Kleidung ist gegen Gott, wir tragen Feigenblatt
Auch wenn die Musiker den Inhalt dieses Satzes wahrscheinlich eher mit einem ironischen Unterton verstanden wissen wollen, wunderlich sind solche Texte nicht mehr. Die Welt, deren Untergang die Gruppe K.I.Z. in ihrem Lied besingen, ist jener grausamer Ort, in dem Konsum, Status und Profit die maßgeblichen Werte seiner Bewohner sind. Die aktuellen Zustände auf unserem kostbaren Planten lassen leider wenig Spielraum für Hoffnung. Nicht nur religiöse Fanatiker behaupten, dass sie den Erzählungen in Sodom und Gomorrha gleichen und Gottes harte Strafe für die Sünden der Menschheit schon bald einer Form der Apokalypse vollzogen werde. Ja, auf unserer Welt läuft nicht alles, wie es sein sollte. Das unfassbare Elend, das fast alle Ecken unseres Planeten prägt, trägt viele Namen.
Doch was hat Kleidung damit zu tun? Und warum sollte Kleidung gegen Gott sein?
Das Lied von K.I.Z. kommt gut an. Es trifft den Zeitgeist. Das belegen mehr als 34 Millionen Aufrufe allein auf YouTube. Die Musiker sprechen viele Aspekte an, die diejenigen, die innerlich nach Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Liebe rufen, ebenfalls gerne aussprechen würden. Etwas merkwürdig ist der Titel des Liedes trotzdem. Liegt hier nicht ein Widerspruch vor? Laut Bibel schuf Gott Adam und Eva. Sie lebten im Garten Eden, wo sie von einer Schlange überredet wurden, vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ zu essen. Nachdem sie der Aufforderung nachgekommen waren, bedeckten sie sich mit Feigenblättern. Feigen gelten als verbotene Frucht und sollen die materielle Welt symbolisieren. Der Bibel zufolge ließ Gott die beiden nicht nur als erste Menschen eine Verletzung des Schamgefühls empfinden, sondern verbannte sie deswegen auch aus dem Garten Eden. In der jüdischen und christlichen Religion wird das Essen der Früchte in diesem Kontext als Ungehorsam gegenüber Gott verstanden und gleicht somit einer Sünde. Das wirft zum einen die Frage auf, ob das Feigenblatt die erste menschliche Kleidungsform darstellt, und zum anderen fällt auf, dass der Titel keinen Sinn mehr ergibt. Wenn das Feigenblatt – als Sinnbild von Scham und materieller Welt – die Strafe Gottes zum Ausdruck bringt, wie kann es dann gleichzeitig die Lösung auf die Kleidungsthematik sein? Die Kleidung, die, laut K.I.Z., auch gegen Gott ist. Demnach treten beide Elemente Gott entgegen, Feigenblatt und Kleidung. Viele Fragen lassen sich hier aufwerfen, letztendlich sollte jeder für sich entscheiden dürfen, was er trägt und ob er es – das gilt für alle seine Taten – vor sich und vor Gott rechtfertigen kann. Die monotheistischen Religionen implizieren Hinweise darauf, dass unser heutiger Kleidungsstil nicht angemessen ist. Liegt der Ursprung von Kleidung nicht bei Adam und Eva, dann wurde das erste Kleidungsstück spätestens zu jener Zeit erfunden, als die Menschen das erste Mal ihre Körper umhüllen mussten, um sich vor Kälte, Regen oder Sonne zu schützen. Die historische Entwicklung von Kleidung beginnt mit Tierfellen, zum Schutz vor Kälte, Regen und Sonne und reicht zu Stoffen, die undurchlässig sind für UV-Strahlen bis hin zu Regen abweisenden, aber dennoch luftdurchlässigen Materialien. So trivial es auch anmuten mag, Kleidung dient dem Schutz vor Umwelteinflüssen und Gefahren in der Arbeitsumgebung. Sie ist an die Erfordernisse des Menschen angepasst. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist jener, dass Kleidung schon seit Beginn unserer historischen Aufzeichnungen als nonverbale Kommunikationsform interpretiert wird. Kleidung ist ein Ausdruck der eigenen Identität bzw. Individualität und dient mitunter als Abgrenzung. Seit jeher werden durch Kleidung also auch die soziale Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und die Abgrenzung von anderen Gruppen kommuniziert. Da auch heute noch jeder in der Öffentlichkeit Kleidung trägt, kann sich niemand ihrer kommunikativen Kraft entziehen. Die Gründe dafür, dass wir bestimmte Kleidungsstücke kaufen und anziehen, haben sich jedoch verschoben. Sie sind viel seltener zweckmäßiger Natur. Ästhetische Komponenten überwiegen. Menschen wollen schön aussehen.
