Interview with Keith Preston from AttackTheSystem.com: Anarchism without adjectives: Is an anti-authoritarian alliance possible? (englisch/deutsch)

in #deutsch7 years ago

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Keith Preston ist ein Blogger aus den USA, der politisch nicht leicht einzuordnen ist. Einerseits verortet er sich links von Karl Marx, andererseits hält er Reden vor dem identitären „National Policy Institute“. In seinem Buch „Attack The System – A New Anarchist Perspective For The 21st Century“ (Das System angreifen – Eine neue anarchistische Perspektive für das 21. Jahrhundert) plädiert er für einen neuen anti-etatistischen Weg, welcher der Vielfalt von staatskritischen Strömungen Rechnung trägt, und positioniert sich klar gegenüber der gleichmacherischen Linken mitsamt ihrer politischen Korrektheit und ihrem „totalitären Humanismus“. Er betreibt die Webseite AttackTheSystem.com, welche dabei helfen soll, verschiedene anti-autoritäre Strömungen zu einer gemeinsamen Bewegung zu vereinen.

1-In your book “Attack the System” you describe the current ideology of the West as a “totalitarian humanism”. What do you mean by that?

  1. In Ihrem Buch „Attack the System“ beschreiben Sie die aktuelle Ideologie des Westens als „totalitären Humanismus“. Was genau meinen Sie damit?

Totalitarian humanism is a term that I took from a countercultural writer many years ago who suggested that a phenomenon called “totalitarian humanism” was developing into a third wave of totalitarian political ideology in the developed world. The first of wave was Communism which claimed to be liberating the working class from capitalist oppression. The second wave was Fascism or Nazism which claimed to be advancing the interests of allegedly superior races and nations over allegedly inferior ones. The third wave is Totalitarian Humanism which claims to be advancing the interests of all of humanity, but in reality postulates the same kind of dualistic millenarianism rooted in out-group enmity, and with the same double standards, mendacity, and authoritarianism that were found in these older totalitarian ideologies.

Totalitärer Humanismus ist ein Begriff, den ich vor einigen Jahren von einem Schriftsteller aus der Gegenkultur übernommen habe, der die These vertrat, dass dieses Phänomen des „totalitären Humanismus“ zu einer dritten totalitären politischen Ideologie in den entwickelten Ländern werden würde. Die erste Ideologie war der Kommunismus, welcher vorgab die Arbeiterklasse von kapitalistischer Unterdrückung zu befreien. Die zweite Ideologie war der Faschismus oder Nazismus, welcher glaubte, die Interessen vermeintlich überlegener Rassen und Nationen (..) zu vertreten. Die dritte Ideologie ist der totalitäre Humanismus, der sich als Fürsprecher der ganzen Menschheit inszeniert, in Wahrheit jedoch dieselbe Art von (..) Chiliasmus annimmt, verwurzelt in einer Feindschaft gegenüber einer äußeren Gruppe, und mit denselben Doppelstandards, derselben Verlogenheit und demselben Autoritarismus, die sich allesamt bereits in den früheren totalitären Gruppen fanden.

We see many different examples of this. On a localized level, we see examples of the state attempting to micromanage every aspect of life for the purpose of advancing some kind of therapeutic, egalitarian, or ostensibly humanitarian objective. This include everything from banning smoking in pubs, to arresting parents for allowing children to play outside unsupervised, to levying special taxes on foods and beverages for social engineering purposes. We also see examples of the state attempting to subjugate local communities, regions, the private sector, and civil society for the purpose of imposing ostensibly progressive values on all of these competing centers of power. This has the effect of eroding zones of autonomy that serve as a bulwark against the state. We see the example of people being removed from their professional or academic positions for expressing ideas that defy progressive orthodoxy. The worst example is what I call “human rights imperialism,” which involves destroying entire nations such as Libya and Iraq under the guise of rescuing them from oppression.

Davon sehen wir viele verschiedene Beispiele. Lokal können wir beobachten wie der Staat an jedem Lebensbereich herumdoktert, um irgendein therapeutisches, egalitäres oder vermeintlich humanitäres Ziel zu erreichen. Das beinhaltet alles von einem Rauchverbot in Kneipen bis zur zusätzlichen Besteuerung von Nahrungsmitteln (..) und der Inhaftierung von Eltern, die ihre Kinder unbeaufsichtigt draußen spielen lassen.* Ebenso gibt es Fälle, in denen Staaten versuchen, lokale Gemeinden, Regionen, den Privatsektor oder die Zivilgesellschaft zu unterjochen, um diesen konkurrierenden Machtzentren vermeintlich fortschrittliche Werte aufzuzwingen. Dies hat den Effekt, dass autonome Bereiche, die zuvor noch ein Bollwerk gegenüber dem Staat waren, langsam verschwinden. Wir sehen, dass Menschen ihre Arbeit oder ihre akademische Position verlieren, weil sie Meinungen äußern, die nicht im Einklang mit der progressiven Lehre sind. Das schlimmste Beispiel dafür ist das, was ich „den Imperialismus der Menschenrechte“ nenne, und bei dem ganze Nationen wie Libyen oder der Irak zerstört werden, angeblich um die dortige Unterdrückung zu beenden.

