Der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Menschen
Im ersten Teil "Der Mensch im Zeitgeist" drehte es sich mehr oder weniger um die Frage der Konformität. Wie Menschen dazu tendieren, sich innerhalb eines gewohnten/gewünschten Rahmens zu bewegen und vor allem darum was passiert, wenn man sich außerhalb dieses Rahmens befindet. Ich habe ausführlich beschrieben, dass Menschen zu Abwehrreaktionen neigen, wenn sie mit Elementen außerhalb ihres gewohnten Weltbildes konfrontiert werden und dass es sich bei dieser Reaktion um einen Überlebensmechanismus handelt, da aus der Sicht des Betroffenen, sein „Überleben“, das Überleben seines „Selbstbildes“, davon abhängt. Weiter habe ich beschrieben, dass Wachstum und Entwicklung immer mit dem Kontakt zu Neuem einhergeht. Wachstum und Entwicklung finden also grundsätzlich im Raum einer gewissen Unsicherheit statt und kein Mensch, zumindest nicht diejenigen ohne Kontakt zu der Metaebene eines Beobachters und der damit einhergehenden Bewusstheit über die Frage des „wie Dinge geschehen“, wird sich aus freien Stücken aus dem Raum seines Überlebens herausbewegen und in der Berührung zu Neuem und zur Unsicherheit eine Qualität sehen.
Die Frage der Entwicklung des Menschen ist aber ganz grundlegend an diese Unsicherheit gebunden. Im statischen Raum des Bekannten findet keine Entwicklung statt. Nur in der Unsicherheit des Neuen kann Wachstum und Entwicklung geschehen. Aus Sicht der Systemtheorie verlassen Organismen den statischen Raum und begeben sich in Unsicherheit, um sich zu entwickeln. Sie verlassen die Ebene des Überlebens und gehen Risiken ein. Sie kontakten das Unbekannte auf der Suche nach neuen Impulsen, um dann wieder in einen statischen Zustand der Verarbeitung des Neuen zu wechseln. Ein Entwicklungssprung ist die Folge. Entwicklung in diesem Sinne folgt demnach nicht einer linearen Kurve, sondern geschieht in Sprüngen. Die letztendliche Frage ist, wie lange verbleibt ein System im Raum des Bekannten, bevor es sich für das Unbekannte öffnet und sein Überleben riskiert, um Neues in sich einzulassen und in der Folge einen Entwicklungssprung zu tun… oder zu sterben. Und ja, es ist wichtig, sich auch den anderen Fall bewusst zu machen. Das Überleben ist zwar meist nicht wirklich bedroht, aber ein Organismus „weiß“, dass sein Überleben bedroht sein könnte. Es handelt sich um einen grundlegenden Faktor, ohne den ein Organismus nicht überlebensfähig wäre. Also findet Entwicklung und Wachstum immer in einem Raum der Unsicherheit und der Bedrohung statt. Darin eine Qualität zu entdecken setzt voraus, den Mechanismus von Wachstum und Entwicklung erkannt zu haben und Qualität in gewissen Situationen vor das Überleben zu stellen. So ist ein bewusster Mensch deutlich risikobereiter, da er ein Interesse daran hat, sich zu entwickeln. Wachstum und Entwicklung werden für ihn zu einem weitaus wichtigeren Faktor, als das reine Überleben. Auch ein bewusster Mensch wird natürlich sein Überleben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, dennoch fällt es ihm leichter, in seinen Abwehrmechanismen eine „Reaktion zu erkennen“, die über weite Strecken illusorischen Charakter hat, weil die dahinter empfundene Gefahr zumeist nicht real ist.
Das sollte uns jetzt erklären, warum es Menschen so schwer fällt, sich selbst angesichts großer Krisen Neuem zuzuwenden. Für Menschen, die das Prinzip der Veränderung durchschaut haben und Qualität vor Überleben stellen, sind die Auswirkungen anders gelagert. Wie das Angebot einen neuen Blickwinkel einzunehmen, das Selbstbild zu verändern, vielleicht sogar das Weltbild in Frage zu stellen letztlich geschieht, ob in Form eines Buches oder Artikels oder durch Gespräche, ist letztlich unerheblich. Jemand, der das Prinzip der Veränderung bereits verinnerlicht hat, ist per se schon eine Bedrohung für unbewusste Menschen. Es muss gar nicht etwas Geschriebenes oder Gesagtes sein, was den Widerstand in der anderen Person wachruft, alleine die Präsenz eines Menschen, der innerhalb eines erweitertes Weltbildes zu einem anderen Selbstbild gefunden hat, genügt. Der geäußerte Widerstand wird sich auch in den allermeisten Fällen nicht auf die Details eines erweiterten Weltbildes beziehen, sondern auf die Person desjenigen, der die Rolle des Übermittlers einnimmt. Hier ist es nun wichtig, sich zu verdeutlichen, dass „Rollen“ nicht willkürlich eingenommen werden. Menschen, die gewisse Phasen der Entwicklung durchlaufen haben, berichten regelmäßig darüber, dass es sich nicht um einen persönlichen Verdienst handeln würde. Es ist vielmehr ein Geschenk, welches aber auch seine Schattenseiten hat. Der Gewinn ist sicherlich die erweiterte Weltsicht und das Erkennen „der Wahrheit“. So ein Mensch sieht Zusammenhänge und ist nicht mehr so leicht zu belügen. Beeinflussungen und Versuche der Manipulation prallen an ihm ab. Die Schattenseite ist die Unfähigkeit, es anderen nicht vermitteln zu können. Nicht weil es sich um kommunikative Unzulänglichkeiten handeln würde, sondern weil der Widerstand im Gegenüber das Verstehen verhindert. Wenn es sich nur um einzelne Personen handelt, die sich im Weiteren von diesem Menschen abwenden, hat es zwar eine andere Dimension, als wenn jemand zu einer größeren Menge von Menschen sprechen würde und eine Ablehnung der Masse erfolgt, ist aber dennoch nicht weniger schmerzhaft. Menschen wollen dazugehören. Und zwar gleichermaßen Menschen, die das Alte aufrechterhalten wollen auf Grund von Furcht vor dem Andersartigem, als auch Menschen, die verspüren, dass ein Verlust damit einhergeht, als Kämpfer für die Wahrheit sich allein auf weiter Flur wiederzufinden. Jeder, der weiß wovon ich spreche, kennt das Gefühl, dass man manchmal versucht ist, sein erweitertes Selbstbild wieder in „süße Unbewusstheit“ versinken lassen zu wollen. Es erscheint dann einfacher durchs Leben zu gehen.
