Ideologie 046 - Grosse Präsenz für die Rechten - Frankfurter Buchmesse

saamychristen (67)in #deutsch • 7 years ago (edited)

14. Oktober 2017

Als ob der Erfolg der rechts-bürgerlich ausgerichteten Partei Alternative für Deutschland bei allen Wahlen 2017 [1] nicht schon genug des Üblen für ihre Gegner gewesen wäre, tut sich im Bereich der Literatur ein weiteres Fenster für Ungemach auf. Denn, einmal mehr scheinen die Kämpfer gegen «Rechts», für «Toleranz», «politische Korrektheit» und «Menschlichkeit» nicht verstanden zu haben, auf welchen Säulen insbesondere publizistischer Erfolg aufbaut. Ich habe das auch nicht in Gänze verstanden, glaube aber genau zu wissen, dass öffentliche Aufmerksamkeit und Präsenz durchaus wesentliche Komponenten sind.

Welcher Art diese Komponenten zugewiesen werden können, positiv oder negativ, skandalös ist nicht in erster Linie entscheidend. Wer Aufmerksamkeit bekommt, erhält eine Gelegenheit, sich zu präsentieren. Wird diese Gelegenheit nicht völlig verpatzt, kann man daraus meist zugeneigtes Publikum generieren. Auch wenn jemand in einem medialen Erzeugnis als unmöglich dargestellt wird, heisst das längst nicht, dass dieses Bild in exakt dieser Form zu den Lesern, Zuschauern oder Zuhörern transferiert werden kann.

In Deutschland findet an diesem Wochenende die grosse Buchmesse in Frankfurt statt [2], die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels [3] 1949 gegründet wurde und seither jährlich abgehalten wird. Wer sich Medienberichte zu dieser Messe ansieht, sieht nicht etwa die Literatur selbst im Mittelpunkt, sondern einige Verlage, bei denen Bücher veröffentlicht werden, die politisch im konservativen, rechten oder rechtspopulistischen Lager verortet werden.

Namentlich sind das:

die Junge Freiheit Verlag GmbH & Co. [4], Wochenzeitung und Verlag mit Chefredakteur und Geschäftsführer Dieter Stein [5]. Beheimatet in Berlin.
der Verlag Antaios [6] mit Geschäftsführer Götz Kubitschek [7], der einst für die Junge Freiheit tätig war. In Schnellroda (Sachsen-Anhalt) zu Hause. An den Verlag ist ein Institut angeschlossen, das Institut für Staatspolitik (IfS) [8], dazu erscheint in diesem die Zeitschrift Sezession.
der Manuscriptum Verlag mit Geschäftsführer Thomas Hoof [9], der einst Landesgeschäftsführer der Grünen in Nordrhein-Westfalen war. Beheimatet in Berlin.

Die drei genannten Verlage finden in der deutschen Öffentlichkeit nicht in grossem Umfang Beachtung. Trotzdem werden sie wahrgenommen, auch aus dem Ausland. Götz Kubitschek, der auf einem Rittergut zu Hause ist, dürfte die bekannteste Figur sein. Er wurde von den grossen deutschen Zeitungen FAZ [10] und ZEIT [11] porträtiert. Ganz aktuell, am 11. Oktober 2017, erschien auch ein Porträt im The New York Times Magazine [12]. Dazu brachte der Atlantic einen Artikel im Juni 2017 [13]. In diesem Verlag erschien auch das diesen Sommer sehr kontrovers diskutierte Buch Finis Germania des verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle [14], der sich zeitlebens kaum in politisch rechts stehenden Kreisen bewegte. Dieses kurze Buch ist das erste und einzige Erzeugnis des Antaios Verlags, welches ich gelesen habe. Meine Eindrücke davon habe ich in einem Artikel dargestellt [15].

Mir sind die genannten Leute und Verlage nur wenig bekannt, am ehesten aus Artikeln und Videos. Meine Lektüre konzentriert sich eher auf Artikel und ältere Bücher, ich sammle unter anderem elektronisch verfügbar gemachte Bücher, solche die sich altershalber ausserhalb des Urheberrechts befinden und solche, die freiwillig verfügbar gemacht wurden. Damit und mit dem Schreiben habe ich genug zu tun, ich komme nicht dazu, noch solche Bücher zu lesen.