*Satz verkürzt und umgestellt; Klingt besser so

2-In your political evolvement you went from the Christian right to the far left, from there to libertarianism and after that to the militia movement. At the end of this journey you call yourself an anarcho-pluralist. What is the worldview that stands behind this term?

  1. In Ihrer politischen Entwicklung kamen Sie von der christlichen Rechten zur radikalen Linken, von dort zum Libertarismus und anschließend zur Bürgermiliz. Am Ende dieser Reise nennen Sie sich einen Anarchopluralisten. Welche Weltsicht steht hinter dieser Bezeichnung?

Anarcho-pluralism is a term that I first heard from an anarchist named Sam Dolgoff many years ago. He was a veteran of the classical anarchist movement of the early twenty first century, and had written extensively about the Spanish Civil War. He used the term anarcho-pluralism to describe his embrace of the range of anarchist thought in terms of potential forms of economic self-organization by the working class. I use the term in a similar but more expansive way. It is an umbrella term that I use to describe the entire range of anarchist thought and tendencies, as well as libertarian, decentralist, anti-state, and anti-authoritarian movements and ideologies generally.

Anarchopluralismus ist ein Begriff, auf den ich erstmals bei dem Anarchisten Sam Dolgoff gestoßen bin. Er war ein Veteran des klassischen Anarchismus des 20. Jahrhunderts und hatte ausführlich über den spanischen Bürgerkrieg geschrieben. Er benutzte die Formulierung „Anarchopluralismus“, um seine Sympathien für eine Reihe von anarchistischen Denkschulen, welche auf die wirtschaftliche Eigenständigkeit der Arbeiterklasse abzielten, zum Ausdruck zu bringen. Ich gebrauche die Formulierung ähnlich, fasse sie jedoch weiter. Es ist ein Oberbegriff, mit dem ich die gesamte Bandbreite anarchistischen Denkens abdecke, einschließlich libertärer, dezentraler, antietatistischer und antiautoritärer Bewegungen und Ideologien.

3-In your book you contrast that with what you refer to as “neoliberal imperialism.” Could you elaborate on what you mean by that?

  1. In Ihrem Buch stellen Sie diesen Gedanken etwas gegenüber, das Sie „neoliberalen Imperialismus“ nennen. Könnten Sie erklären, was Sie damit meinen?

Neoliberal imperialism is a term that is meant to subscribe the system of global plutocratic rule by means of the G20, individual states that are aligned with the major military and trading blocks, the World Bank, the International Monetary Fund, the World Trade Organization, the United Nations, NATO, transnational corporations, and the wider network of financial, business, media, academic, governmental, and nongovernmental organizations that are connected to this system. At present, for example, about 150 corporations control nearly half of the world’s wealth, and about 200 states control virtually all of the world’s territory.

Neoliberaler Imperialismus ist eine Formulierung, die das System der plutokratischen Herrschaft beschreibt, das durch die G20, einzelne, mit Militär- und Handelsblocks verbundene Staaten, die Weltbank, den IWF, die WHO, die UN, NATO und transnationale Unternehmen aufrecht erhalten wird sowie das weitere Netz jener Finanz-, Wirtschafts-, Medien-, akademischer, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, die damit verbunden sind. Beispielsweise kontrollieren aktuell 150 Unternehmen nahezu die Hälfte des weltweiten Vermögens und rund 200 Staaten kontrollieren fast die gesamte Oberfläche der Erde.

4-How would an anarcho-pluralist movement look like and what strategy would it apply, especially given the widely varying conceptions different anarchists have of things like ethics and property rights?

  1. Wie würde eine anarchopluralistische Bewegung aussehen und welche Strategie würde sie anwenden, besonders vor dem Hintergrund der verschiedenen Auffassungen, die Anarchisten bezüglich Ethik und Privateigentum haben?

Anarcho-pluralism would involve efforts to decentralize systems of political and economic power into the hands of regions, localities, voluntary associations, and other kinds of communities and organizations that are comprised of people pursing their own interests, whether individually or collectively, in a way that is independent of the state or other external institutions. I do not see anarcho-pluralism, or pan-anarchism, as a prescription for any particular kind of organizational forms, specific sets of economic arrangements, positions on social issues, or as anything which favors any set of identity groups or value systems over others. Rather, anarcho-pluralism could include an infinite array of interests of these kinds, from indigenous tribes that prefer a pre-modern existence, to religious monasteries, to hippie communes, to Afro-centric or neo-pagan or LGBTQ or vegan and animal rights oriented communities, to medieval or Star Trek themed communities, to Islamic or Hasidic or Kekistan communities, to rave partiers to those who dream of colonizing space with communities of robots, from nudist colonies to conservative religious communities, or just ordinary, boring centrist communities.

