Mein Philosophieunterricht in der 8. Klasse

in #deutsch7 years ago

war der beste Schulunterricht, den ich je hatte! Ich nörgel viel und gerne über unser Schulsystem, aber es ist ja nicht alles schwarz oder weiß.

Da Philo in der Mittelstufe damals etwas brandneues war vielleicht kurz die Erläuterung: ihr kennt ja alle noch, dass man sich zwischen katholischem und evangelischem Religionsunterricht entscheiden muss? Die, die sich das nicht antuen wollten, haben bei uns Philosophie belegt.

Die Klassengemeinschaft mit der ich von der 7. bis zur 13. Klasse Philosophie hatte, hat sich kaum verändert. Wir hatten Anarchisten mit langen Haaren - so wie die meisten Metaller super freundliche Menschen, 1-2 sehr negative Menschen mit hervorragendem zynischem Humor, radikale linke Atheisten (mich und andere), 3 Moslems und einen schwulen Christen. Dazu gab es auch noch ein paar "normale" Menschen, die waren aber in der Unterzahl.

Alleine durch diese Zusammenstellung gab es interessante Gespräche, aber in der 8. Klasse hatten wir eine Lehrerin, die gerade ihr Referendariat beendet hat und uns leider auch nach 1-2 Jahren wieder verlassen hat. Es war die Blütezeit des Philosophieunterrichts am Gymnasium Hochdahl, daher möchte ich ein paar der positiven Erfahrungen die sich aus der Zeit in mein Gehirn gebrannt haben mit Euch teilen.

Die Rednerliste

Ziel des Philosophieunterrichts ist, dass die Schüler selbständig moralische Werte entwickelt. Rege Diskussionen statt Frontalunterricht wird auch im Lehrplan nahegelegt. Unsere Lehrerin hat daher die Rednerliste eingeführt, ein einfaches System: Jeder, der sich meldet, wird nacheinander auf die Liste gesetzt und die Liste wird dann von oben nach unten abgearbeitet.

Dadurch musste man zwar oft 2-3 Vorredner abwarten, bis man seine Antwort gibt, aber man musste nicht die ganze Zeit wie ein Affe seine Hand heben und man kam auch garantiert dran. Eigentlich war es als ein Witz gemeint, als wir unserer Lehrerin sagten, sie müsste sich auch auf die Liste setzen lassen, wenn sie etwas sagen will. Überraschender Weise hat sie eingewilligt. Sie hat zwar immernoch den Unterricht an- und abmoderiert, aber in den Diskussionen musste sie die gleichen Regeln befolgen wie alle anderen auch.

Unsere Lehrerin hat nur einmal die Diskussion gestoppt als 3 Redner ihren Beitrag mit "und deswegen ist die Kirche für den Arsch!" beendet haben und mit dem Finger auf den einzigen Christen in der Klasse zeigten. Uns wurde vorgeworfen wir würden ihn wegen seine Religion diskriminieren, dabei wollten wir doch nur memen...

Das Fest der Völker

Was ist eigentlich Propaganda? Für viele sind bereits der Spiegel und die Tagesschau böse Staatspropaganda... und sie haben Recht! Da sich in der modernen Informationsgesellschaft Propaganda sehr weit entwickelt hat, tut es gut sich mal mit etwas Ur-Propaganda der Nazis zu beschäftigen um zu sehen wie sowas eigentlich funktioniert.

Wir haben uns Ausschnitte aus dem Originalfilm "Olympia" von Leni Riefenstahl angeguckt und dabei analysiert wie und wo unterbewusste Beeinflussung des Zuschauers erreicht wird, z.B. werden weiße Athleten aus der Froschperspektive gezeigt, also von unten, während Asiaten auf Augenhöhe sind und andere Rassen auch gerne mal von oben herab gezeigt werden. Die berühmte Turmsprungszene, in der arische Männer anscheinend fliegen, weil der Film rückwärts abgespielt wird, sorgt auch dafür das vermittelt wird, dass wir mehr als nur einfache Menschen sind.

Auch wenn man mit kritischem Blick auf Olympia guckt, kommt man nicht drum herum die Schönheit des Films anzuerkennen. Von einer technisch-ästhetischen Perspektive ist es ein sehr guter Film. "Production Value" nennt man das wohl heutzutage.

Leni Riefenstahl wurde 100 Jahre alt und konnte sich nie recht mit den Greueltaten des 3. Reichs abfinden, daher sind sie und ihre Filme ein wesentlich interessanteres Diskussionsthema als das übliche "Hitler und Nazis sind doof"-Gelaber. Stimmt zwar, aber man sollte auf die Details gucken und nicht die einfache Erklärung suchen, dass alle Unterstützer der NS Psychopathen waren.

