[Mein Ausstieg aus dem Beamtentum – Mein Einstieg ins Leben] Die beschlossene Kündigung. Mein WARUM. Meine Gründe.
Mein beruflicher Hintergrund
Nach meiner ersten richtigen Arbeitsstelle in Izmir, Türkei, bin ich nach Deutschland zurück um eine Beamtenstelle an einer staatlichen Schule anzunehmen. Ich hatte mich selbst darum bemüht und mich an einigen Schulen beworben. Letztlich hat mich und habe ich eine Schule in Baden- Württemberg überzeugt, sodass ich im September 2017 ins „Abenteuer Beamtentum“ starten konnte.
Ich war im Gegensatz zu vielen meiner Kommilitonen, niemand, der das Beamtentum immer als absolutes Ziel hatte. Was für manche Sicherheit ist, bedeutet für andere eher „Fesseln“. Je nach Lebenskonzept…
Trotzdem wollte ich gerne nach Deutschland zurück , diese Erfahrung selbst machen und nahm mir einmal mehr meine Freundin Julia zum Vorbild 🙂
Die Schule, an der ich meine Beamtenstelle antrat, war eine Gemeinschaftsschule. In vielerlei Hinsicht war sie das genaue Gegenteil der Schule in Izmir.
Ich arbeitete also als verbeamtete Lehrerin an einer staatlichen Schule, merkte aber bald, dass es nicht das Richtige für mich war. Viele Faktoren spielten ineinander, und ein Wochenende in Arco gab den entscheidenen Impuls. Die Reihe „Mein Ausstieg aus dem Beamtentum“ beleuchtet den Prozess, den ich in dieser Zeit durchlaufen habe. Bis hin zur Kündigung und beruflichen Neu- bzw. Andersorientierung.
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Die innere Stimme
Ich könnte hier viele rationale Gründe aufzählen, aber letztlich zählt doch, wohin mich mein „inneres Navigationssystem“ (um es mit Stefans Worten zu sagen) zieht. Und sind wir mal ehrlich – ganz tief drin wissen wir ALLE, was wir wirklich wollen in diesem Leben. Manchmal ist dieses Wissen bzw. Gefühl derart überlagert, dass man es erst Freischaufeln muss, aber es ist da.
Ich hatte noch guten Zugang dazu. Es war immer da.
Gesundheit
Außerdem bin ich überzeugt davon, dass viele Krankheiten Resultate unseres Handelns sind. Gewiss, manches ist genetisch bedingt, aber ob es ausbricht… ist eben die Sache. Ich hatte vor meinem Jahr als Lehrerin in Deutschland nicht gewusst, wie eine Krankmeldung aussieht. Als Lehrerin hat man den komfortablen Status, nicht schon ab dem ersten Tag eine Krankmeldung zu benötigen.
In diesem Schuljahr hatte ich solche mehrfach bekommen.
"Geh Du vor", sagte die Seele zum Körper, "auf mich hört er nicht. Vielleicht hört er auf Dich."
"Ich werde krank werden, dann wird er Zeit für Dich haben",
sagte der Körper zur Seele.
Davon bin ich fest überzeugt. Und es wäre so weitergegangen, mit den Krankmeldungen.
Das ist ein Punkt, einer von vielen.
Menschliches Lernen
Lernen im 45-Minuten-Takt. Ernsthaft?
Hat beispielsweise jemand von den Vanlifern seinen Van im 45-Minuten-Takt ausgebaut: erst 45 Minuten mit der Solaranlage beschäftigen, dann 45 Minuten mit dem Innenausbau, 45 Minuten mit der Planung der nächsten Reise und dann wieder 45 Minuten mit Fahrzeugwartung, -reparatur und Co. …. ?!
Oder gestaltet ihr euer Leben gemäß dem „Vorbild Schule“ getaktet und aufgeteilt in verschiedene Fachgebiete, nach einem festen Plan?
Von soetwas wie „Flow“ brauchen wir in dem Zusammenhang wohl gar nicht sprechen… den erleben manche Kinder wohl nur noch beim stundenlangen Computerspielen. Glücklich kann sich schätzen, wer diesen Zustand für sich wiederfindet und erleben darf.