Anarchopluralismus würde darauf abzielen, Systeme der politischen und ökonomischen Macht in die Hände von Regionen, Bezirken, freiwilligen Gesellschaften und andere Arten von Gemeinden zu überführen, die, sei es nun individuell oder kollektiv, unabhängig von dem Staat und externen Institutionen wären. Ich betrachte Anarchopluralismus (..) weder als Konzept, das Organisationsformen, ökonomische Strukturen oder Positionen zu sozialen Themen vorgibt, noch als eines, das gewisse Gesellschaftsgruppen oder Wertesysteme verteidigt. Stattdessen sollte der Anarchopluralismus in der Lage sein, viele verschiedene Interessengruppen zu vereinen, von eingeborenen Stämmen, die vormoderne Strukturen bevorzugen, über religiöse Gemeinden und Hippie-Kommunen bis hin zu heidnischen, islamischen, veganen, den Tierrechten verpflichteten und ganz stinknormalen Gruppen.*

*Hier habe ich es zusammengefasst und abgekürzt

Just as anarcho-pluralism might include an infinite array of values systems and identity or affinity groups, it might also include a similar array of strategies. These could include secession movements that wish to proliferate the number of sovereign countries, regions, and localities, the creation of micronations and independent municipalities, to those building seasteads on the oceans, to anarcho-syndicalist labor unions and worker cooperatives, to mutual aid societies, to the practice of agorist countereconomics, to civil disobedience or independent militias, to alternative currencies, to any kinds of communities, organizations and activities that are functioning independently of the state and which will be the prototypes for the eventual elimination of the state. What I have mentioned are only a few examples.

So wie der Anarchopluralismus verschiedene Wertesysteme und politische Lager vereinen könnte, ließen sich in seinem Namen auch eine Vielzahl von Strategien anwenden. Unter diesen sind Sezessionsbewegungen, welche die Anzahl der souveränen Länder, Regionen und Bezirke erhöhen wollen, die Gründung von Mikronationen und autonomer Kommunen, „Seasteading“, syndikalistische Gewerkschaften und Arbeiterkooperative, Hilfsorganisationen, agoristische Gegenökonomie, ziviler Ungehorsam und die Formierung einer Bürgerwehr, die Nutzung alternativer Währungen, und generell jede Art von Gemeinden, Organisationen oder Aktivitäten, die unabhängig vom Staat funktionieren und auf dessen Verschwinden hinarbeiten. Was ich hier genannt habe, sind lediglich einige Beispiele.

5-What is your biggest critique of the current mainstream anarchism in the United States?

  1. Was ist Ihre größte Kritik an dem Hauptstromanarchismus in den Vereinigten Staaten?

The mainstream anarchist movement in North America is largely a youth subculture rather than a political movement. To the degree that mainstream anarchism is politically serious at all, it largely limits itself to a focus standard left-progressive issues, and largely renders itself to being not much different from the local precinct chapter of the Democratic Party as a result. A much more serious issue with mainstream anarchism involves the fact that most anarchists have yet to fully comprehend Nietzsche’s critique of slave morality or Stirner’s critique of humanism, much less incorporate these ideas into their paradigm. Many dissidents from the dominant slave morality paradigm within the general anarchist milieu often error in the other direction and become reactionaries. An example would be those former libertarians that have embraced the neo-reactionary movement, the alt-right or neo-fascism. I am in favor of the development of a form of anarchism that is in opposition to slave morality but without embracing reactionary. I suppose you could say that I represent the post-postmodern revolutionary post-left.

Der Hauptstromanarchismus in Nordamerika ist eher eine jugendliche Subkultur als eine politische Bewegung. In dem Maße, in dem er überhaupt politisch ernstzunehmen ist, konzentriert er sich auf linke Standardthemen und degradiert sich dadurch quasi selbst zu einem lokalen Ableger der Demokratischen Partei. Ein noch ernsteres Problem (..)* ist, dass die meisten Anarchisten weder Nietzsches Kritik an der Sklavenmoral noch Stirners Kritik des Humanismus verstanden, geschweige denn es in ihr Weltbild integriert haben. Unter jenen, welche von der im anarchistischen Milieu vorherrschenden Sklavenmoral abweichen, machen viele den Fehler und werden zu Reaktionären. Ein Beispiel wären ehemalige Libertäre, die nun neoreaktionär, ein Teil der Alt-Right oder Faschisten sind. Ich befürworte eine Form des Anarchismus, welche sich der Sklavenmoral gegenüberstellt ohne selbst reaktionär zu werden. Ich schätze, das macht mich zu einem Repräsentanten der revolutionären, post-postmodernen Linken.

