Ein kleiner, dreckiger Tod

in #deutsch4 years ago

Ein kleine dreckiger Tod - Titel.jpg

Kurzgeschichte

Mitten in der Stadt trug es sich zu. Umringt von Soldaten eines ungenannten Panzergrenadierbataillons, lehnte eine feiste, alte Frau an einem ATF Dingo.

Nach Aussage von Zivilisten hatte man sie aus dem Fond einer dunklen Limousine gezogen. Der Chaffeur hatte angesichts des Militärs das Fahrzeug angehalten und war zu Fuß geflüchtet.
Während der Fahrer nach wenigen Metern in die Faust eines Panzergrenadiers lief, glitt die feine Dame ins Bizarre ab.

Sie war zu einer erstaunlichen Fäkalsprache fähig. Erst ein paar saftige Ohrfeigen überzeugten sie davon, dass sie nichts mehr zu sagen hatte. Und weil man sie nicht mochte, steckte sie dabei mehr als unbedingt notwendig ein.
Einige Male schlitterte die Frau auf dem Boden dahin, bis ein Soldat sie auf dem Weg zum Dingo am Kragen hinter sich her schleifte. Dabei knurrte sie wie eine Katze.
Erniedrigungen, flammender Hass, bohrende Fragen, Prügel und Schubsereien wechselten die ganze Nacht bis in den Morgen hinein.

Nun konnte sich die Frau kaum noch auf den Beinen halten. Braune Blätter einer Birke hingen in ihrem blonden Haar, die Frisur war dahin, das Makeup verschmiert, die Augen vom Flennen gerötet. Unter der Nase und in den Mundwinkeln klebte geronnenes Blut.
Ihr Gesicht war schmutzig, ebenso ihr zerrissener, grüner Hosenanzug. Die mit Kabelbindern gefesselten Hände zitterten.
Sie schwankte benommen. Der Panzergrenadier, den die Alte dabei unabsichtlich berührte, versetzte ihr daraufhin mit dem Ellenbogen einen derben Stoß in die Seite.
Taumelnd hielt sie die Arme schützend vor sich. Zivilisten fühlten sich angesichts dieser Szenen an die letzten Bilder eines nordafrikanischen Diktators erinnert.

Umgeben von harten, feindseligen Blicken sah sich die Frau schwer atmend nach Hilfe um. Sie hob an etwas zu sagen, aber kam nicht dazu. Eine Soldatin gab ihr wortlos einen Klapps auf den Hinterkopf.
Abermals hob sie die Arme zum Schutz. Und diesmal jammerte sie pampig wie ein kleines Mädchen: "Warum hassen sie mich denn so...?"
Die Soldatin trug den Gefechtshelm tief über ihrem schmalen Gesicht. Sie kam der alten Frau bedrohlich nahe. "Du sollst die Fresse halten!", zischte sie und gab ihr eine Ohrfeige. Die Soldaten lächelten amüsiert.
Mit verzerrtem Mund und wirren Haaren im geschundenen Gesicht schluchzte die gebrochene Frau.

Während stille Tränen der Verzweiflung über ihre Wangen liefen, führten Soldaten einen glatzköpfigen Mann vorüber. Er war von enormer Körperfülle und schwitzte heftig. Auch er befand sich in einem erbärmlichen Zustand. Der Anzug verdreckt, das Hosenbein eingerissen, das Gesicht von Schlägen geschwollen, schob er ächzend und humpelnd, so schnell er es vermochte, seinen riesigen Bierbauch vor sich her.
Ein Hoffnungsschimmer huschte über ihr Gesicht. Sie rief seinen Namen.
Der Mann wandte den Kopf nach ihr. Blicke trafen sich. Wiedererkennen stand in beider Augen.
"Bitte helfen sie mir!", rief sie aufgeregt.
"Wie denn? Die bringen uns um!"
Ein Greni stieß dem Dicken die Mündung seines G36 in den Rücken: "Weitergehen...!"

Die alte Frau blickte ihm lange nach. Wie in Zeitlupe schüttelte sie den Kopf, als könne sie die Worte des Mannes nicht glauben. Schließlich blickte sie der Soldatin in die stahlblauen Augen. "Machen sie mich tot?"
Die junge Frau in Uniform sprach kein Wort. Stattdessen lächelte sie sanft und zog mit dem Daumen eine Linie über ihren Hals von einem Ohr zum anderen.

Hinter den Fenstern der Häuser ringsherum bewegten sich die Gardinen. Anwohner beobachteten die Geschehnisse auf der Straße. Die Alte spürte es. Blicke der Verachtung bohrten sich wie Nadeln in ihr Fleisch.
Plötzlich zuckte sie in sich zusammen. Schüsse hallten von den Hauswänden wider. Zuerst eine Salve von etwa zehn Schüssen, dann, nach ein paar Sekunden, ein einzelner Schuss.

