Über die Schwierigkeiten der Gedichtsübersetzung
Mein Licht
Die Lebensmitte schon erreicht
doch nicht erkannt die Aufgab meines Lebens
für die der Schöpfer mir die Seele eingehaucht.
Wird meinem Licht der Widerschein geraubt,
wenn es in keinem Tagwerk kann erstrahlen?
frag ich mich tapfer und die Antwort schallt:
Kein Dienst des Sterblichen braucht Gottes Werk!
Am besten dient daher wohl der,
der gütig Joch mit einem Lächeln trägt,
da jeder dient selbst wenn er steht und wartet.
Das obige Gedicht schrieb ich ad hoc, anlässlich der Frage eines Freunds, ob es mir möglich sei die Bedeutung John Miltons Gedicht wiederzugeben:
When I Consider How My Light is Spent
When I consider how my light is spent
Ere half my days in this dark world and wide,
And that one talent which is death to hide
Lodg'd with me useless, though my soul more bent
To serve therewith my Maker, and present
My true account, lest he returning chide;
"Doth God exact day-labour, light denied?"
I fondly ask. But Patience to prevent
That murmur, soon replies: "God doth not need
Either man's work or his own gifts; who best
Bear his mild yoke, they serve him best. His state
Is kingly. Thousands at his bidding speed
And post o'er land and ocean without rest:
They also serve who only stand and wait."
Vor einigen Tagen war er nämlich über dieses Gedicht gestolpert und war nun auf der Suche nach einer guten Übersetzung, insbesondere wunderte uns, dass zwar der letzte Satz viel zitiert ist, aber oft in gänzlich anderem Kontext und das ganze Gedicht nur wenige Male übersetzt worden ist und das trotz seines Alters.
Da wir nur zwei Übersetzungen online fanden (und eine Referenz auf ein Buch) und wir uns nicht ganz einig werden konnten ob die Übersetzungen die Haupteigenschaften des Gedichts gut wiedergeben. Poste ich sie hier und bin gespannt ob jemand eine Meinung dazu hat oder ihm gar meine Paraphrasierung gefällt.
Des Blinden Dienst
Friedrich Notter
Wenn ich betrachte, daß das Licht mir schwand,
Eh meiner Tage Hälfte noch beendet,
Und jene Kraft, die für mich Leben spendet,
Klanglos in mir ward, wie ich auch gebrannt,
Damit zu dienen dem, der mich gesandt,
Eh Rechnung fordernd er zu mir sich wendet,
Dann frag ich oft: Wo er den Tag geblendet,
Heischt er noch Tagwerk? – Doch den Unmut bannt
Mit sanfter Antwort die Geduld: Nicht frommen
Dem Herrn der Welten Menschenwerk und – wort;
Ihm dient am besten, wer sein Joch genommen.
Sein Herrschersaal ist königlich geartet:
Schickt er der Diener tausend ruhlos fort,
So dient ihm auch, wer steht und auf ihn wartet.
Wenn ich bedenke, wie mein Licht verblich
Walter A. Aue
Die zweite Übersetzung verbittet sich Kopien, daher verlinke ich sie nur und zitiere die zwei Sätze die uns am meisten Diskussionsstoff gaben:
"Am besten dient, wer dient nach altem Brauch" für
"Who best Bear His mild yoke, they serve Him best"
"und wer nur steht und wartet, dienet auch!" für
"They also serve who only stand and wait."
Perfekt kann eine Übersetzung sicher niemals sein
Die Übersetzung Notters erhält die Form des italienischen Sonetts, was schon ziemlich beeindruckend ist und vermittelt Stil und Aussage recht gut.
Insgesamt zeigt dieser Vergleich auch wie schwierig es ist einen guten Mittelweg zwischen Form, Aussage und Aussageeigenschaften in der Zielsprache zu finden.
Falls jemand Tipps, Übersetzungserfahrungen oder Kommentare hat, wäre ich sehr interessiert sie zu hören!
Milton Dictates the Lost Paradise to His Three Daughters, ca. 1826, by Eugène Delacroix