*Hier würde ich die Worte „des Hauptstromanarchismus“ wegfallen lassen, um die Wiederholung zu vermeiden

6- In chapter 1 of “Attack the System” you delve into the philosophical foundations of anarchism and you exclusively name German thinkers: Friedrich Nietzsche, Max Stirner and Ernst Jünger. Let’s go through them: How has Nietzsche laid the foundations for modern-day anarchism and what can he tell us about the crisis of the West?

  1. In dem ersten Kapitel von „Attack the System“ gehen Sie auf das philosophische Fundament des Anarchismus ein und nennen ausschließlich Denker aus Deutschland: Friedrich Nietzsche, Max Stirner und Ernst Jünger. Lassen Sie uns diese doch einmal durchgehen: Inwiefern hat Nietzsche die Basis für den heutigen Anarchismus gelegt und was kann er uns über die aktuelle Krise des Westens sagen?

Nietzsche was not an anarchist. What Nietzsche did was issue the most serious reply to anarchists and one that anarchists have yet to address. Nietzsche considered the political Left to be a modernized, secularized version of Christian morality, in the sense of the idea of the suffering just and notions like the least will be the first, and he considered anarchists to be the Left’s version of fundamentalist true believers. This critique is absolutely correct, and this is why so many mainstream anarchists have such a pronounced inclination towards the persecution of anyone they deem insufficiently progressive that have become the modern versions of heretics. This is why we see ostensibly “anarchist” Antifa thugs attacking peaceful people who are engaged in the exercise of free speech. Until anarchists examine this flaw in their own thinking, and make the necessary changes in their own actions, they will never be anything more than a prototype for a new kind of authoritarian statism of the kind that I call “totalitarian humanism.”

Nietzsche war kein Anarchist. Was Nietzsche getan hat, war eine tiefgründige Kritik am Anarchismus zu formulieren, welche Anarchisten auch heute noch beantworten müssen. Nietzsche sah in der politischen Linken eine modernisierte, säkularisierte Verkörperung der christlichen Moral – denken Sie nur an Gedanken wie „Die Letzten werden die Ersten sein“ -, und betrachtete Anarchisten als eine linke Version von fundamentalistischen Fanatikern. Diese Kritik trifft ins Schwarze und zeigt uns, warum so viele Links-Anarchisten zur regelrechten Verfolgung all jener neigen, die nicht ausreichend progressiv sind und welche so in die Rolle moderner Ketzern gedrängt werden. Deswegen sehen wir wie diese angeblich „anarchistischen“ Antifa-Schläger friedliche Menschen angreifen, die ihr Recht der freien Meinungsäußerung wahrnehmen. Bis Anarchisten diesen Fehler in ihrem Denken wahrnehmen und ihr Handeln dementsprechend anpassen, werden sie nie mehr als ein Vorläufer für jene Art von autoritärem Etatismus sein, welchen ich „totalitären Humanismus“ nenne.

Nietzsche also thought Western civilization was headed for an existential crisis that was rooted in the loss of traditional cultural, religious, moral and philosophical ideas, and that modern ideologies were an effort to find an appropriate substitute. He correctly surmised that these substitutes would prove to be unsatisfactory and that by the twenty-first century Western civilization would be faced with the crisis of nihilism. The only possible resolution of this crisis, in Nietzsche’s view, was the “transvaluation of values,” which would in turn involve a process of both individual and collective “self-overcoming,” and ultimately “becoming who we are,” once again on both the individual and collective level. I am inclined towards the view that Nietzsche regarded the pre-Socratics, particularly the Sophists, as a kind of prototype for what a post postmodern world might maintain as a philosophical or intellectual foundation. If so, this would represent of a kind of cyclical process that involved a return to a kind of primordial essence. In fact, I am inclined towards the view that this is what Nietzsche meant by his concept of “eternal recurrence.”

Nietzsche war ebenso der Meinung, dass die westliche Zivilisation auf eine existenzielle Krise zusteuern würde, welche ihren Auslöser in dem Verlust von traditionellen kulturellen, religiösen, moralischen und philosophischen Ideen haben würde, und dass moderne Ideologien einen Versuch darstellten, diese zu ersetzen. Er sah voraus, dass diese Substitute sich als unbefriedigend herausstellen würden und dass die westliche Zivilisation sich am Anfang des 21. Jahrhunderts in einer Krise des Nihilismus wiederfinden würde. Die einzig mögliche Lösung dieser Krise wäre, so Nietzsche, eine „Umwertung aller Werte“, welche wiederum ein individuelles und kollektives Über-Sich-Hinauswachsen bedürfen würde. Ich bin der Meinung, dass Nietzsche die Vorsokratiker und insbesondere die Sophisten als Beispiel dafür sah, welche philosophische und intellektuelle Basis eine post-postmoderne Welt haben könnte. Sollte dies stimmen, käme es gewissermaßen einer Rückkehr zu einem Ursprungszustand gleich. Ich neige dazu, zu denken, dass es das was, was Nietzsche mit der „ewigen Wiederkunft“ meinte.