Die Frau zitterte am ganzen Leib. Beschuss in jedem Kaliber, vom Sturmgewehr bis zur Panzerhaubitze, gehörte in den letzten Wochen zur normalen Geräuschkulisse in Stadt und Land. Doch seit ein paar Tagen waren die Kampfhandlungen beendet. Somit hob sich das metalische Taktak wie das Nageln von Zimmerleuten an einem Feiertag aus dem zurückkehrenden Alltag hervor.

Die Alte ahnte zu gut, was es geschlagen hatte. Sie blickte einen der Soldaten an. "Ich gebe ihnen Geld. Wenn sie mich leben lassen, gebe ich ihnen mein ganzes Geld!"
Der Soldat spuckte vor ihr aus. "Halt dein dämliches Stinkloch.", brummte er, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
Sinnlos, der Mann war nicht käuflich. Eine Anomalie In der Welt dieser Frau.

Ein Oberleutnant der Panzergrenadiere gab den Befehl sich bereit zu machen. Man prüfte die Waffen. Dann fielen nur zwei Worte: "Gehen wir...!"
Eine eiserne Hand packte die Frau am Nacken. Sie fühlte sich angehoben. Fast verloren ihre Füße den Kontakt zum Boden. Inmitten der Soldaten stolperte sie auf ihren kurzen, dicken Beinen quer über die Straße. Und es war eine ganz gewöhnliche Straße mit ganz gewöhnlichen Wohnhäusern rechts und links davon.

Vor der weißen Hauswand einer vierstöckigen Mietskaserne, direkt auf dem Bürgersteig, lag der dicke Mann wie ein großer Fleischberg. Er bewegte sich nicht, hatte Arme und Beine weit ausgestreckt. Der riesige Bauch wies in Richtung Himmel.
Der Oberleutnant stellte die Frau neben dem Toten ab, als sei sie ein Sack Kartoffeln, und ließ sie dort stehen, als würde sie jeden Moment abgeholt werden.
Nun war sie alleine. Die Grenis nahmen gegenüber Aufstellung und entsicherten ihre Waffen.
Sie stand nur einfach da, mitten auf dem Bürgersteig, ganz wie man sie kennt; wie Obelix ohne Hinkelstein. Mit stumpfem Blick sah sie sich um. Ihre Knie zitterten. Die Hosenbeine flatterten im Wind. Sie schwankte, bewegte die Lippen. Speichel glänzte in ihren Mundwinkeln.
Es kam kein Befehl, keine Anweisung. Es fiel kein Wort. Mit einem Mal richteten die Soldaten ihre Waffen auf die Frau, die immer noch nicht begriffen hatte.

Taktaktak.

Es staubte. Von der Hauswand flogen Splitter des Mauerwerks durch die Luft. Die Frau zuckte und fiel um wie ein Mehlsack.
Mit weit gespreizten Beinen saß sie auf dem Bürgersteig, den Rücken an der Wand, die Augen geöffnet, die Hände vor dem Bauch. Dann sackte sie langsam zur Seite und blieb mit dem Kinn am Boden liegen.
Der Oberleutnant trat seitlich an sie heran, richtete seine Pistole auf ihre Schläfe, und drückte ab.
Ihr Kopf bewegte sich noch einmal mit einem Ruck. Nun war es ganz sicher vorbei. Ihr Mund stand weit offen, als wollte sie die Steinplatten des Bürgersteigs fressen.

Minuten später warf man die leblosen Körper des dicken Mannes und der alten Frau auf die Ladefläche eines Lkw.
Wohin man sie brachte, was mit ihnen geschah, hat nie jemand erfahren. Nur Gerüchte gab es reichlich; manche drehten sich um Krematorien, andere um die städtische Tierkörperverwertung. Gemeinsam war den Erzählungen nur, dass den Hingerichteten das Grab verweigert wurde.

Gratulationen und ein Umtrunk später rief eine raue Stimme: "Panzergrenadiere!"
"Dran! Drauf! Drüber!", antworteten die Grenis.
Die Motoren der Dingos starteten, die Truppe saß auf, rückte ab mit unbekanntem Ziel. Danach wurde die Straße ruhig.
Es dauerte Stunden, bis sich die ersten Anwohner zeigten. Bald darauf pulsierte wieder das normale Stadtleben.
Zurück blieb nur eine zerschossene Mauer, ein paar Patronenhülsen und überraschend wenig Blut, um das die Fußgänger einen großen Bogen machten.

Am Ort der Exekution findet man heute eine schlichte Messingtafel. Die Einschusslöcher wurden nicht beseitigt.

Dunkle Limousinen meiden die Straße.

Blumen werden nie abgelegt.

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Tja, bleibt nur noch das Zitat von Kurt Tucholsky

„Soldaten sind Mörder“


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Leider auch bittere Wahrheit 😫

toll!!

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