Archiv: Die Rede, die einen Bundespräsidenten zum Sturz brachte

in #deutsch7 years ago

Auszüge aus der Rede vom ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff vor Wirtschaftsnobelpreisträgern. Die Rede ist vom 24. Augugst 2011.

Zum Höhepunkt der Bankenkrise brachte der ehemalige Bundespräsident eine klare Meinung vor einer Auswahl von Wirtschaftsnobelpreisträgern zum Besten. Diese war ganz im Gegensatz zu der Meinung von der damaligen und auch jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es wurde somit klar, das die von Wolfgang Schäuble und Angela Merkel favorisierte Rettungspolitik wohl die Unterschrift des Bundespräsidenten nicht erhalten würde. Was folgte war ein medialer Feldzug gegen den Präsidenten, der letztendlich zum Rücktritt führte. Der Weg wurde frei für den neuen Präsidenten Joachim Gauck und die Unterzeichnung einer der größten Fehlentscheidungen der deutschen Politik war gemacht. Hier nun zu den wichtigsten Auszügen der Rede:

Auf dem Deutschen Bankentag hatte ich den Finanzsektor bereits gewarnt. Wir haben weder die Ursachen der Krise beseitigt, noch können wir heute sagen: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Wir sehen tatsächlich weiter eine Entwicklung, die an ein Domino-Spiel erinnert: Erst haben einzelne Banken andere Banken gerettet, dann haben Staaten vor allem ihre Banken gerettet, jetzt rettet die Staatengemeinschaft einzelne Staaten. Da ist die Frage nicht unbillig: Wer rettet aber am Ende die Retter? Wann werden aufgelaufene Defizite auf wen verteilt beziehungsweise von wem getragen?

Über viele Jahre wurden in vielen Ländern Probleme immer wieder über höhere staatliche Ausgaben, höhere Schulden und billigeres Geld vor sich hergeschoben. Das verlängern wir gerade. Dabei wurde im großen Stil konsumiert und spekuliert, anstatt in gute Bildung und Ausbildung, in zukunftsweisende Forschung und Innovationen zu investieren - in das, was eine produktive und wettbewerbsfähige Wirtschaft überhaupt erst ausmacht. Nun klaffen in den öffentlichen Kassen Löcher, wertvolles Saatgut wurde verzehrt, statt fruchtbaren Boden zu bestellen.

Eine gute Zukunft wird es nur geben, wenn wir langfristig zurückfinden zu solidem Wirtschaften. Das wird Einschnitte bedeuten, die schmerzhaft sind. Langfristig wird aber nur dies Handlungsfähigkeit und Wohlstand bewahren. Wichtig dabei ist, dass die Lasten fair verteilt werden. Ich verstehe, dass viele nicht nachvollziehen wollen, dass Bankmanager zum Teil exorbitant verdienen, dass aber zugleich Banken mit Milliarden gestützt werden. Und Trittbrettfahrer in der Finanzwelt spekulieren weiterhin darauf, von der Politik und damit letztlich von Steuerzahlern aufgefangen zu werden – weil sie zum Beispiel zu groß sind und zu relevant für den gesamten Wirtschaftskreislauf.

Ich erinnere, wie mir, als ich in Ihrem Alter war, ein Unternehmer erzählte, er hätte von seinem Vater gelernt: „Wenn Du einen kleinen Kredit aufnimmst, dann hat Dich die Bank in der Hand. Wenn der Kredit eine bestimmte Größe erreicht, dann hast Du die Bank in der Hand.“ Und wenn die Bank eine bestimmte Größe hat, scheint es jetzt so zu sein, dass sie den Staat in der Hand hat. Und das empfinden die Menschen zu Recht als unfair - so wie es der Volksmund sagt: „Die Kleinen fasst man, die Großen lässt man laufen.“ Ungleichheiten sind wichtige Antriebskräfte, wenn sie nicht zu groß werden. Sie werden dann aber nicht akzeptiert, wenn Gewinne privatisiert werden, Verluste jedoch kollektiviert, sozialisiert, auf alle abgeladen werden. Hier geht es um prinzipielle Fragen. Menschen reagieren empfindlich, wenn Fairnessprinzipien verletzt werden. Fairness ist ein Urbedürfnis des Menschen. Ich habe heute Morgen vor 20 jungen Wirtschaftswissenschaftlern dafür geworben, nicht alles zu zahlenorientiert zu betrachten. Vielleicht hat man in den Wirtschaftswissenschaften menschliche Ansprüche, Bedürfnisse, Verhaltensweisen ein wenig vernachlässigt. Das Grundbedürfnis nach Fairness darf nicht außer Acht gelassen werden, es ist nicht zu akzeptieren, wenn es zuviel Trittbrettfahrer in einer sozialen Gruppe gibt. Dieser Aspekt scheint mir ein wenig ausgeblendet worden zu sein.

Das Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft. Wer sich zur Elite zählt und Verantwortung trägt, darf sich eben auch nicht in eine eigene abgehobene Parallelwelt verabschieden. Sondern jede, jeder hat Verantwortung für das Ganze und für den Zusammenhalt in einem Land. Dass es nicht fair zugeht und Lasten einseitig verteilt werden, dieses Gefühl haben aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger.

Politik muss ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Sie muss sich endlich davon lösen, hektisch auf jeden Kursrutsch an den Börsen zu reagieren. Sie muss sich nicht abhängig fühlen und darf sich nicht am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von Ratingagenturen oder sprunghaften Medien. Politik hat Gemeinwohl zu formulieren, mit Mut und Kraft im Konflikt mit Einzelinteressen. Politik hat Strukturen zu ordnen und gegebenenfalls den Rahmen anzupassen, damit knappe Ressourcen bestmöglich eingesetzt werden und Wirtschaft und Gesellschaft gedeihen. Politik hat langfristig orientiert zu sein und, wenn nötig, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. In freiheitlichen Demokratien müssen die Entscheidungen im Übrigen immer von den Parlamenten getroffen werden. Denn dort liegt die Legitimation. In der Demokratie geht die Macht vom Volke aus, durch in Wahlen und Abstimmungen gewählte Repräsentanten und Abgeordnete.