Der Islam

Wie bereits erwähnt hatten wir auch drei Muslime in der Klasse. Sie haben sich eigentlich nie an den Diskussionen beteiligt. Wenn sie mal direkt von der Lehrerin angesprochen wurden, habe sie gestammelt als würde man sie nach der Lösung einer quadratischen Gleichung fragen, obwohl es um moralische Fragen ging, die meiner Meinung nach jeder beantworten können sollten. Ich konnte die drei privat auch nie gut leiden, sie waren für mich immer diese schlechten Moslems, die nur mit ihresgleichen rumhängen auch wenn sie ein, zwei nicht-islamische Alibifreunde hatten.

Irgendwann waren dann mal wieder Projektwochen und "Religionen" war das Thema. Natürlich haben sich die Moslems den Islam als Thema ausgesucht und naja, es war mit Abstand der beste Vortrag von allen. Sie haben uns ziemlich genau erklärt warum sie die Antworten, die wir in Kant, Freud und Aristoteles suchen, in ihrer Religion finden und auch warum sie glauben, dass dies besser sei. Moralische Werte machen erst Sinn wenn man sie in einer Gruppe anwendet, man kann ja den ganzen Tag über sozialistische Utopien und moralisch wertvolles Handeln reden, wenn man diese nicht lebt (da es keinen Konsens gibt) passiert nicht viel. Die Religionsgemeinschaft ist für sie eine Gruppe, die anhand eines moralischen Kodex handelt und somit erst die Grundlage für eine Gemeinschaft in der man teilt und sich gegenseitig unterstützt.

Ich kann es leider nicht mehr genau wiedergeben. Der Vortrag war anderthalb Stunden lang und fast zwanzig Jahre her, aber ich kann jedem nur empfehlen sich mal mit einem Moslem ausführlich über den Islam zu unterhalten. Oft sind die Regeln und lehren viel klarer und vernünftiger als im Christentum. Man glaubt z.B. an Selbstverteidigung im Gegensatz zu den Christen, die die andere Wange hinhalten sollen.


Vor dem aufblühen der deutschen Nationalisten und dem islamischen Terror, was beides gerne etwas überdramatisiert wird, konnte man noch wesentlich offener über das alles reden. Aber bei mir in den Kommentaren wird nichts zensiert (außer Spam).

Sort:  

Ich wünschte, ich hätte Philo in der Schule gehabt. Aber die Auswahl war besch.... eiden.

Ja ja bescheiden.

Gute Wahlfächer waren bei uns auch eher selten. Wo kommt man denn auch hin, wenn ein Kind nicht 4 Jahre lang eine zweite Fremdsprache lernt...

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Hier wurdest du erwähnt: https://steemit.com/ocd/@ocd/ocd-international-daily-issue-25.
Der vote von acidyo kommt noch.

War gestern nicht viel on. Danke für die netten Worte und die dicke Vote. Eigentlich dachte ich, dass mein Philo-unterricht eher etwas ist, dass für mich sehr prägend war, aber für Leser etwas langweilig als Erzählung ist.

Wenn es dann als Juwel bezeichnet wird und ein 16$ Payout hat, ist das ein guter Balsam für meine melancholische Seele. Vielleicht poste ich doch wieder öfter etwas auf Steemit ;).

Mach ich doch gerne.

Bei mir war leider der Philosophie Unterricht in der Schule ziemlich schlecht. Der Lehrer stand vorne hat was über alte Philosophen und ihre Philosophie gelabert, dann wurde diskutiert warum diese Meinung richtig war und wer was anderes behauptet hatte oder dagegen argumentiert hat, hat ne schlechte Note bekommen.

lol, das hört sich ja grauenhaft an. Bei mir waren selbst die anderen Philosophie Lehrer eigentlich ganz gut - war mehr Frontalunterricht, aber es wurde trotzdem diskutiert. Wie kann man denn Philosophie lehren und dabei kritisches/selbständiges Denken aus dem Unterricht ausschließen?

Deswegen war es eins meiner Hassfächern entsprechend war auch die note 3-4.

Naja an der Uni ist Philosophie auch wieder schrecklich. Die Themen sind vielleicht ganz interessant, aber es geht nur darum welche Theorien und Meinungen alte Philosophen dazu aufgestellt haben. Die eigenen Theorien und Meinungen zählen da nicht viel.

Die Schule hat es auch grundsätzlich drauf einem Sachen mies zu machen. Ich habe angefangen alle Filme und Serien auf Englisch zu gucken, als ich es nicht mehr lernen musste...

schön zu lesen !

Philosophie in der Schule ist wie eine Flasche Wodka für einen Säugling.

Im Übrigen brauchten deutsche Nationalisten nicht aufblühen. Sie waren immer da.

Falls jemand mitliest: Viele Grüße an Unkoscher, Levke Hadden, Osiris und Ede Pazonka! :)

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