Zur Thüringen Wahl
Die Medien überschlagen sich, zur Wahl in Thüringen, gerade mit Superlativen. Es hat ein Überbietungswettbewerb eingesetzt, wer die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich am stärksten verteufelt. Moment Kemmerich, FDP? Was ist da passiert? Ist Kemmerich, den kaum jemand kannte, nicht ein völlig unauffälliger Mann aus den Reihen der ebenso unauffälligen FDP?
Das Zauberwort heißt hier Kontaktschuld, ein Begriff, der im Zuge des Radikalenerlasses unrühmliche Konjunktur im deutschen Nachkriegsrecht fand. Später wurde dasselbe Schwert nicht im juristischen Sinne, sondern als soziales Konstrukt von linken Gruppierungen übernommen.
Kontaktschuld ist eine indirekte Schuld, die eine Person sich in den Augen der Ankläger aufbürdet, wenn sie sich dem bloßen Verdacht aussetzt, mit dem „falschen“ in Kontakt getreten zu sein. Der Kontakt zum „Feind“ muss nicht aktiv gesucht werden. Es ist völlig ausreichend, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort war oder sich nicht aggressiv genug abgegrenzt hat. Verwand hiermit ist, das bekämpfen von Plattformen des politischen Gegners. Wer dem Falschen die Möglichkeit der Rede bietet, der macht sich der besonders schweren Tat schuldig, denn es wurde Raum gegeben, wo keiner zu Geben ist.
Genau das ist am 05.02.2020 in Thüringen passiert. Ein des Rechtsextremismus unverdächtiger Mann aus einer unverdächtigen Partei wurde in einen demokratisch korrekten Vorgang zum Ministerpräsidenten des Landes Thüringen gewählt und alle sehen die rechtsextreme Machtübernahme mit dem Untergang der Demokratie. Kafkaesk!
Besorgniserregende Entwicklungen
Schon in vorherigen Beiträgen habe ich beschrieben, dass für viele die Demokratie nur so lange eine Option ist, wie alles so läuft wie gewollt. Eigentlich ist das emotional verständlich. Ein Problem entsteht, wenn die Eliten aus Journalismus und Politik persönliches Empfinden zum Maßstab des Notwendigen erheben. Eindrucksvoll ist hier, wie so häufig, die Zeit, dieses Zitat aus Zeit-Online spricht für sich:
Es gibt einen Mann, der das hätte verhindern können, er heißt Mike Mohring. Er hätte, als all das sich abzeichnete, und spätestens, als Kindervater und Kemmerich ihre Kandidatur erklärten, seinerseits sagen müssen: Wir, die CDU, die Volkspartei der Verantwortung und Stärke, der staatspolitische Sicherheitsgarant – wir stellen jetzt einen eigenen, einen vierten Kandidaten auf. Am besten ihn, Mohring selbst. Damit hätte Mohring die Opposition gespalten. Die FDP hätte Kemmerich gewählt, die CDU ihren eigenen Kandidaten, und die Stimmen der AfD wären egal gewesen. Ramelow wäre Ministerpräsident geblieben, aber, nun, na und?
- Martin Machowecz in der Zeit
Selten habe ich jemanden so klar sagen hören, dass Wählerstimmen nur wichtig sind, wenn sie der vorher festgelegten rechten Sache dienen. Leider ist es so, dass in meinem linken Umfeld seit neuesten öfter in genau dieses Horn gestoßen wird. Demokratie schon und gut, aber eigentlich ist klar, wohin die Richtung zu gehen hat. Es ist weiterhin klar, wer gut und wer böse ist. Machen wir uns nicht vor, das heißt nichts anderes, als das Demokratie nur ein Feigenblatt zur Herrschaftslegitimierung zu sein hat.
Das alles ist besorgniserregend. Sicher ist, dass die Ereignisse vom 06.02.2020 etwas losgetreten haben. Sicher war es überraschend. Es ist aber möglich, dass die Wirkung der Ereignisse in ganz anderer Richtung verheerend sein werden, als viele jetzt denken (sollen).
Unerwartete Folgen?
Eine freie Wahl ist eine freie Wahl. Es gibt wenig Möglichkeiten die AFD zu hindern zu wählen, wen sie zu wählen beliebt.
Was wäre, wenn die AFD sich den Spaß erlaubt hätte Ramelow zu wählen und aus CDU und FDP niemand. Wäre Ramelow dann Ministerpräsident von AFD Gnaden? Oder sähe die Welt für alle Linken dann ganz anders aus?
Demokratisch bedenklich wäre es doch, wenn die CDU und FDP niemanden aufstellen würde, aus Angst die AFD könnten sie wählen. Die Ereignisse in Thüringen entscheiden, wie gut unsere Elite mit ungewollten Wahlergebnissen umgehen kann.
Sollten die Politiker aus CDU und FDP jetzt den rufen nachgeben und aus Opportunismus Neuwahlen mit dem von den Eliten gewünschten Ergebnis liefern, dann ist klar, dass das, was angestoßen wurde, verheerend. Die Frage ist, ist der Dammbruch verheerend, oder ist ein anschließendes höher ziehen der Dämme verheerend?
Der Verweis auf die Kontaktschuld würde ein beständiges Bestimmen einer Minderheit über eine Mehrheit legitimieren. Der Anlass wird im Nebel verschwinden, die Wirkung wird real sein.
Es ist kafkaesk!
Dieser Artikel erschien zuerst auf sniemeyer.de
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