In der Betrachtung der Metapher der „Wahl“ zwischen der roten und der blauen Pille in dem Film Matrix, handelt es sich um die Berührung der menschlichen Grundangst vor dem Anderssein und damit auch vor dem Ausgeschlossen-Werden. Der Ausschluss aus der Gemeinschaft der Menschen wird immer noch als Todesurteil empfunden. Führte ein solcher Ausschluss aus der Gemeinschaft doch noch vor gar nicht langer Zeit tatsächlich zu einer erheblichen Bedrohung des Überlebens, da die Gemeinschaft für Schutz und Nahrung steht. Jemanden auszustoßen kam also einem Todesurteil gleich. Wir Menschen wissen das. Es ist eine harte Strafe, die härteste, die es wohl gibt. Sie ist noch härter als der Tod, weil das Leid noch einmal in die Länge gezogen wird. So galt auch im römischen Reich ein Interdikt (lat. interdictum) als eine Bestrafung, um eine Handlung zu erzwingen oder aber zu verbieten. Es gab ganze Abhandlungen über verschieden Formen der Bedrohung mit Ausschluss. Einige Interdikte waren auf Zurückgabe gerichtet (restitutorisch), andere auf Vorlage (exhibitorisch) und wieder andere auf Verhinderung (prohibitorisch). Als das bedrohende Element oder Mittel, um Zwang auszuüben, wurde immer der Ausschluss aus der Gemeinschaft benutzt. Wir sind am Anfang unseres Lebens darauf angewiesen, dass uns jemand als zu ihm gehörig annimmt und so bleibt es ein Leben lang – auch wenn wir später nicht mehr einseitig abhängig sind, sondern zugleich eine aktive Rolle im „Versorgungssystem“ spielen. Eine der psychisch verheerendsten Drohungen besteht darin, die Versorgung nicht mehr aufrecht zu erhalten. Hier handelt es sich nicht nur oder wohl tatsächlich am wenigsten um Nahrung, sondern um die Nähe zu anderen. Die Wärme die damit einhergeht, nicht alleine zu sein. Letztlich steht auch hinter der Furcht vor dem Tod die Angst, herauszufallen aus der Welt und nicht mehr dazu zu gehören. Weil Menschen soziale Wesen sind, werden sie körperlich und/oder psychisch krank, wenn sie keinen Kontakt mehr zu anderen Lebewesen haben. Und hier ist ein nährender, ein unterstützender Kontakt gemeint und nicht einer, der in andauernder Ablehnung oder im Konflikt mit der Andersartigkeit liegt.
Wenn wir uns also heute in einer Gesellschaft befinden, in der Menschen aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, weil sie eine andere Meinung vertreten oder weil sie andere auf etwas hinweisen, was nicht gewünscht ist, dann wird gegen sie im Sinne der römischen Gerichtsbarkeit ein Interdikt ausgesprochen. Und hierbei handelt es sich um eine Bestrafung, die im Grunde schlimmer noch ist, als der Tod und in vollem Bewusstsein dieser Härte ausgeübt wird. Einmal mehr können wir im heuchlerischem Gutmenschentum die Unmenschlichkeit entdecken. Die „Richter“ umgeben sich mit dem schönen Schein der “political correctness” und sind dennoch nichts anderes als Scharfrichter.
So leben wir Menschen also in diesem Spannungsfeld, auf der einen Seite dazu gehören zu wollen und auf der anderen Seite sich von der Masse und dem “Schutz der Gemeinschaft” entfernen zu müssen. Wie sind Außenseiter, die den Wunsch in sich tragen, dazugehören zu wollen. Wir sind starke Einzelkämpfer, mit einem weichen und blutenden Herz, welches durch Ausstoß verletzt wurde. Wir sind versprengte Individuen in losen Gemeinschaften. Wir gehören nicht mehr dazu und wollen es auch gar nicht und wollen dennoch nichts mehr als den beruhigenden Schutz Gleichgesinnter. Es ist ein Reich der Paradoxien in das wir hineingestoßen wurden. Ein Reich der Wunder und der Erkenntnisse, der Fortschritte und Entwicklung und gleichzeitig ein Reich der Einsamkeit und dem tiefen Wunsch nach Gefährten.
Für dich da draußen, der du verstehst, was ich meine, wisse, dass du nicht alleine bist, auch wenn du dich ausgestoßen fühlst. Es gibt viele Menschen, die ein ähnliches Schicksal erleben. Schäme dich nicht, für den immer wieder auftauchenden Wunsch in süßes nicht-Wissen hinein sinken zu wollen und hasse dich nicht mehr für den von dir empfundenen Frevel, die Wahrheit mit diesem “selbstsüchtigen” Wunsch zu verraten. Dies ist das Leben der Entwicklung. Dies ist der Preis, den wir alle zahlen müssen, um uns – und letztlich auch die Gemeinschaft der Menschen – auf eine weitere Entwicklungsstufe zu heben.
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