Konsensdemokratie in Unternehmen – Premium Cola repariert den Kapitalismus
Das Internetkollektiv „Premium Cola” beweist, dass Konsensdemokratie in Unternehmen umsetzbar ist. Der Getränkehersteller verzichtet auf Hierarchien und setzt dafür auf nachhaltiges Wirtschaften.
„Angefangen hat das Ganze in einer Badewanne vor mittlerweile fünfzehneinhalb Jahren”, erinnert sich der Hamburger Uwe Lübbermann an die Anfänge seines Unternehmens und macht ein paar strumpfsockige Schritte auf der Bühne. Seinen TedX Vortrag an der Universität Leuphana Lüneburg hält er in schwarzem T-Shirt, Shorts und grasgrünen Socken. Das ist weder modisches noch politisches Statement, sondern schlichtweg eine der Freiheiten, die der Hamburger sich als Gründer und zentraler Moderator der Firma „Premium Cola” von seinem Gehalt leistet. 2600 Euro brutto gibt Lübbermann 2015 als monatliches Einkommen an: „Das ist für einen Einzelmenschen völlig ausreichend.”
Urban Cola Collective
Um den Zusammenhang zwischen Badeschaum, grünen Socken und einem erstaunlich bescheidenen CEO-Gehalt zu verstehen, tut ein kurzer Ausflug ins Jahr 2001 Not:
Uwe Lübbermann, damals Mitte Zwanzig, gönnt sich ein Bad und stellt enttäuscht fest, dass seine Lieblingscola eine Rezeptänderung vorgenommen haben muss: Afri Cola enthält unangekündigt weniger Koffein als gewohnt. Als Konsument empfindet er sich als Teil des Afri Cola-Netzwerks und pocht auf sein Recht zur Mitsprache, welches ihm jedoch verwehrt bleibt.
Letztendlich findet Lübbermann heraus, welcher Lieferant im Besitz des Originalrezepts ist und beschließt darauf basierend, seine eigene Cola zu brauen. Nach mehreren Tausend Flaschen Limonade gestaltet sich das Hobby zu einem gewinnbringenden Geschäft, das strukturiert und operativ gesteuert werden muss – nur wie?
Konsensdemokratie statt Basta-Management
Betriebswirt_innen winden sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf ihren Stühlen, wenn man für sie Premium Colas Geschäftskonzept zusammenfasst. Ein einheitlicher Stundenlohn von 16 Euro brutto? Schnappatmung. Das Mitspracherecht aller, vom Konsumenten über externe und interne Partner bis hin zu den Mitarbeitern? Der Puls rast. Keine Verträge bei gut 1700 Geschäftspartnern? „Das funktioniert so nicht!” bricht es spätestens jetzt aus den Gesprächspartnern heraus. Ein solcher Betrieb muss dem Untergang geweiht sein! Ist er aber nicht.
Tatsächlich wächst Premium Cola seit 2001 kontinuierlich und organisch und Uwe Lübbermann ist fest davon überzeugt, dass seine Erfolgsgeschichte einem alternativen Führungsmodell zu verdanken ist. Statt Basta-Management setzt er auf Dialog und Gleichwertigkeit. Jeder Involvierte hat dieselben Rechte, jede Meinung zählt. Lübbermann will “den Kapitalismus reparieren”.
Jeder hat das Sagen
2015 nutzten gut 130 Leute ihr Mitsprache- und Vetorecht. Bei einer solchen Menge an verschiedenen Meinungen sind lange Diskussionen vorprogrammiert. Das Veto kann unbegründet eingesetzt werden und so den gesamten Entscheidungsprozess lahmlegen.
Dass der Laden dennoch läuft, liegt einerseits an der Vertrauenskultur, die eine solche demokratische Geschäftsführung kultiviert: Gerade die Mischung aus Experten und Laien hält eine ausgewogene Balance aus fundiertem Wissen und unverbrauchten Sichtweisen.
Andererseits haben Uwe Lübbermann und eine weitere Moderatorin die Möglichkeit auf eine Art Notstandsregelung zurückzugreifen, anhand derer sie in zeitkritischen Situationen ausnahmsweise im Alleingang Entscheidungen fällen können. In fünfzehn Jahren Firmengeschichte kam diese Regel allerdings erst dreimal zum Einsatz, unter anderem wegen Uneinigkeiten bezüglich eines Bildmotivs auf dem Flaschenetikett.
Faires Wirtschaften dank absoluter Transparenz
Wie bei anderen Ansätzen nachhaltigen Wirtschaftens (zum Beispiel: Fairphone, Solidarische Landwirtschaft, Vertical Farming, usw.) stehen auch bei der Hamburger Cola-Alternative absolute Transparenz und Open Source Initiativen im Mittelpunkt.
Uwe Lübbermann gibt auf den Cent genau preis, wie sich der Verkaufspreis einer Flasche Premium Cola zusammensetzt. So ist sich jeder Beteiligte darüber im Klaren, wie viel man selbst und andere pro verkaufter Flasche verdient und welche weiteren Kosten zu berücksichtigen sind. „Das trägt natürlich zu einer Vertrauenskultur bei”, so Lübbermann.