Wir müssen bürokratische Hürden abbauen, öffentliche Verwaltung modernisieren, Steuerwesen vereinfachen und Steuerhinterziehung bekämpfen. Kein Mitgliedsstaat in Europa, kein Staat in der Welt dürfte Vetternwirtschaft, Klientelpolitik oder Korruption dulden.

Die Zielmarken sind die Grundsätze der Europäischen Union, die wir bei uns vertraglich verankert haben und zu denen wir endlich schnellstmöglich zurückkehren müssen: eine offene soziale Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, stabilen Preisen und gesunden öffentlichen Finanzen. Aber seit Jahren verletzen die Mitgliedsstaaten, Deutschland eingeschlossen, die einst in Maastricht beschlossenen Stabilitätskriterien.

Alle Staaten sind gefordert, die Verpflichtungen aus dem Stabilitätspakt zu erfüllen. Das darf kein Papier sein, sondern das muss leben und praktiziert und angewandt werden. Auch Deutschland, an das so hohe Erwartungen gerichtet sind, muss ihn erfüllen. Nach Europäischem Recht sind alle europäischen Staaten verpflichtet, die öffentlichen Schulden unter 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückzuführen. In mehr als der Hälfte der Mitgliedsstaaten lag die Schuldenquote im letzten Jahr über dieser Marke – allen voran in Griechenland, Italien, Belgien, Irland und in Portugal. Und dann folgt schon Deutschland mit über 83 Prozent. Wir Deutsche sollten nicht zulassen, dass ein geschöntes Bild der Kräfte des geforderten Retters gezeichnet wird, auch wenn es unsere eigene Eitelkeit pflegen mag. Auch wir haben mit der demografischen Entwicklung und der Energiewende manches zu schultern - zusätzlich zu schultern. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Unfairness, falsches Haushalten und Wirtschaften müssen klar sanktioniert und die gemeinsamen Regeln ohne Wenn und Aber durchgesetzt werden, egal ob die betroffenen Länder kleine oder große sind, wie Deutschland und Frankreich. Sonst ist eine Gesundung nicht möglich, wenn nicht alle die Bedingungen erfüllen.

Selbst der Bürge kann sich unmoralisch verhalten, wenn er die Insolvenz nur hinauszögert.

Wer heute die Folgen geplatzter Spekulationsblasen, sogar jahrzehntelanger Misswirtschaft allein mit Geld und Garantien zu mildern versucht, verschiebt die Lasten zur jungen Generation und erschwert ihr die Zukunft. All diejenigen, die das propagieren, machen sich im Kern „einen schlanken Fuß“ und handeln nach dem Motto: „Nach uns die Sintflut.“

Die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren. Ich sage es hier mit Bedacht, ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für politisch und rechtlich bedenklich.

Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um ihre Unabhängigkeit zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt umgehen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im Übrigen auch noch teuerer als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne ein eigenes Risiko zu tragen.

Ein Grundprinzip der Marktwirtschaft ist, dass Risiko und Haftung Hand in Hand gehen. Wer Risiken eingeht, kann auch scheitern. Dieses Prinzip muss auch für den Finanzsektor gelten, für kleine Anleger wie für große Institute. Hier muss Versäumtes dringend nachgeholt werden.

Wir dürfen die Annehmlichkeiten der Gegenwart nicht mit unserer Zukunft und der Zukunft unserer Kinder bezahlen. Wir brauchen eine Kehrtwende hin zu nachhaltigem Wirtschaften und Haushalten! Nur so kann eine freie und soziale Marktwirtschaft funktionieren. Auch aus persönlicher Verantwortung für meine 17-jährige Tochter und meinen dreijährigen Sohn möchte ich, dass wir heute Entscheidungen treffen, sodass sie später, in Jahrzehnten noch, in etwa so leben dürfen und können, wie wir heute leben.

Von nachhaltigem Wirtschaften sind wir leider weit entfernt. Es gelingt uns noch nicht, die grundlegenden Bedürfnisse der Gegenwart für alle Menschen zu befriedigen.

Einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika, der dritte Präsident, Thomas Jefferson, hat im Sommer 1816, also vor nicht einmal 200 Jahren, festgehalten:

„Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit, oder Überfluss und Knechtschaft."

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen - in diesem Sommer 2011, dem Sommer der Ernüchterung, der aus meiner Sicht zwingend den Beginn einer Rückbesinnung markieren muss. Dann hätten wir wirklich aus den Krisen gelernt.



Quelle und die komplette Rede findet Ihr hier: Webseite des Bundespräsidenten
Der Autor der Rede ist der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff. Ich veröffentliche diese Rede in Auszügen, weil es für mich ein zeithistorisches Dokument darstellt und zur politischen Aufklärung schwieriger Zusammenhänge dient und der Allgemeinheit nicht verloren gehen darf.
Etwaige Einnahmen dieses Beitrages werden an die Deutschlandstiftung Integration des ehemaligen Bundespräsidenten weitergeleitet.

Weitere Informationen zum Autor:

Webseite von Christian Wulff

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@therealwolf 's created platform smartsteem scammed my post this morning (mothersday) that was supposed to be for an Abused Childrens Charity. Dude literally stole from abused children that don't have mothers ... on mothersday.

https://steemit.com/steemit/@prometheusrisen/beware-of-smartsteem-scam

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