7- How about Stirner?

  1. Was ist mit Stirner?

Stirner was a very similar to thinker to Nietzsche in the sense of recognizing that, as Stirner himself put it, “our atheists are very pious men.” Like Nietzsche, he recognized that humanism of the kind that came out of the Enlightenment was not a rejection of religion or even of Christianity as much as a kind of secularized Christian heresy. I am inclined to think that Nietzsche was influenced by Stirner in an unacknowledged way, and that Nietzsche’s concept of the overman was essentially rooted in Stirner’s idea of a society that consisted of a union of egoists with the idea that the overman would be the product of the union of egoists. However, it is interesting that we have self-proclaimed egoists today who utterly fail to grasp this concept.

Stirner war ein Nietzsche sehr ähnlicher Denker, da auch er erkannte, dass, wie er es sagte, „unsere Atheisten fromme Leute [sind]“. Wie Nietzsche sah er, dass der aus der Aufklärung entstandene Humanismus keine Ablehnung der Religion oder des Christentums war, sondern eine Art säkulare christliche Häresie. Ich bin geneigt zu denken, dass Nietzsche von Stirner auf unerkannte Weise beeinflusst war, und dass Nietzsches Übermensch verwurzelt war in Stirners Idee einer Gesellschaft der Egoisten, aus der er solche Übermenschen hervorgehen sah. Außerdem ist es interessant, festzustellen, dass wir heutzutage selbsternannte Egoisten antreffen, die dies nicht verstehen.

8-And what is Ernst Jüngers contribution?

  1. Und was ist Ernst Jüngers Beitrag?

Ernst Junger’s later work is particularly important for the purposes of cultivating a well-developed philosophical anarchism, especially his novel “Eumeswil” where he introduces the idea of the “Anarch.” During his elder years, Junger was less of a social or political critic, and was instead focused on how the individual might achieve an inner freedom in the face of persistent tyranny that abounds on an external level. His thinking on this question was heavily influenced by Stirner and also resembles certain Buddhist precepts in many ways. The core idea of the Anarch is one that renounces authority on an external basis even if one does not defy authority on an internal basis. The Anarch grants loyalty to nothing but his or her own thoughts and thereby achieves a kind of inward resolution of conflict. However, there is another way in which Junger’s thought is relevant to anarchism and that is his conception of a warrior ethos that stands in opposition to slave morality. An anarchist that was guided by the ideas of Nietzsche, Stirner, or Junger would not be a religious zealot persecuting those who have sinned against slave morality, but an egoist that is both internally self-liberated, and engaged in warfare against external authority as an expression of self-overcoming or becoming who they are.

Ernst Jüngers späteres Werk ist für die Kultivierung eines philosophischen Anarchismus sehr bedeutsam, insbesondere der Roman „Eumeswil“, in dem er die Figur des „Anarchen“ einführt. Zum Ende seines Lebens war Jünger weniger sozial- oder gesellschaftskritisch, und mehr an der Frage interessiert, wie das Individuum angesichts externer und anhaltender Tyrannei zu innerer Freiheit finden kann. Sein Denken war stark von Stirner beeinflusst und ähnelt in gewisser Hinsicht gar buddhistischen Grundsätzen. Die Kernidee des Anarchen ist einerseits die Ablehnung externer Autorität, andererseits die Akzeptanz innerer Autorität. Die einzige Loyalität des Anarchen besteht gegenüber seinen eigenen Gedanken, wodurch er über eine innere Ruhe verfügt. Eine andere Art, in der Jüngers Denken relevant für den Anarchismus ist, ist sein Kriegsethos und dessen Ablehnung einer Sklavenmoral. Ein Anarchist, der von den Gedanken Nietzsches, Stirners und Jüngers geführt werden würde, wäre kein religiöser Fanatiker, der all jene bestraft, die gegen die Sklavenmoral gesündigt haben, sondern ein Egoist, der einerseits über innere Freiheit verfügen und andererseits als Ausdruck der eigenen Selbstfindung gegen äußerliche Autoritäten kämpfen würde.

9-What is your personal critique of modernity?

