Twitter entscheidet, was du (nicht) lesen sollst - Qualitätsfilter gegen unliebsame Inhalte

in #deutsch6 years ago (edited)

Draußen regnet es in Strömen, ich habe Urlaub und WLAN. Die besten Voraussetzungen, sich mal einem Geschäftsgebaren von Twitter auseinanderzusetzen, dem QFD-Filter (QFD=Quality Function Deployment). Und ja, ich trage mittlerweile auch das rote Kreuz war zeitweilig auch schon aus der Suche ausgelistet.

Am 15. Mai 2018 ließ uns Twitter per Blogeintrag wissen, daß nicht mal 1 Prozent der Accounts wegen Mißbrauchs von anderen gemeldet werden. Und vieles von dem, was gemeldet werde, verstoße nicht einmal gegen die Twitterregeln. Diese Accounts hätten aber einen sehr negativen Einfluß auf die "experience", also die Nutzererfahrung, bei Twitter. Um gegen unerwünschte, aber regelkonforme Nutzung von Twitter (welch Widerspruch!) vorzugehen, habe man nun einen neuen Algorithmus ins Rennen geschickt. Der sortieren fortan bestimmte Tweets aus und am Ende unter “Weitere Antworten anzeigen” ein (=QFD). Gleichzeitig werden sie in der Suche versteckt, was man aber in den Optionen ändern kann. Konkretes Beispiel (aus der Diskussion mit dem Twitterteam von FDP-Generalsekretärin Nicola Beer zum QFD):


Quelle: Twitter


Alle Antworten von Accounts mit QFD-Filter verbergen sich hinter der grauen Schaltfläche unten. Klickt man darauf, bekommt man die "Gemeinheiten", die man besser nicht sehen soll, angezeigt:


Quelle: Twitter


Man könnte meinen, daß es nur bestimmte Tweets betrifft. Nein, es wird immer der gesamte Account zum Schweigen gebracht. Und er wird nicht einmal von Twitter darüber informiert!!! Selbst wenn dieser ausnahmslos Katzenfotos versendet, ist er nicht vorm QFD-Bann sicher. Der Algorithmus bewertet nämlich überhaupt nicht den Inhalt des konkreten Tweets, sondern nur die mit ihm im Zusammenhang stehenden Interaktionen. Entscheidend sind einerseits Faktoren, für die der Nutzer des Accounts direkt verantwortlich ist:

  • Der Account besitzt keine bestätigte Email-Adresse,
  • sein Besitzer unterhält mehrere Accounts,
  • er folgt anderen Accounts oder sie ihm folgen, die gegen die Twitterregeln verstoßen haben,
  • er kontaktiert häufig Accounts, denen er selbst nicht folgt,
  • er läßt Anzeichen auf koordinierte Angriff auf andere Accounts erkennen.
Entscheidend sind aber jene Kriterien, die der Inhaber des Accounts nicht selbst beeinflussen kann:
  • Wie häufig wird ein Account wegen angeblichen Mißbrauchs gemeldet?
  • Wie häufig wird er geblockt oder stumm geschaltet?

Hier ist nämlich dem Mißbrauch des QFD-Algorithmus Tür und Tor geöffnet. Denn mit einer gewissen Anzahl von Meldungen, Blockierungen und Stummschaltungen läßt sich jeder Account gezielt durch eine entsprechend koordinierte Kampagne in den QFD-Bann befördern. Wie gesagt, auch wenn er nur Katzenfotos twittert oder Kochrezepte oder

Angeblich sollen zwar positive Interaktionen des Accounts gegengerechnet werden, aber wenn ich mir meine Likes und Retweets anschaue, glaube ich da nicht wirklich daran. Oder ich werden wiederum nur von den Falschen geliked und retweetet.

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Es wird zum Thema #QFD unter dem entsprechenden Hashtag getwittert, viele Opfer haben mittlerweile den Hinweis "QFD" oder ein rotes Kreuz hinter ihren Nicknamen bei Twitter gestellt. Als eine Form des Protests und Aufruf zur Solidarität. Es wird aber auch ziemlich viel Unsinn zum Thema QFD-Bann verbreitet. So trifft der alte Shadowban-Tester http://tester.shadowban.de/ entgegen der Behauptung des Tagesschau Fakten[er]finders keinerlei Aussage darüber, ob sich ein Account im QFD-Bann befindet, siehe hier:

Stattdessen läßt sich ein Account mit dem Tester https://shadowban.eu/ auf einen QFD-Bann überprüfen. Ergebnis in meinem Fall:

Auch der Beitrag der "Welt" zum Thema Shadowban hatte zunächst den falschen Tester verlinkt, was aber später korrigiert wurde. Ein Schelm, wer jetzt Böses denkt...

Der Tester gibt gleich über drei verschiedene Formen des Banns bei Twitter Auskunft: Search Ban (hatte ich auch schon mal), konventioneller Shadowban und QFD-Bann. Letzteren werde ich trotz Twitterpausen und Nutzung (echter) fremder IPs seit Wochen nicht mehr los. Aber auch innerhalb der QFD-Blase, die durch intensive Vernetzung betroffener Accounts in den letzten Wochen entstanden ist, lebt es sich vortrefflich. Und sie wächst von Tag zu Tag.

Doch damit nicht genug. Seit Monaten exekutiert Twitter eine regelrechte Löschorgie an unliebsamen Accounts. Wie die "Washington Post" berichtet, hat es allein im Mai und im Juni 70 Millionen Konten erwischt. Und so geht es derzeit derzeit immer noch weiter. Jeden Tag verschwinden mehr als eine Million Accounts.


Veröffentlicht bei: https://olet-lucernam.de/2018/07/11/twitter-entscheidet-was-du-nicht-lesen-sollst/
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"Jeden Tag verschwinden mehr als eine Million Accounts." keine Ahnung, mich gruselts ein wenig .. "Jeden Tag verschwinden.." das war doch schon mal.

Danke für die Aufklärung. Verwende selbst kein Twitter. Ich kann mich (also wenn da hinverlinkt wird) einfach nicht mit diesem Stil anfreunden.

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