Die Gesetze der Mode
Heute unterliegt Kleidung in der westlichen Konsumgesellschaft den Gesetzen der Mode, die ihrerseits einem steten Wandel unterliegt. Darunter werden kurzfristig übliche Arten, sich zu kleiden, verstanden, die in regelmäßigen Abständen aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen von neuen Trends abgelöst werden. Ein gegebenes Muster wird nachgeahmt, was dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung Rechnung trägt und einzelne Details werden mit großem Abwechslungsreichtum verändert, um Individualität vorzugeben. Moden sind auch immer Klassentrends. Die Moden der höheren Gesellschaftsschicht unterscheiden sich von den Stilen der tieferen und werden ersetzt, sobald die unteren sich anzupassen beginnen. So bedeutet Mode einerseits den Anschluss an die Gleichgestellten und Gleichgesinnten, andererseits eine Abgrenzung der eigenen Gruppe gegenüber höher und tiefer gestellten Gruppen. Das strenge Diktat der Modemagazine und Designer entscheidet, was gerade Trend ist, und zahlreiche Prominente leben es vor. Mode bedeutet nicht nur sich zu kleiden. Vielmehr sich darzustellen, auf eine gewissen Weise zu inszenieren und sich in einem rasenden Tempo immer wieder neu zu erfinden. Kleidung als etwas Essenzielles und Nützliches wird im Kontext von Modeinszenierungen für die Bedürfnisse von Menschen missbraucht, und das auf Kosten vieler Opfer, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Das vorliegende Essay möchte einer Antwort auf die Frage „Wer sind die Opfer der Kleidermode?“ näherkommen. Es wird versucht, das beschriebene Phänomen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Mode ist ein sehr komplexes Themengebiet, dass es zu entschlüsseln gilt, um die untragbaren Zustände, die daran gekoppelt sind, besser zu verstehen. An dieser Stelle sei betont, dass der Entstehungsprozess der Mode derart verstrickt und vielfältig ist, dass sich der Begriff nur sehr schwer in feste Theorien und Erklärungen zwängen lässt.
Alle sind Opfer der Mode
Der folgende Teil befasst sich mit dem in der Einleitung erwähnten Schamgefühl. Mode und ihre Begleiterscheinungen schüren die Angst davor, sozialen Erwartungen nicht zu entsprechen. Es gibt Menschen, die sich für das, was sie tragen oder was sie nicht tragen, schämen. Zahlreiche Situationen im gegenwärtigen Alltagsleben erinnern an die alte Geschichte von Adam und Eva. Beispielsweise ließe sich an Teenager denken, die sich nicht trauen, zur Schule zu gehen, weil sie nur die alten, aus der Mode gekommenen Turnschuhe tragen. Sie werden in ihrem sozialen Umfeld nur dann anerkannt, wenn sie die neuesten und angesagtesten Sneakermodelle tragen. Dass die Eltern dann schnell mehrere hundert Euro für ein Paar Schuhe ausgeben, welches wahrscheinlich nicht mehr als 5 Euro in der Produktion gekostet hat und zudem zu untragbaren Bedingungen hergestellt wurde, bleibt Nebensache. Ebenso zwängen sich nicht wenige Frauen und Männer in unbequeme oder unpassende Kleidung. Dieses Phänomen ist besonders gut zu beobachten, wenn das junge Volk in kalten Winternächten zu leicht bekleidet zitternd vor den Eingängen der Tanzlokale auf Einlass wartet. Es ist die Angst vor sozialer Ablehnung, welche die Jugendlichen dazu veranlasst, zu jedem Preis modisch und trendig aussehen zu wollen. Den Erwartungen der Gesellschaft oder ihrer sozialen Gruppe nicht zu entsprechen, davor haben gerade solche Menschen große Angst. Es ist also vor allem der verunsicherte Nachwuchs unserer Gesellschaft, der aus Angst vor Nichterfüllung des Bedürfnisses nach Verbundenheit, scheinbar jedem Trend in einem hohen Tempo folgt. Insbesondere Teenager, aber auch Erwachsene sind auch aus einem anderen Grund sehr anfällig für jede neue Form der Kleidermode. Alle sind Opfer des Marketings der Mode-Industrie. Es sind ihre mächtigen Zeichen und Symbole, die sogenannten Marken, die uns ein schöneres, besseres und stärkeres Erscheinungsbild von uns selbst suggerieren sollen. Je mehr und umso teurere Symbole, desto besser, scheint die Devise zu lauten. Werbung erschafft Bedürfnisse und das Verlangen nach Produkten, die wir nicht zum Leben bzw. Überleben brauchen. Sie suggeriert auch, dass der Erwerb dieser Produkte den sozialen Status anhebet. Die Mitglieder unserer Gesellschaft reagieren darauf, indem sie ihr Kaufverhalten ändern, ohne den realen Nutzen oder Wert der Kleidung zu hinterfragen, sondern nur den von der Werbung diktierten Wert annehmen. Hier zeichnet sich die Möglichkeit ab, durch das Tragen spezifischer Kleidung ein bestimmtes Bild zu kreieren oder sich in bestimmter Weise sozial zu positionieren. Die Werbung der Modeindustrie ist geprägt von selbst erschaffenen Schönheitsidealen, die es für ihre Bewunderer und Befürworter einzuhalten gilt. Nicht nur die Werbung macht das frevelhafte Verhalten der verantwortlichen Personen innerhalb der Bekleidungskonzerne sichtbar. Die Herstellungs-Methoden diverser Unternehmen aus der Branche sind moralisch nicht vertretbar. Begriffe wie Ethik sind in der Modebranche nicht nur sekundären Rangs, sondern oftmals sogar unwichtig. Für die Weltkonzerne zählen vorrangig Gewinnmaximierungsoptionen und nicht etwa angemessene Bedingungen für die Arbeiter, etwa gesicherte Gehälter, von denen die Angestellten einigermaßen gut leben können. Hinter dem schönen Schein der Modeindustrie steht in vielerlei Hinsicht ein Ausmaß an ethischen und moralischen Missständen, für die niemand die Verantwortung übernehmen möchte. Diese Vermutung liegt zumindest nahe, wenn man sich die Profile einiger bekannter Marken anschaut.