  1. Was ist Ihre persönliche Kritik an der Moderne?

Modernity is a model of civilization where traditional institutions have largely been eradicated and replaced by the dominance of the impersonal corporate state that rules as an abstract entity even as its personnel changes. The features of modernity are the public administration bureaucracy, mass society dominated by mass institutions and organizations, the hegemony of commercial values and consumerism with social status largely conferred on the basis of one’s capacity for what Thorstein Veblen called “conspicuous consumption,” technology fused with scientism, therapeutism egalitarianism replacing theocratic traditionalism as the foundation of civil values, sophisticated systems of propaganda promulgated by the mass media and the public relations and advertising industries, the rise of the culture industry, the erosion of intermediary institutions, atomized individualism, and the erosion of individual identity except for that of subject of the state, worker, and consumer. Modernity is essentially a replication of feudalism but within the context of a commercial and technologically driven society where mass bureaucratic institutions assume the role of the new manorial systems.

Die Moderne ist ein Zivilisationsmodell, in dem traditionelle Institutionen größtenteils beseitigt und durch die Dominanz eines kalten Staates ersetzt wurden, welcher unabhängig von seinem Personal herrscht. Die Merkmale der Moderne sind die öffentliche Verwaltung, die Massengesellschaft, welche von Masseninstitutionen und -organisationen dominiert wird, die Hegemonie wirtschaftlicher Werte, die Bestimmung des sozialen Status durch das, was Thorstein Veblen „Statuskonsum“ nannte, die Kombination von Technologie und einem religiösen Glauben an die Wissenschaft, ein therapeutischer Egalitarismus, welcher den Traditionalismus als Fundament der Zivilgesellschaft langsam aber sicher ersetzt, ausgeklügelte Propagandasysteme, welche von den Massenmedien und der Werbeindustrie eingesetzt werden, der Aufstieg einer Kulturindustrie, das langsame Verschwinden der zwischen den Menschen und dem Staat stehenden Institutionen, atomarer Individualismus sowie die Aushöhlung der individuellen Identität abseits von Kollektiven wie dem Staatsbürger, dem Arbeiter und dem Konsumenten. Die Moderne ist in ihrer Essenz eine Kopie des Feudalismus, nur das unsere Gesellschaft heute durch Wirtschaft und Technologie angetrieben wird und die Bürokratie die Rolle des Grundherrn einnimmt.

10-You engage in conversations with all anarchist camps, yet refuse to pick a label for yourself except for “anarchist without adjectives.” Which critique would you voice specifically towards Anarcho-Capitalism?

  1. Sie pflegen Kontakt zu allen anarchistischen Lagern, weigern sich aber, sich jenseits des „Anarchismus ohne Adjektive“ einzuordnen. Welche Kritik würden Sie speziell am Anarchokapitalismus äußern?

Anarcho-Capitalism is the mirror image of Anarcho-Communism in the sense that just as Anarcho-Communism runs the risk of degenerating into Big “C” Communism so does Anarcho-Capitalism runs the risk of degenerating into Big “C” Capitalism and becoming a new kind of plutocratic rule. I would have parallel critiques of virtually any school of anarchist thought, from anarcho-primitivism to anarcho-transhumanism. For example, I am neither an Austrian nor a Marxist when it comes to economic critiques but instead to draw from the better ideas of multiple schools of economic thought. That might include the Marxist or Austrian paradigms in certain ways, but no more so than it would include, for example, the paradigms of behavioral economics or institutional economics. Rather, it is necessary to critique systems of power wherever they appear, and in whatever kind of context, whether political, economic, or social. I am heavily influenced by elite theory in this regard, as well as a range of critics of power from Bertrand Russell to Michel Foucault.

Anarchokapitalismus spiegelt den Anarchokommunismus insofern, als dass beide Gefahr laufen, eine neue plutokratische Herrschaft einzuläuten. Diese Kritik übe ich an nahezu allen anarchistischen Denkrichtungen, von Anarchoprimitivismus bis zum Anarchotranshumanismus. Beispielsweise bin ich weder Österreicher noch Marxist, wenn es um Wirtschaft geht, sondern picke mir die besten Ideen aus verschiedenen ökonomischen Traditionen heraus. Das mag gelegentlich marxistische oder österreichische Gedanken beinhalten, aber nicht in höherem Maße als beispielsweise Denkanstöße aus der Verhaltens- oder Institutionenökonomik. Es ist notwendig, dass wir Herrschaftssysteme, wann immer sie auftreten, in verschiedenen Zusammenhängen kritisieren können, sei es politisch, ökonomisch oder sozial. In dieser Hinsicht bin ich stark von der Elitesoziologie beeinflusst, ebenso wie von einer Reihe von Machtkritikern wie Bertrand Russell oder Michel Foucault.

11-What is your personal brand of anarchism grounded in? Utilitarianism? The self-ownership of one’s own body?