Jedem mit halbwegs gesundem Menschenverstand leuchtet ein, dass diese 45-, oder sei es auch die 90-Minuten Stückelung alles andere als sinnvoll ist. Ich jedenfalls kann sie kaum noch ernsthaft vertreten.
Hierarchie
„Ich sag, wo es lang geht und die Schüler haben zu funktionieren.“
Diesen Satz hört man in Lehrerkollegien nicht nur vereinzelt. Mir tut es im Herzen weh, mitzubekommen, wie manche Schüler zusammengeputzt werden, wenn sie „nicht funktionieren“. Man sollte eher an der Ursache ansetzen, nicht am Symptom.*
Welches Recht habe ich, mich derart über die Schüler zu stellen und ihnen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben? Klar, ich habe mehr Lebenserfahrung, aber können wir nicht immer gegenseitig voneinander lernen? Viele Schüler sind in jungen Jahren schon Experten für Themen, von denen ich kaum Ahnung habe: ein Instrument spielen, eine bestimmte Sportart und so viel mehr.
Ich wünsche mir eine Begegnung auf Augenhöhe.
*Ursache statt Symptom
Einen Großteil der Pubertät verbringen die Schüler in der Schule. Jeder, der sich an seine eigene Jugend zurückerinnert, weiß, dass man mit sich selbst schon genug beschäftigt ist - und dann auch noch Schule? Funktionieren. Leistung bringen. Verglichen werden. Dabei macht doch jeder seine ganz eigene, individuelle Entwicklung mit. Das klassische Schulsystem wird dem nicht gerecht.
Zeitgemäß?
Sich Wissen anzueignen und wiederzugeben, ist heute nicht mehr DIE anzustrebende Fähigkeit. Das können Computer schon lange viel besser als wir Menschen. Worauf es in Zukunft ankommen wird, sind Werte und der menschliche Umgang miteinander – Fähigkeiten, die kein Computer lernen kann; Fähigkeiten, die uns als Menschen ausmachen.
Zweiklassensystem
Natürlich war es mal eine Erfahrung, „auf der anderen Seite“ zu stehen: weniger Abzüge beim Gehalt (aber: kein Einzahlen ins Sozialsystem, kein Arbeitslosengeld), kaum Wartezeiten bei Ärzten dank Beihilfe und privater Krankenversicherung, Fahrkosten und vieles mehr extra bezahlt, keine Angst mehr um den Job.
Aber kann‘s das wirklich sein? Neben Kollegen zu sitzen, die die gleiche (oder gar mehr) Arbeit machen, wie man selbst, die aber 1000€ weniger monatlich verdienen?
Selbstbestimmung adé (Lehrersicht)
Jammern auf hohem Niveau. Trotzdem: nicht ein flexibel einsetzbarer Urlaubstag. Freie Tage und Wochen immer auf zwei bis drei Jahre im Voraus vorherbestimmt. Fühlt sich für mich nicht passend an.
Selbstbestimmung adé (Gesellschaft)/ Schulpflicht
Kinder müssen, sind sie und ihre Eltern in Deutschland gemeldet, ab einem bestimmten Alter zur Schule gehen. Schulpflicht nennt sich das. Bei Zuwiderhandlung gibt es Konsequenzen wie z.B. Beugehaft für die Eltern. Will man, wie es in anderen Ländern erlaubt ist, seine Kinder selbst oder außerhalb des Schulsystems "beschulen", muss man sich aus Deutschland abmelden und infolgedessen auch das Land verlassen. Es genügt also nicht, dass das Kind die entsprechende Bildung erreicht, nein, es muss sich zu bestimmten Zeiten in der Institution "Schule" aufhalten.
Da kann man schonmal drüber nachdenken...
In diesem Zusammenhang sei auch mal auf das Buch Und ich war nie in der Schule: Geschichte eines glücklichen Kindes von André Stern verwiesen. Es zeigt ganz wunderbar, dass es auch anders geht, und dass man nicht erst weg muss vom Flow und seinen Interessen um eine "Allgemeinbildung" zu bekommen, um dann irgendwann mal wieder zu seinen Interessen zu finden, die man während der Schulzeit eventuell aus den Augen verloren hat.
