RE: VieAnnaCalling #34 : Wiener Zentralfriedhof
Ein wunderschön morbides Thema! Leichter Grusel, etwas Romantik - schon seit meiner Jugend kann ich mich dafür begeistern.
Der Zentralfriedhof wird noch genutzt. Ganz anders wirken Friedhöfe, wenn sie entwidmet sind; wenn Efeu, Kletter-Hortensie und zuweilen auch wilder Wein Grabsteine und Gruften überwuchert. Ich kannte so einen Friedhof...
Mit etwa 14 bekam ich eine Kamera geschenkt; eine Yashica, Spiegelreflex mit Belichtungsmesser. In den Ferien habe ich dann diesen speziellen Friedhof besucht.
Schon von der Straße aus konnte man damals das Unglaubliche sehen. Eine breite Gruft, die ihren Eingang wie ein Gesicht der Straße zuwandte, war mit hölzernen Türen verschlossen, die so uralt waren, dass man, beim richtigen Stand der Sonne, durch die Spalten im Holz Gestelle sehen konnte auf denen Särge standen.
Es war später Nachmittag und ich bester Laune.
Im hintersten Winkel der hohen Friedhofsmauer befand sich ein Grabstein, in dessen Mitte, hinter einem gußeisernen Gitter, zwei schwarze Urnen standen. Ich machte ein paar Bilder, wobei ich jedoch feststellte, dass ein unten im Sucher eingeblendeter roter Pfeil hartnäckig auf zu geringe Belichtung hinwies. Zunächst konnte ich mir das nicht erklären. So sah ich mich um. Während sich mir die Nackenhaare aufstellten bemerkte ich, dass die Dämmerung recht schnell fortgeschritten war. Es wurde dunkel. Damit hatte ich nicht gerechnet.
Wollte ich nicht über die Mauer klettern, was mir sicherlich Ärger eingebracht hätte, blieb mir nur ein schmaler Weg, der direkt zwischen zwei Gruften hindurch führte. Von einer hatte ich bereits Fotos gemacht. Sie kam mir besonders gruselig vor, weil in diesem stillen Haus eine Treppe nach unten führte. Zu allem Überfluss drang von unten das Licht eine flackernden Kerze, das hüpfende Schatten an die Wände malte.
Zwischen den Gruften schien es bereits Nacht zu sein. Der Efeu hatte sich sogar am Boden ausgebreitet. Bei jedem Knacken zu meinen Füßen schreckte ich zusammen und so fiel mir nur ein, diese eine Textzeile, die mir gerade in den Sinn kam, leise und mit zittriger Stimme zu singen: "Smoke on the water, a fire in the sky..."
Irgendwann trat ich hinaus auf den kleinen Platz vor der Kirche. Ich atmete auf und schwor mir, niemandem von meinem Erlebnis zu erzählen. Leichten Herzens und sogar etwas beschwingt ging ich an der Kirche vorüber. Drinnen brannte schwaches Licht, aber den Ausgang vor mir und die Autos auf der Straße schon in den Ohren dachte ich, nichts könne mich nun noch schockieren. In diesem Moment jedoch erklang aus der Kirche die Orgel. Es war ein tiefer und ohrenbetäubend lauter Akkord, der in meiner Erinnerung zum Horn eines Ozeanriesen geworden ist. Zugleich setzte in der Kirche ein befremdlicher Gesang ein. Mir schoss Lovecraft durch den Kopf. Voodoo. Degenerierte Mulatten oder eher ein leuchtender Trapezoeder - egal, ich rannte schneller als je zuvor. Jarriba! Jarriba! Jandale! Jandale!
Das war meine erste Begegnung mit einer Nekropole. Von den Dimensionen her kein Vergleich zu Wien, aber romantisch und in einer der schönsten Kleinstädte Deutschlands gelegen.
Danke für die anschauliche Schilderung deines schaurigen Friedhof-Erlebnisses!
Sehr packend geschrieben, da stellen sich auch beim Lesen die Nackenhaare auf!