  1. Worin ist Ihr Anarchismus begründet? Utilitarismus? Dem Selbsteigentum am eigenen Körper?

I am neither a utilitarian nor do I subscribe to self-ownership theory which is a derivate of Locke’s natural rights doctrine. I see these ideas as particular to the tradition of English liberalism, which is a fine tradition but not one that represents universal principles. Instead, I regard Anarchist philosophy a representing an intellectual trajectory that can be traced back to Zeno and Diogenes in the West and Zhaung Zhou and Lao-tzu in the East, and which has prototypes in all sorts of indigenous, traditional, and pre-modern societies. Anarchism crystallized as a modern intellectual movement during the time of the Enlightenment with both a left and right wing dimension, with many different cousins and distant relatives, and which continues to evolve and assume new forms over time. Anarchism can be Dorothy Day and Ivan Illich, or it can be the Situationists or the Boston Anarchist Drinking Brigade. It is necessary to move away from singular models and closed systems towards pluralistic models and open-ended systems.

Ich bin weder Utilitarist noch bin ich ein Anhänger vom Konzept des Selbsteigentums am eigenen Körper, welches von Lockes Naturrecht abgeleitet ist. Ich sehe diese Gedanken als einen Teil des englischen Liberalismus, welcher zwar eine nette Idee ist, jedoch keine universellen Gedanken repräsentiert. Stattdessen betrachte ich die Philosophie des Anarchismus als einen intellektuellen Weg, der im Westen bis zu Zeno und Diogenes, im Osten bis Zhuang Zhou und Lao-Tse zurückverfolgt werden kann und Vorläufer in allen möglichen eingeborenen, traditionellen und vormodernen Gesellschaften hat. Zu einer modernen intellektuellen Bewegung wurde der Anarchismus zur Zeit der Aufklärung, als er einen linken und einen rechten Flügel ebenso hatte wie viele verschiedene, ihm nahe stehende Denkschulen, und aus dieser Situation heraus entwickelt er sich und nimmt mit der Zeit neue Formen an. Anarchismus kann Dorothy Day oder Ivan Illich sein, es kann die Situationistische Internationale oder die anarchistische Trinkbrigade aus Boston sein. Wir müssen uns diesbezüglich von einheitlichen Vorstellungen trennen und uns in die Richtung pluralistischer Modelle (..) entwickeln.

12-Let’s say you were able to recommend one thinker to the readers of konterrevolution.at, who would make them question their premises. Who would that be?

  1. Sagen wir einmal, Sie könnten den Lesern von konterrevolution.at einen Denker nennen, der sie dazu zwingen würde, ihre Prämissen zu überdenken. Welcher wäre das?

The thinker that I would recommend would depend on the general political and cultural orientation of the individual I was speaking with. For someone who was more left-leaning, I might recommend Arthur Koestler’s “Darkness at Noon,” or Carl Schmitt’s “The Concept of the Political.” Koestler’s work illustrates very well the legacy of oppression that has historically been perpetrated by ostensibly “progressive” regimes. Schmitt challenges utopian illusions in favor of an uncompromising realism. Leftists of any kind have a bad habit of thinking only conservatives and reactionaries can be tyrants. For someone who was more right-leaning, I might recommend Peter Gay’s “The Enlightenment” or Stefan Zweig’s “The Right to Heresy.” Rightists of any kind have a bad habit of glorifying the past as having been better than it really was. In reality, the past was often quite terrible. One particular thinker whose works I would recommend to both leftists and rightists would be Thomas Szasz, a heterodox psychiatrist who developed a classical liberal-influenced critique of the modern therapeutic state.

Der Denker, den ich empfehlen würde, würde von der politischen oder kulturellen Orientierung meines Gesprächspartner abhängen. Eher links stehenden Personen würde ich zur Lektüre von Arthur Koestlers „Sonnenfinsternis“ oder Carl Schmitts „Der Begriff des Politischen“ raten. Koestlers Werk legt das unterdrückerische Erbe dar, das angeblich „fortschrittliche“ Regierungen in der Geschichte angehäuft haben. Schmitt stellt utopische Illusionen dadurch infrage, dass er sie mit einem kompromisslosen Realismus konfrontiert. Linke jedweder Art haben die schlechte Angewohnheit, zu glauben, dass nur Konservative und Reaktionäre Tyrannen sein können. Für jemanden, der eher rechts steht, würde ich Peter Gays „Die Moderne“ oder Stefan Zweigs „Castellio gegen Calvin“ empfehlen. Rechte haben in der Regel die schlechte Angewohnheit, die Vergangenheit zu glorifizieren und sie als etwas besseres darzustellen, als sie es tatsächlich war. In Wirklichkeit ist die Vergangenheit oft ziemlich bescheiden gewesen. Ein Denker, den ich sowohl Linken als auch Rechten ans Herz legen würde, wäre Thomas Szasz, ein nonkonformer Psychiater, der eine klassisch-liberale Kritik an dem therapeutischen Staat der Moderne formulierte.