An der Frankfurter Buchmesse kam es zunächst zu einer seltsamen Situation. Der Verlag Antaios mietete einen Stand, was mit dem Veranstalter offenbar reibungslos ablief. Weil in irgendeiner Form wohl ein Protest aufgekommen war, wurde in unmittelbarer Nähe der Amadeu Antonio Stiftung [16], als politischem Gegenpol, ein Stand offeriert. Diese bietet allerdings keine Bücher an. Somit dürfte eher die Observation der Aktivitäten beim Antaios Verlag Zweck dieser Präsenz gewesen sein.

Auf der Messe kam es wohl zu Kundgebungen vor dem Stand von Antaios, es tauchte sogar der Frankfurter Oberbürgermeister auf. Das war aber längst nicht alles. Gemäss den Berichten auf der Facebook-Seite von Antaios [17] wurde der Stand über Nacht zwei Mal beschädigt und abgeräumt, dazu Bücher gestohlen oder in Abfalleimer gestopft. Dasselbe geschah beim Manuscriptum Verlag, auch dort kam es zu Beschädigungen. Der Veranstalter kam seiner Aufgabe, das Eigentum der Aussteller zu schützen, nicht nach. Bei der Achse des Guten [18] und der Jungen Freiheit [19] sind Artikel zum Thema erschienen. Letzterer Artikel wurde von Karlheinz Weissmann [20] verfasst, einer der Initianten des neuen, konservativen Magazins CATO, das sich als Magazin für neue Sachlichkeit präsentiert [21]. Dieser war auf der Messe anwesend und bei der Jungen Freiheit in einem Video-Interview [22] zu sehen.

Gegen Ende des Interviews (13:48) kam es zu einem Zwischenruf, als Achim Bergmann, Verleger des Trikont Musikverlages [23], Weissmann vorwarf, «Scheisse zu reden». Diesem wurde später auf der Messe von einem Unbekannten ins Gesicht geschlagen [24].

Das war aber noch nicht alles. Am Samstag 14. Oktober war der bekannte AfD-Politiker Björn Höcke [25] aus Thüringen bei einer Buchvorstellung zugegen und es kam offenbar zu Zusammenstössen zwischen interessiertem Publikum bis Aktivisten und solchen, die gegen die Aktivitäten beim Antaios Verlag demonstrieren wolten [26]. Eine danach stattfindende Lesung durch zwei Mitglieder der Identitären Bewegung musste abgebrochen werden. Über die Präsenz des Antaios Verlags und dessen Rezeption wurde via eine Reuters-Meldung auch bei der New York Times berichtet [27].

Für mich sind die Vorfälle, die ich allesamt nicht vor Ort erlebte, sondern Berichten entnahm, ein weiterer Beweis dafür, dass für einige Leute das Sich-Einfügen in die Zivilgesellschaft als Erwachsener, in der Dialoge, Ehrlichkeit, Kompetenz und resultierender Erfolg die eigene Stellung definieren, keine Option mehr sind. Lieber agitiert, schimpft, flucht und schlägt man um sich und nimmt eine daraus entstehende Verrohung des Umgangs in Kauf. Wobei man sich natürlich, wenn man austeilt, nie sicher sein kann, nicht selber dereinst von jemand physisch stärkeren verprügelt zu werden.

Seine Hausaufgaben zu machen, zum politischen Dialog fähig zu werden, ist keine einfache Aufgabe, aber aus meiner Sicht unabdingbar. Nur so kann man die Weiterentwicklung der Gesellschaft mit friedlichen Mitteln vorantreiben. Das kann und soll man auf jeder politischen Seite tun. Ich meine damit nicht, dass jeder politische Diskus bis zum Geht-nicht-mehr intellektualisiert werden soll. Nein, es soll kraftvoll gesprochen werden, so dass es (hoffentlich) fast jeder verstehen kann. Ich hoffe, dass in Zukunft wieder mehr Wert auf Evolution, Weiterentwicklung gesetzt wird.