Die beste Versicherung: Vertrauen
Anstatt Partner und Mitarbeiter legal an sich zu binden, sieht sich Lübbermann „gezwungen”, sein Netzwerk und Personal durch einen respektvollen und ehrlichen Umgang miteinander dauerhaft von einer Kooperation zu überzeugen. Auf diese Weise blickt der zentrale Moderator stolz auf eine erstaunlich niedrige Fluktuationsrate zurück, die 2015 bei unter zwei Prozent in ganzen dreizehneinhalb Jahren lag. Premium Cola unterhält langfristige Geschäftsbeziehungen, welche die scheinbare Sicherheit eines legalen Vertrags ersetzen.
Und diese Art alternativer Unternehmensführung ist auf andere Betriebe übertragbar, davon ist Uwe Lübbermann überzeugt. Auch in diesem Fall setzt er auf Transparenz und ein respektvolles Miteinander, anstatt sich scheinbare Wettbewerbsvorteile zunutze zu machen. Das erprobte Geschäftsmodell – genannt „Betriebssystem” – steht anderen Unternehmern auf der Homepage frei zur Verfügung und findet bereits in 15 Firmen schrittweise Anwendung.
Andere Getränkehersteller betrachtet Lübbermann nicht als Konkurrenz, sondern befindet sich stattdessen in stetigem Austausch mit ihnen, um im Verbund gegen multinationale Konzerne bestehen zu können. Das beeindruckt Goliath zwar nur geringfügig, macht David aber ein ganzes Stück größer und liebenswürdiger.
Der menschliche Makel
Das klingt nun sehr gutmenschig und realitätsfern. Die ungläubigen Betriebswirt_innen sind auch immer noch ganz aufgewühlt und suchen den Fehler im System. Gibt es den?
Tatsache ist, dass jedwede Theorie an der Realität scheitern kann, aber nicht muss. In der Praxis muss vor allem die Dynamik berücksichtigt werden, die auf jede Organisation einwirkt und welche sich nicht von einer Denkmodell-Schablone zähmen und voraussehen lässt. Der menschliche Faktor kann das System korrumpieren.
Voraussetzung für eine funktionierende Konsensdemokratie in Unternehmen ist ein heterogener Verbund. Die Interessen und Beweggründe müssen grundsätzlich ähnlicher Natur sein, ansonsten würde die Notstandsituation zum Dauerzustand.
Ebenso könnte man zum Vorwurf erheben, dass sich der einheitliche Lohn an einer statischen Lebenssituation orientiert, die zumindest nicht langfristig realistisch ist und somit mögliche Mitarbeiter davon abhalten kann, sich für das Unternehmen einzusetzen: Als Einzelperson mit einem gesunden Verständnis von Konsum sind 2600 Euro brutto in der Tat ausreichend.
Um unvorhersehbare finanzielle Verpflichtungen wie zum Beispiel kostenintensive Krankenhausaufenthalte und Therapien zu finanzieren, bedarf es mehr – aber davon kann einem ein Arbeiter auf Mindestlohn wohl ein ausführlicheres Lied singen.
Wie auch die politische Demokratie leidet die Unternehmensdemokratie unter dem Mangel an Beteiligung. Nicht jeder, der stimmberechtigt ist, macht auch Gebrauch von seiner Stimme. Uwe Lübbermann nennt es das „Labertaschen-Problem”: Letztlich bleibt die Arbeit an Wenigen hängen, da die Meisten nur große Reden schwingen und darauf keine Taten folgen lassen. Von den mehr als Hundert Mitspracheberechtigten sind folglich nur gute zwanzig aktiv involviert.
Unternehmensdemokratie: Eine zukunftsweisende Alternative
Dennoch ist Konsensdemokratie als Alternative zu traditioneller (profitorientierter) Geschäftsführung mehr als nur eine Utopie und der Erfolg Lübbermanns nicht nur eine Reihe glücklicher Zufälle. Die Essenz des nachhaltigen Wirtschaftens deckt sich mit Ansätzen anderer, betriebswirtschaftlicher Denkmodelle. Immer mehr Unternehmen orientieren sich an einer niedrigen Frustrationsrate ihrer Mitarbeiter, um die jeweilige Effizienz zu optimieren. Als Beispiel kann hier die demokratische Aufteilung des Arbeitsvolumens dienen, überspitzt formuliert: Jeder macht, was er gut kann und will, anstatt sich auf ein strikt definiertes Wirkungsfeld zu beschränken. Das erhöht die Zufriedenheit und in der Folge macht sich der Angestellte für sein Unternehmen durch weniger Krankentage und mehr Motivation bezahlt.
Wer also wie Uwe Lübbermann Erfolg nicht in Profit aufwiegt, sondern Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichberechtigung als legitime Entlohnung harter Arbeit betrachtet, kann und soll mit seinen gleich gesinnten Geschäftspartnern auf den gemeinsamen Nenner kommen: „Es gibt nicht nur den finanziellen Lohn, es gibt auch viele andere Faktoren, die eine Rolle spielen – für mich zumindest”, so Lübbermann.
Der Hamburger selbst ist mittlerweile als alternativer Berater für verschiedene Unternehmen tätig und schmiedet Pläne für neue Projekte. Dass diese mitunter seine farbenfrohen Strumpfvorlieben ausschließen und dafür konservatives Schuhwerk und den einst verschmähten Anzug voraussetzen, nimmt er für seinen Traum von einer fairen Arbeitswelt gern in Kauf.
Quellen:
http://komfortzonen.de/uwe-luebbermann-premium-cola/
http://www.premium-cola.de/kollektiv/newsletter
http://enorm-magazin.de/das-system-ist-zutiefst-krank
https://www.freitag.de/autoren/jan-pfaff/die-gute-cola
Foto: Premium Cola
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