13-What is your favourite anarchist thinker and why?

  1. Wer ist Ihr Lieblingsanarchist und warum?

I can’t say that I have a single favorite anarchist thinker. I am influenced by too many thinkers in anarchist and related traditions to identify one that really stands out. Philosophically, I am the closest to Stirner. I am closest to Proudhon on economics. I very much appreciate Bakunin as a class theorist, particularly his emphasis on the lumpenproletariat, as well as a strategist and critic of Marxism. Kropotkin’s analysis of the historical development of the state is similar to my own. I am in general agreement with Voline’s critique of the limitations of Platformism. I also very much appreciate the American individual-anarchist tradition. The organizational methods employed by the Spanish anarchist movement are worthy of study. There is an English anarchist writer named Peter Marshall that has produced a voluminous history of anarchism that outlines a trajectory that is very similar to the one that I used when describing the anarchist tradition. There is an anarchist anthropologist named Harold Barclay that has examined anarchist trends in pre-modern societies. If I had to pick one of the more well-known figures from history, it would probably be Voltairine de Cleyre since her “anarchism without adjectives” approach is very similar to my own. Another tradition I admire is panarchism which was first formulated by Paul Emile de Puydt, and the leading contemporary proponent of which is John Zube. I am also pleased to see the ongoing proliferation of new forms of anarchism, and the blending of anarchist ideas with those that have been accumulated from a vast range of other traditions. Tendencies such as Green anarchism, Christian anarchism, black anarchism, national-anarchism, anarcha-feminism, indigenous anarchism, post-colonial anarchism, Islamic anarchism, queer anarchism, anarcho-monarchism, anarcho-transhumanism, and geo-anarchism are examples of these ideas.

Ich kann nicht sagen, dass ich einen Lieblingsanarchisten habe. Ich bin von zu vielen Denkern der anarchistischen (..) Tradition beeinflusst, als dass ich einen nennen könnte, der heraussticht. Philosophisch gesehen bin ich Stirner am nächsten. Im Bereich der Wirtschaft bin ich nah bei Proudhon. Ich weiß Bakunin aufgrund seiner Klassenanalyse, insbesondere seiner Ausführungen zum Lumpenproletariat, zu schätzen, und achte ihn als Strategen und Marxismuskritiker. Kropotkins Analyse der historischen Staatsentwicklung ähnelt der meinen. (..)* Ich hege große Sympathie für die individualanarchistische Tradition aus Amerika. Auch die Organisation der spanischen Anarchisten verdient unsere Aufmerksamkeit. Es gibt einen englischen Anarchisten und Schriftsteller namens Peter Marshall, der eine umfangreiche Geschichte des Anarchismus niedergeschrieben hat und dessen Geschichtsverlauf sehr stark demjenigen ähnelt, den ich stets beschreibe. (..)** Müsste ich jedoch eine der bekannteren Personen aus der Geschichte auswählen, so wäre es vermutlich Voltairine de Cleyre, deren Idee des „Anarchismus ohne Adjektive“ meinem persönlichen Anarchismus sehr nahe kommt. Eine andere Tradition, die ich bewundere, ist der Panarchismus, welcher zuerst von Paul Emile de Puydt formuliert wurde und dessen bekanntester Vertreter heute John Zube ist. Ebenso bin ich froh über die fortdauernde Vermehrung durch neue Formen des Anarchismus und die Fusion von anarchistischen Ideen mit solchen, die aus einer Vielzahl anderer Denktraditionen stammen. Beispiele für dieses Zusammenspiel wären Öko-Anarchismus, Christlicher Anarchismus, Schwarzer Anarchismus, Nationalanarchismus, Islamischer Anarchismus und Anarchafeminismus (..)***.

  • Ausführungen zum „Plattformismus“ gehen an dieser Stelle sicher zu sehr ins Detail

** Da er auf den Mann nicht näher eingeht, habe ich den Satz herausgenommen

*** Man kann es mit den Unterteilungen auch übertreiben, für viele gibt es auch keine dt. Übersetzung

14-I’d like to end the interview with the words you chose to start your book with: “To all enemies of the state, whoever they are and wherever they may be.” Any objections?

  1. Ich würde das Interview gerne mit jenen Worten beenden, die Sie Ihrem Buch vorangestellt haben: „Allen Staatsfeinden, wer und wo immer sie sein mögen“. Irgendwelche Einwände?

No objections at all. I would say that is an excellent way to end any statement or conversation.

Keineswegs. Ich denke, dass das eine exzellente Art ist, eine Aussage oder ein Gespräch zu beenden.

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