Die großen Unternehmen, deren Namen oft in den Medien genannt werden, fallen immer wieder negativ auf. Die Zustände sind erschreckend: von Produktionshallen, die einem Gefängnis gleichkommen, über Kinderarbeit auf Baumwollfeldern bis hin zu Behinderungen der Gewerkschaften. Für einen Jahresumsatz von mehreren Milliarden Euro scheinen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gerne in Kauf genommen zu werden. Durch die günstige Produktion von Kleidung ermöglicht die Modeindustrie es auch den Niedrigverdienern der westlichen Welt, ihren Konsumdurst zu stillen und nach sozialer Anerkennung zu streben, ein „teuflischer“ Kreislauf. Eine weitere Vermutung liegt nahe, wenn man bedenkt, dass die Missstände seit Langem bekannt sind und sich andauernd zu wiederholen scheinen. Es gibt kaum noch Menschen, die nicht wissen, unter welchen Bedingungen unsere Kleidung produziert wird. Manche sind womöglich sogar stolz darauf: „Ich trage Nike Shox mit eingenähter Kinderhand“, singen die Musiker von K.I.Z. in dem Lied „Ein Affe und ein Pferd“, passend. Die Erscheinungsformen von Mode sind vor allem unter Verweis auf die Grundbedürfnisse des Menschen zu erklären, welche die Mode sehr gut zu erfüllen scheint. Der Markt stellt für jedes Verlangen ein vielfältiges Angebot an materiellen und symbolischen Befriedigungsobjekten bereit, mit denen sich lieber zufriedengegeben wird, als seiner wahren Identität auf den Grund zu gehen. Folglich entsteht eine Einstellung, die nahelegt, dass man nur etwas wert sei, wenn man dem jeweils populären Schönheitsideal nacheifert. Der Mensch, der die produzierte Kleidung kauft, scheint genauso wenig wert zu sein wie der Mensch, der sie für die Unternehmen näht. Es läuft immer wieder darauf hinaus, dass die Modeindustrie zumindest moralisch fragwürdig vorgeht. Festzuhalten gilt es, dass die Opfer, seien es die Betroffenen oder jene, die den Vorbildern der Modebranche nacheifern, sich immer freiwillig in das Modegefängnis begeben. Wenngleich viele dies vergessen, der freidenkende Mensch ist in der Lage, sich jedes Einflusses, sei dieser gut oder schlecht, zu entziehen. Weiterführend stellen sich die Fragen, warum es uns so leichtfällt, über die Kollateralschäden der Modeindustrie hinwegzusehen und welche Auswege aus der Täuschung sich andenken lassen?
Quellen
Arnold Hermanns, . W. Handbuch Modemarketing. Grundlagen Analysen Stragegien Instrumente.
Carlo Michael Sommer, . T. Mode. Die Hüllen des Ich.
Deutsche Bibelgesellschaft. www.bibelwissenschaft.de. Von http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/dasbibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/adam-und-eva/c/7f27ad92a4116dab9c080228baa23b79/
Gottdiener, M. New forms of consumption: consumers, culture, and commodification.
Hans Weiss, . K.-L. Schwarzbuch Markenfirmen: Die Welt im Griff der Konzerne.
K.I.Z. Ein Affe und ein Pferd.
K.I.Z. Hurra die Welt geht unter.
Mundlos, C. Schönheit, Liebe, Körperscham: Schönheitsideale in Zeitschriften und ihre Wirkung auf Mädchen und Frauen.
Schimmel, G. Philosophie der Mode / Zur Psychologie der Mode: Zwei Essays.
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