Lernen im Leben fürs Leben
Unsere Kinder lernen Vieles erstmal nur in der Theorie. Als Lehrer versucht man, ihnen Anwendungsmöglichkeiten im Alltag näher zu bringen. Manchmal schwierig: Wozu muss man die Bogenlänge eines Teilkreises ausrechnen können?
Warum gehen wir nicht umgekehrt vor? Stehe ich vor einem Problem, ist es ein ganz normaler Prozess, dass ich mir Lösungen suche. Sei es im Internet, jemanden, der mit hilft oder einfach versuchen. Was ich in solchen Situationen lerne, daran erinnere ich mich tausendmal besser als an etwas, was ich in der immer gleichen Umgebung in der Theorie lernen musste.
Das war jetzt viel „weg von“… ich hab auch noch ein paar, und viel wichtigere, „hin zu“-Gründe:
Foto: Griechenland, Vikos Schlucht
Alternativen vorhanden
Es gibt sie! Wenn sogar Physiotherapie und handwerkliche Berufe „auf die Straße“ gebracht werden können (Stichwort digitale Nomaden), dann ist das im Bereich Bildung ja wohl auch möglich. Im Jahr 2017 durfte ich so viele Leute kennenlernen (u.A. seien hier die „Camper Nomads“ genannt), die von unterwegs ortsunabhängig arbeiten und bei denen es funktioniert. Das zu sehen und dann auch noch den einen oder anderen Tipp zu bekommen, gibt unglaublich Auftrieb und lässt vieles, was weit weg war, auf einmal möglich erscheinen.
Ortsunabhängiges Leben
Ich möchte gerne selbst bestimmen, wann ich wo bin. Ob ich den Winter im warmen Süden verbringe oder in den schneebedeckten Bergen, in der Heimat oder unter den Polarlichtern. Die Welt ist so groß und ich möchte viel von ihr sehen.
Selbstbestimmtes Leben
Morgens um 6 aus dem Bett quälen, weil die Schule nunmal um 7.30 Uhr anfängt? Für mich ein großer Faktor… Mein Schlaf ist mir heilig und es gibt nichts Schöneres als ausschlafen zu können. Oder eben mit dem Wecker aufwachen, aber aus einem selbstgewählten Grund.
Selbstverantwortung
Wenn man mit einer anderen Motivation an die Dinge herangeht, erscheint auch Unangenehmes leichter. Woher kommt die Motivation? Daher, dass ich selbst über mein Leben bestimmen und dafür Verantwortung übernehmen kann. Und schon steht man viel lieber früh um 6 auf.
Wertschätzung und Spaß am Arbeiten
Diesen Punkt kann ich wohl nur ergänzen, weil ich mittlerweile die Erfahrung gemacht habe: Sei es Sprachkurs oder Nachhilfe, mein Gegenüber hat eine andere Haltung mir gegenüber als eine Klasse, die jetzt gerade eben Französisch oder Erkunde lernen MUSS, weil irgendjemand es so in den Stunden- bzw. Lehrplan geschrieben hat.
Dazu kommt, dass die Arbeit mit einem Mal sogar Spaß machen kann. Ungeahnte Erfahrungen! Unglaublich, wie „leicht“ es sein kann, Geld zu verdienen.
Meine persönlichen Gründe.
Das waren nun die wichtigsten Gründe für mich. Es sind meine persönlichen Gründe und es gibt bestimmt ganz viele Gegenargumente. Mag sein. Das ist mein Standpunkt. Zugegeben, stark von meinen letzten Engagements gefärbt. Es gibt Schulen (und ich hatte bereits das große Glück, diese kennenzulernen), an denen manche Punkte nicht so sehr ins Gewicht fallen. Wo die Schüler lernwillig sind, Stundenplan hin oder her und gerne mitmachen, offen, freundlich und respektvoll sind. Wo ich auch mal schlecht gelaunt hinkomme und nach den Stunden mit meinen lieben Schülern wieder gut gelaunt nach Hause gegangen bin. Ja, solche Traumschulen gibts auch.