Die Taktiken der linken Aktivisten kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Für mich fokussieren sich diese im Moment viel zu sehr auf ihren politischen Gegner, anstelle sich um die Verbesserung der eigenen Inhalte zu kümmern. Ich bin überzeugt, es hätte nur wenige Leute interessiert, wenn man die Veranstaltungen der genannten Verlage einfach ungestört hätte ablaufen lassen. Videos davon wären natürlich auch auf YouTube gelandet, aber die meisten Videos, etwa beim Kanal Schnellroda des Antaios Verlages, werden vielleicht ein paar 10'000 Mal angeklickt. Dasselbe gilt auch für den Identitären Martin Sellner. Gemessen an der Bevölkerung des deutschsprachigen Raumes von mehr als 90 Millionen Menschen ist das eine absolute Nische. Journalistisch kann man dann immer noch einen Verriss nach dem anderen über diese Nische veröffentlichen.

Die Bundestagswahl 2017 zeigte ein überdeutliches Ergebnis, dass es in naher Zukunft ohne grosses, linkes Wunder keine traditionell linke Regierung mehr geben wird. Dazu ist auch nicht garantiert, dass die CDU/CSU ihren aktuellen Kurs nach der Ära Merkel in ähnlicher Form weiterführen wird.

Bisherige Posts in der Rubrik «Ideologie».
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#buchmesse #ideologie #politik #fbm17

7 years ago in #deutsch by saamychristen (67)

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physalis (54) 7 years ago

Gut ausgearbeitet, sehr gute Quellenangabe, eine sicherlich zeitaufwendige Arbeit!

Hatte bisher nie mit diesen Verlagen zu tun, erst beim Tara um das Buch von Sieferle "Finis Germania" habe ich erstmals von gehört. Habe mir danach die Webseiten mal angesehen, muss mir persönlich ja nicht alles gefallen und soweit ich weiß wird keiner dieser Verlage vom Verfassungschutz überwacht oder irgendwelcher nachweisbaren Straftaten bezichtigt.

Noch leben wir in einer Demokratie und ich finde es unerträglich was auf der Frankfurter Buchmesse abging. Habe gelesen der Antaois Verlag wurde scheinbar absichtlich in der Nähe der Amadeo Antonio Stiftung platziert, na was ist da wohl zu erwarten. Und diese waren laut dem Twitter Account von Antaois scheinbar nicht mal bereit eine Diskussion zu führen.

Wenn das eine Demokratie nicht aushält, was ist sie dann wert?

Nicht ohne Grund veröffentlichen immer mehr kritische Stimmen in diesen Verlagen, weil sie anderswo gar nicht erst verlegen können oder dürfen. Ein Beispiel ist ja auch Thorsten Schulte mit dem Buch "Kontrollverlust" welches über den Kopp Verlag verlegt wird.

Man kann sich nur mehr an den Kopf fassen, wenn das die neue Linke ist, keine Diskussionen mehr zu führen, Bücher weil sie nicht genehm sind zerstören und vernichten und gewalttätig sind - stellt sich doch ernsthaft die Frage nach deren Demokratieverständnis

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saamychristen (67) 7 years ago (edited)

Danke für den Kommentar!

Für das Zusammenbauen selber war nicht allzuviel Zeit nötig, das war in knapp 3 Stunden erledigt. Das gilt aber nicht für das Lesen der Beiträge, die schon älter sind. Dafür muss man Link- oder/und Artikelverzeichnisse anlegen, sonst findet man die Nadeln im Heuhaufen rasch nicht mehr.

Die friedliche Diskussionskultur scheint nicht wirklich erhalten zu bleiben. Wie ich auch im Artikel dargelegt habe, kenne ich diese Verlage auch nicht näher, Götz Kubitschek ist mir aus Videos und den genannten Artikeln bekannt. Er war u.a. bei 3sat, RT Deutsch und Veranstaltungen mit Jürgen Elsässer zu sehen. Einen Abgleich zwischen seinen und meinen Ansichten habe ich nie gemacht. Ich nehme an, die Übereinstimmung wird nicht wirklich gross sein, aber in ein Paar Dingen wohl durchaus vorhanden.

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