Surreale Konversation

Wir sind auf dem Rückweg vom Markt, wo wir unter anderem frittierte Krebse gegessen haben. Ganz, mit Scheren und Panzer. Sie waren sehr knusprig und ich musste die Tüte zu ihrem Bruder Säp rüberreichen, da ich sonst alle aufgegessen hätte.
“Ich bekomme gleich eine Massage.” sagte Siana. “Wo, bei uns zuhause?” “Ja. Vorne ist eine Halle.” “Wir haben eine Halle?” “Da vorne ist eine Halle mit Motorrädern.” sagte sie und zeigt aus dem Fenster. Tatsächlich, da ist eine Halle mit Rollern. Momente, in denen der Verstand aussetzt und ich einfach aus dem Fenster schaue. Direkt hinter einem Schaufensterscheibe sitzen eine Frau und zwei Männer und essen etwas. Es sieht aus als würden sie zusammen Feierabend machen.

Gut, denke ich mir. Ich bin ja der Meinung, dass unsere Realität grundsätzlich surreal ist. Die Lektüre von Dadaismus in kleinen gelben Reklamheften damals im Stadtpark haben sicherlich dazu beigetragen. Ebenso “Warten auf Godot”, das mir deutlich realitätsnaher erschien als vieles andere, was ich zu der Zeit gelesen oder gehört habe. Max Ernst und Dali waren die Helden meiner Jugend. Damals keimte der Wunsch nach einer Muse. Einer nie versiegenden Quelle der Inspiration aus den Tiefen des Lebens selbst.

Heute abend sieht es für mich so aus, als hätte ich sie gefunden. Wir haben oft Konversationen dieser Art. Unterstützend wirkt natürlich, dass wir beide undeutlich sprechen. Dazu kommt, dass sie in Thai denkt und ich zu einem großen Teil in Englisch. Mit deutsch versuchen wir dann unseren gemeinsamen Alltag zu meistern.

Diese Momente, in denen der Verstand kurz aussetzt, wollte ich früher oft mit visueller Kunst erzeugen. Denke ich mir, während Reste der Krebse zwischen meinen Zähnen knacken.

Die Freundin Ihres Bruders, der vor kurzem Mönch wurde und wahrscheinlich jetzt im Waldtempel sitzt, massiert sie in unserem Schlafzimmer. Auf dem Laptop läuft November Rain von Guns N’ Roses und die Klimaanlage bläst und kühlt.

“Oliver?” “Ja?” “Hast du Zahnpasta gekauft?” “Ja” - und sie ist wirklich ungewöhnlich schmackhaft. Ich erinnere mich, dass ich früher Zahnpasta gegessen habe. Wahrscheinlich hat sie auch gut geschmeckt. Oder es war auch ein warmer Sommer und ich wollte mein Inneres kühlen. Aber wahrscheinlich wusste ich damals nicht, dass Minze eine kühlende Wirkung hat. Gestern Nachmittag habe ich noch in Bangkok unter einem Riesenrad zwei große Kugeln Pfefferminzeis gegessen. Vorher habe ich kurz Durian-Eis probiert. Mimi und Siana lachten, als ich mein Gesicht verzog. Das hatten sie erwartet.

Ich fühle mich ein Tag nach der Abreise zum ersten Mal angekommen in Thailand. Ich habe ziemlich viel am Laptop gearbeitet heute am Sonntag. Danach war ich zu einer Massage hier um die Ecke. Sie meinte sie arbeitet montags bis sonntags von 10 bis 11 Uhr abends. Die rechte Hälfte ihres Gesichtes war geschwollen und auf den zwei Tischtennisball großen beulenartigen Hervorhebungen waren dunkle, eventuell blaue, Punkte. Noch bei keiner Massage hat die Masseurin so viel gelacht. Das Fenster des Zimmers im ersten Stock war abgedunkelt mit einem blauen Stoff. Ihr linke Seite wurde etwas erhellt, aber ihr Lachen hat sie wirklich schön gemacht. Heute Abend auf dem Markt fühlte ich mich wie nach einem normalen Arbeitstag. Es musste nicht mehr alles besonders sein, weil ich im Urlaub bin. Es ist Feierabend und ich gehe mit meiner Verlobten, ihre Mutter und Schwägerin auf den Markt. Etwas gucken, etwas shoppen und dann in Reispapier gewickelten Salat mit einer so scharfen grünen Sauce essen, dass ich kurz nicht mehr durch meine Augen schauen konnte. Was man halt so macht.

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