Salvatore
ist eine echte italienische Eisdiele direkt gegenüber dem
Gemeindepark. Wie immer bestellt meine Tochter eine Kugel
Zitroneneis in eine Waffeltüte. Ich bestelle mir eine Kugel
Walnuss im Becher. Vor der Eisdiele essen wir genüsslich unser
Eis, und machen uns dann auf den Weg nach Hause.

„ Ick kann nicht mehr, Papa. Nimmst de meen Fahrrad? Mein
Töchterchen setzt wieder ihre Geheimwaffe ein. Hypnotisiert
und willenlos schwinge ich das Puky-Rad auf die Schulter, und
nehme ihren Helm in die Hand. Das Lied von Bibi und Tina singt
sie nun nicht mehr. Sie ist ist sichtlich müde. Zuhause
angekommen, klingelt meine Tochter Sturm. Als ihre Mama die
Tür öffnet, überfällt sie ihre Mama gleich mit den Worten:
“Im Park wa een nackter Mann. Ick konnte sein Pullermann
sehen,und anfassen!“ Meine Frau sieht mich fragend an.
Ihr Blick ist streng, der mir sagt, das ich hier, jetzt und sofort
eine plausible Erklärung abgeben muss. „Sie meint eine
Bronzefigur im Garten hinterm Spielplatz.“ sage ich zu ihr.
Ich beschreibe ihr die Figur. Meine Frau lächelt erleichtert.

Ich ziehe mir meine Hauslatschen an und gehe ins Wohnzimmer,
um mich wieder auf Sofa zu legen. Dorthin, wo der kleine und
nette Sonntagspaziergang mit meinem Töchterchen seinen
Anfang nahm. Aber auf dem Sofa liegt ja schon meine Tochter
und schläft . Sie war wohl erledigt und müde. Ich setze mich nun
in den Sessel gegenüber, und sehe von dort aus meine kleiner
Tochter beim schlafen zu. Was kann es Schöneres geben.
Wie schön sie ist.

Liebe Grüße an alle Steemitfreunde!
Totila