Die kindische Gesellschaft
1971 sang Floh de Cologne „Die Luft gehört denen, die sie atmen“. Man erlaube mir einen Textauszug:
Warum gehören denn die Seen nicht denen, die darin baden?
Warum gehören denn die Häuser nicht denen, die darin wohnen?
Warum gehören die Fabriken nicht denen, die darin arbeiten?
Warum gehört denn der Staat nicht denen, die ihn aufbauen?
Warum gehört denn die Welt nicht denen, die in ihr leben?
In den Siebzigern waren Politiker rundliche Herren im Anzug und rührende Naivität das Vorrecht der Jugend; Menschen ab Dreißig runzelten bei solchen „Warum“-Fragen die Stirn, überlegten, wo sie mit dem Erklären anfangen sollten, wie lange das Erklären wohl dauern würde und beschlossen schließlich, die Youngsters in Ruhe zu lassen, im sicheren Wissen, dass sich diese Allüren auswachsen. Und das taten sie auch.
Für die Kleineren gab es „Yps“. Spezialität: Jedes Heft enthielt einen Gimmick, ein Spielzeug mit einer Haltbarkeit zwischen fünf Minuten und zwei Sekunden. Genau richtig für den Zehnjährigen. Zwei Jahre später schwand die Faszination; Mädels widmeten sich dem Interesse am anderen Geschlecht, Jungs noch für zwei weitere Jahre dem Bombenbau (na, wer kennt noch Rezepte?), Yps war unter dem eigenen Niveau.
In den Neunzigern motzte der testosterongeladene Jungmann seinen Polo mit dem „bösen Blick“ auf. Der wurde davon nicht schneller, sah aber „gefährlich“ aus, zumindest in den Augen des Besitzers. Ab Mitte Zwanzig verlor sich das, mit Dreißig stand die biedere Kutsche vor der Tür, vielleicht mit einem Spoilerchen als Reminiszenz an die wilden Jahre.
Und heute?
Selbst hochpreisige Karossen kommen nicht mehr wuchtig, aber dezent daher, sondern appellieren mit ihrer Überholprestige-Fratze an niederste Instinkte. Yps gibt es immer noch, es nennt sich jetzt „Kult-Magazin für Erwachsene“, und so sieht es aus:
Aber Politiker sind doch noch die mal mehr, mal weniger integren, immer etwas behäbigen Gestalten mit dem Blick fürs Reale und Machbare? Schauen wir mal.
Ach, diese Teletubbies sind zu jung und nicht repräsentativ? Nun, immerhin gerieten sie, wie immer das passieren konnte, ins Europa-Parlament. Aber es gibt auch gereiftere Exemplare.
Kommen wir zu den Medien. Vom Privatrundfunk kann ich nicht reden, weil ich seinen aufgeregten Verbaldurchfall nicht ertrage, aber zumindest im Deutschlandfunk klingen die Moderatoren mit ihrer Langsamkeit und „leichten Sprache“ zunehmend wie Märchenonkel... ah, leichte Sprache! Kurzes Intermezzo, die Grünen:
Nichts gegen Zugänglichkeit öffentlicher Einrichtungen für alle, im Rathaus soll jeder die Mitarbeiter verstehen und von ihnen verstanden werden, gern auch in leichter Sprache. Aber nicht ohne Grund beginnt das Wahlrecht mit achtzehn Jahren. Soll, wer nur solche Texte versteht, über die Zusammensetzung der Regierung entscheiden?
Zwar ist Facebook „erwachsen“ geworden, uncool, die Youngsters sind anderswohin abgewandert. Dennoch bedient es mit seinen Mechanismen Reflexe, die eines Kindes würdig sind. Man postet sein Mittagessen, nach einer Minute trudeln die „Likes“ ein – instant gratification. Wie IKEA duzt es uns, und seine Reaktions-Emoticons sprechen Bände.
2015 wurden verdutzte Afghanen auf Bahnhöfen von Erwachsenen mit Teddybären beworfen, nachdem Frau Merkel „wir schaffen das“ gesagt und damit offenbar ihr vollständiges Programm des Umgangs mit dem Strom der Einwanderer zum Ausdruck gebracht hatte. Welches Niveau erleben wir hier?
Neil Postman schlug einst Kriterien für erwachsenes Verhalten vor: Fähigkeit zur Selbstbeherrschung und zum Aufschub unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung, ein differenziertes Vermögen, begrifflich und logisch zu denken, ein besonderes Interesse sowohl für die historische Kontinuität als auch für die Zukunft, die Wertschätzung von Vernunft und gesellschaftlicher Gliederung.
Das klingt nach preußischen Sekundärtugenden, aber die wurden von der Achtundsechziger-Generation als ewiggestrig verdammt und abgeschafft.
Da wir offenbar wieder zu Kindern werden, die mit „historischer Kontinuität“ und „Zukunft“ nicht mehr viel anfangen können, sind die vergangenen zwölf Jahre „Mutti“ nur folgerichtig; Mutti hat es auch nicht so mit Perspektiven und Visionen („Internet ist Neuland“), mehr mit Erziehung und Verwaltung. Aber die Zukunft wird kommen, ob wir uns um sie kümmern oder nicht, und die Weichen stellen wir jetzt. Dabei werden uns weder leichte Sprache noch bunte Bildchen helfen. Und Mutti vermutlich auch nicht. Wollen wir nicht doch, wieder, erwachsen werden?
Nachdem Du mich mit Anekdoten aus der Vergangenheit in meiner Lebensrealität eines Herangewachsenen in den 80ern und 90ern abgeholt hast...Die Teletubbies im Europaparlament und das allgemeine Niveau der aktuellen Informationskommunikation...ich denke, nicht zuletzt dadurch, dass alles immer einfach und leicht zu verstehen sein soll - obwohl unsere Welt immer komplizierter (oder war es komplexer) wird - neigen die denkunwilligen Zeitgenossen dazu, sich die einfachen Antworten bei Hetzern und Verschwörungstheoretikern zu holen...oder eben bei Mutti, denn die wird schon wissen, was gut für uns ist.