Künder der deutschen Tragödie

in #deutsch7 years ago


Ein deutscher Mythos: Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald. Foto: BeneFoto, CC BY-SA 4.0, Wikimedia Commons

Heute vor 25 Jahren – und damit lange vor Thilo Sarrazin – schlug der Schriftsteller Botho Strauß eine tiefe Schneise in das Dickicht bundesrepublikanischer Gewissheiten. Dass sich ausgerechnet der auf deutschen Bühnen meistgespielte Dramatiker zu einem unverkrampften Rechtssein bekannte, war für das Establishment ein echter Schock.

VON DANIELL PFÖHRINGER

«Das Echo war gewaltig», so der Soziologe Stefan Breuer nach der Veröffentlichung des Essays «Anschwellender Bocksgesang» in der Spiegel-Ausgabe vom 8. Februar 1993. «Durch alle größeren Tages- und Wochenzeitungen ging ein Rumoren, als habe der Antichrist sein Haupt erhoben, die Sturmglocken wurden geläutet, die Waffenkammern geöffnet und die schwersten Geschütze in Stellung gebracht.» Besonders oft sei dabei der Vorwurf zu lesen gewesen, der Autor «betreibe eine Reaktualisierung von Positionen der Konservativen Revolution und reihe sich damit ein in jene Bestrebungen, die eine Abkehr Deutschlands vom Westen auf ihre Fahnen geschrieben» hätten.

Tatsächlich fiel der Beitrag in eine Zeit, in der die Debatte um die künftige Ausrichtung des wiedervereinigten Deutschlands noch nicht abgeschlossen war. Außenpolitisch sprachen sich viele Ex-DDR-Bürger für Neutralität aus, innenpolitisch wurde die Lage vor allem von den Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte in Mölln und Solingen und dem sogenannten Asylkompromiss geprägt, mit dem Bonn die Zuwanderungswelle der frühen 1990er Jahre zum Abebben bringen wollte. In der Bundesrepublik tobte damals ein «Kulturkampf, bei dem es weniger um tatsächliche Konfliktlinien ging, eher um die Imagination einer allmächtigen Rechten durch die Linke», resümierte der Historiker Karlheinz Weißmann 20 Jahre später in der Zeitschrift Sezession. Der Text von Botho Strauß sei von weiten Teilen der selbsternannten Eliten als «Vorzeichen» einer Renaissance konservativen Denkens gedeutet worden, «auch weil er veröffentlicht wurde, als die tonangebenden Kreise aus einer Depression auftauchten», die der unerwartete Zusammenbruch des Ostblocks hinterlassen hatte. Gänzlich falsch lagen Bedenkenträger damit nicht – und wie sich herausstellen sollte, hatte Strauß mit seinem Essay ein Fenster geöffnet und den reichlich vermieften Debattenraum gut durchgelüftet. Der «Anschwellende Bockgesang» markierte eine erste Zäsur im öffentlichen Diskurs, von dem die Neue Rechte, die AfD und außerparlamentarische Gruppen noch heute profitieren.

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