Ich freue mich für jeden, der einen ähnlichen Weg gegangen ist wie ich und seine Erfüllung als Lehrer mit hoffentlich unbefristetem Vertrag in unserem Schulsystem findet. Für mich ist es allerdings auf Dauer bzw lange Sicht nicht das richtige.
Die gesamte Reihe zu meinem Ausstieg aus dem Beamtentum findest du hier (klick).
Da kann ich nur zustimmen. Meine Frau und ich schauen uns gerade nach Alternativen zum staatlichen Schulsystem um. Wir wohnen in Österreich und hätten ja grundsätzlich die Möglichkeit unsere Kinder auch von zu Hause aus zu unterrichten. Da wissen wir aber nicht ob wir das schaffen. Ist echt schwierig weil es viele Dinge gilt abzuwägen.
Wir haben auch einen Camper. Wir können uns ja gemeinsam auf den Weg machen und du bringst meinen Kindern noch was bei.😉
Das ist super, dass es in Österreich liberaler zugeht, was das Thema "Schulbesuchspflicht" angeht!
Natürlich ist es anspruchsvoll, seine Kinder selbst zu beschulen. Die Frage ist, ob man es "klassisch" angehen möchte und sich an Lehrpläne etc mt Ziel eines Abschlusses hält - oder aber einfach das Leben den Lehrer sein lässt, ggf. Experten hinzuzieht oder besucht, die den Kindern spezielles beibringen können, was man selbst nicht kann.
Ich bin der Überzeugung, dass Kinder, die letzteres erfahren, so sehr zum selbst lernen befähigt werden, dass es ihnen ein leichtes ist, mit der entsprechenden Motivation, die von innen heraus kommt, auch ohne klassische Beschulung einen guten Abschluss zu erreichen!
Warum nicht einfach ausprobieren?
Gerne! :D Wohin solls gehen bei euch? Ich gebe derzeit Online-Unterricht, das klappt sehr gut. Bin auch dabei, ein Netzwerk an Lehrern aufzubauen (in den höheren Stufen hörts bei mir mit Mathematik z.B. auf, dafür bin ich die Expertin für Sprachen). Also - wir können da gern mal in Kontakt bleiben!
Hast du Facebook oder bist du auf Insta? Mich findest du unter: @lisacaravanci.
Oder über meinen Blog www.caravanci.com
Viele liebe Grüße und alles Gute dir und deiner Familie!
Lisa
Danke, dass du uns an deinen Gedanken, Beweggründen
und Ansichten teilhaben gelassen hast.
Ich denke, es ist wichtig, seine Arbeit, soweit man dies kann,
entsprechend seiner Fähigkeiten zu gestalten.
Wenn man seine Gaben in einem entsprechenden Umfeld
einsetzen kann, wird man darin bestimmt erfolgreich
sein.
Danke für deinen nachdenklichen Artikel.
Viele Grüße.
Danke dir für deine Worte!
Genau so ist es. Und das tue ich mittlerweile auch. Meine Stärken einsetzen und etwas bewegen. Es ist so viel motivierender zu arbeiten, wenn man es komplett (!) aus eigenem Antrieb heraus tut.
Liebe Grüße.
Oh Mann, wie sehr ich das bei meinem derzeitigen Engagement als Admin (ohne Ahnung) für das SteemWiki merke! Und was man da leisten kann! Einziger Anreiz: Intrinsische Motivation. Ich MUSS Moritz kontaktieren...
Das klingt super bei dir!
Mach das, er ist wirklich super nett! :)
Vielen DANK für deine Einblicke!!!
Vielen Dank für dein Feedback! :)
Sehr schön geschrieben :)
Danke!
Schöne panaroma. Was it hard work getting to the top.
Posted using Partiko Android
Thank you!
The picture was made in Greece, Vikos Gorge. It was not that hard. There is a parking in the mountains and from there, we took a longer walk :)