10. Mai - Muttertag
Isabella Klais / Aufbruch - Wir für Deutschland!
Der 10. Mai wird in Deutschland und vielen anderen Saaten als Muttertag begangen.
Meine Mutter verwahrte sich stets gegen die Feier dieses Tages mit dem überzeugenden Argument, daß jeden Tag des Jahres Muttertag sei, und nur das Gedenken an einem einzigen Tag daran ihrer Rolle nicht gerecht werde.
Dies läßt sich selbstverständlich zu Gedenktagen im allgemeinen anführen. Gedenktage werden einer als wichtig erachteten Sache gewidmet, womit feststeht, daß sie sich auf ein dauerhaftes Anliegen beziehen, das nicht an einem einzigen Tag des Jahres zu bewältigen ist. Dennoch erscheint es durchaus sinnvoll, die Aufmerksamkeit an einem bestimmten Jahrestag auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren, um es aus der Masse aller ebenfalls wichtigen anderen Themen herauszuheben und in Erinnerung zu rufen. Wenn dies mit nachhaltiger Wirkung geschieht, die über den Tag hinausreicht, ist der Zweck erfüllt.
Nun fiel meiner Mutter der Verzicht auf die Feier dieses Tages besonders leicht, denn begangen wurde dieser Tag dennoch - als ihr Geburtstag. Am 10. Mai 2020 hätte sie ihren 99. Geburtstag gefeiert, was ihr leider nicht vergönnt war, denn sie verstarb im November 2007. Sie hatte sich tapfer einem aussichtslosen Kampf gestellt und ehrenhaft verloren - ganz so, wie es ihrer Art im Leben entsprach.
Ich verdanke ihr sehr viel. Sie war eine loyale Begleiterin in meinem Leben, das sie mit steter reger Anteilnahme an meinen beruflichen Aktivitäten und Plänen begleitete. Ich wurde immer maximal gefördert, aber gedrängt nur soweit und solange es erforderlich war, um die mir selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Meine Ziele entsprangen meiner autonomen Entscheidung. Meine Mutter beschränkte sich auf Anregungen aus ihrer Beobachtung meiner Begabungen und Neigungen heraus.
Meine Mutter war ein überzeugt unpolitischer Mensch. Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ließ sie Politik als „schmutziges Geschäft“ empfinden. Die Zwänge zu Kompromissen, bisweilen gegen die eigene Überzeugung, und wechselnden Koalitionen widersprachen ihrem geradlinigen, aufrichtigen Wesen.
Dennoch setzte sie Zeichen, die ich erst lange nach ihrem Tode annähernd richtig einordnen konnte.
Während der Kriegsjahre war sie dienstverpflichtet in Rosenheim. Aus dieser Zeit wußte sie lebhaft und facettenreich zu berichten. Als Kind interessierte mich das, zugegeben, nicht in dem Maße, wie ich es mir heute gewünscht hätte.
Ich erinnere mich daran, daß sie von der Ankunft der US-amerikanischen Besatzer erzählte. In Rosenheim befand sich ein großes Lager mit internierten deutschen Soldaten. Meine Mutter war verantwortlich für die Aufsicht über die Küche und die Zuteilung der Verpflegung. Diesbezüglich erwähnte sie, daß sie bei den Besatzern stets auf ausreichende und qualitativ gute Kost für die deutschen Gefangenen bestanden habe. Dabei wußte sie sich offensichtlich couragiert Respekt zu verschaffen und sich gegen nicht unerhebliche Widerstände durchzusetzen.
Erst nachdem ich Berichte von den Rheinwiesenlagern las, wurde mir klar, daß seinerzeit vielerorts in Deutschland derartige Zustände in unterschiedlicher Ausprägung geherrscht haben mußten. Das erklärt im nachhinein auch die zeitlebens großen Vorbehalte meiner Mutter gegenüber den USA.
Ich hätte heute noch viele Fragen dazu, die bedauerlicherweise jetzt für immer unbeantwortet bleiben werden.
Auf meine kritischen Fragen als Jugendliche zur Situation der Juden im Dritten Reich beschrieb sie die Juden in der Stadt mit Sympathie. Mit der Zeit aber seien sie verschwunden, ohne daß es eine Erklärung dafür gegeben habe. Erst gegen Ende des Krieges hätten Kriegsheimkehrer vereinzelt über deren Verbleib bruchstückhaft berichtet.
Sehr eindringlich schilderte sie die Atmosphäre gegenseitigen Mißtrauens und verbreiteter Einschüchterung innerhalb der Bevölkerung, die es allenfalls erlaubt habe, sich persönlich aus Parteiengagement herauszunehmen, ohne daß an militanten Widerstand zu denken gewesen sei.
Die heutige Situation in Deutschland läßt mich verstehen, was sie damit meinte.
Obwohl meine Mutter und ich sehr verschieden waren, waren wir ein starkes Team. Ihre reichen künstlerischen Begabungen (Gesang, Zeichnen, Gestalten) hat sie leider nicht zur Gänze an mich vererbt - und auch das eher in der passiven Version.
Als überzeugte Nicht-Mutter kann sogar ich dem morgigen Tag durch sie etwas abgewinnen. Ich denke gerne und oft an unsere gemeinsame Zeit zurück.
Während andere oft mit ihren Müttern hadern und ihnen Erziehungsfehler vorwerfen, halte ich es mit Karl Lagerfeld, der sagte: „Ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin. Bei allen Fehlern und Versäumnissen war sie genau richtig für mich.“