Wenn @shortcut eins seiner Bilder hoch läd, entsteht zwischen uns oft eine sehr lebhafte Debatte, die ich immer sehr genieße.

Vor einer Weile kamen wir dabei auf das Thema, wie Autisten Kunst wahrnehmen und darüber hielt ich ihm einen Monolog über die Liebe in der Betrachtung.

(Bildquelle Narziss, Ölgemälde von Caravaggio, 1594–1596, Galleria Nazionale d’Arte Antica, Rom)

Selbstliebe ist natürlich ein riesiges Thema und ich will heute nur einen Punkt davon anschneiden.
Wenn ihr gerne mehr darüber von mir lesen wollt, hinterlasst mir dazu etwas in den Kommentaren.

“Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“

Nach meiner Schulzeit arbeitete ich ein Jahr als Praktikantin in einer Kindertagesstätte in der Baby& Kleinkind-Gruppe.

Eines der Kinder, welches schon als Baby zu uns kam, hatte eine sogenannte Gaumen-Lippen-Kieferspalte, oder umgangssprachlich auch „Hasenscharte“.

Dieser kleine Kerl, brachte mir sehr viel über die Liebe bei und wie unser Herz in der Lage ist, Schönheit ganz neu zu definieren.

Als ich den kleinen Kerl zum ersten mal sah, war ich selber noch sehr unerfahren und ich sags euch ehrlich, wie es war, ich ekelte mich ... das ist nicht schön und ich fühlte mich ganz fürchterlich dabei aber dieses Baby mit seinem deformierten Gesicht, machte mir Angst. Ich wollte das nicht sehen und eigentlich wollte ich auch lieber nicht, dass er mir zu nahe kam, sowohl körperlich als auch seelisch.

Ich stand da vor diesem drei Monate alten Menschlein, voller negativer Gefühle.
Einerseits war ich entsetzt darüber, dass ein Baby so aussehen kann. Ich mein, Babys sollten das Süsseste der Welt sein und nicht so ... hässlich. Aussedem konnte das arme Kind kaum trinken weil naja ... sein Mund war eher ein Krater und so saugt es sich einfach miserabel. Wenn er trank, klang das, als würde gerade jemand ersticken.

Und überhaupt, ein Kind darf nicht so aussehen. Der Junge würde mit so einem Gesicht doch garantiert ein beschissenes Leben haben, welcher Gott tut denn so etwas???

Ich stand also da, vor diesem Säugling, innerlich zerrissen und was tat das Kind, es verzog sein komisches Gesicht zu einer Grimasse, die eindeutig ein Lächeln darstellen sollte.

Und irgendwie flößte er mir damit Respekt ein.
Dieser Respekt weitete sich in den nächsten Jahren, die ich ihn begleiten durfte, aus.
Der arme Kerl musste sehr viele Operationen über sich ergehen lassen in denen sein Gesicht hergerichtet wurde.

Doch egal wie viele Schmerzen er hatte, er hörte niemals auf zu lächeln.

(Bildquelle Pixabay)

Mit 3 Jahren sah sein Gesicht soweit Menschlich aus, wie es eben möglich ist. Sein Kopf war etwas zu groß und irgendwie zu breit, seine Augen waren irgendwie etwas zu gross und er hatte keine richtige Augenhöhle, die tiefe fehlte. Die Nase war klein, etwas krum und ziemlich flach. Sein Mund war viel zu breit und groß im Verhältnis zur Nase und sein Kinn, welches Kinn bitte ???

Aber, obwohl der Kleine aussah wie ein Frosch, hatte er das Herz eines sehr weisen Menschen. Er war unglaublich humorvoll, schon mit 3 Jahren und so voller Güte. Er betrachtete seine ganze Welt mit unglaublich viel Liebe und Großmut. Niemals stritt er sich um etwas, er gewährte immer den anderen Raum aber ohne dabei selber jemals unglücklich zu wirken. Er tat dies, ohne selber zurückzustecken, sondern mit einer unglaublichen Größe.

Dieser Junge genoss meine größte Hochachtung und meinen ganzen Respekt.
Eines Tages wartete ich mit ihm auf die Straßenbahn und ich bemerkte, wie ein Kind entsetzt seine Mutter ansaß und auf meinen jungen Begleiter deutete. Ich sah auf ihn herab und verstand zuerst gar nicht, was genau der fremde Junge denn hatte.

Meine Wahrnehmung hatte sich verändert. Ich bemerkte sein schiefes Gesicht gar nicht mehr, für mich war es wie unsichtbar. Ich sah ihn ihm nur noch sein süsses breites Grinsen, das mich immer wieder so glücklich machte, seine liebevolle Art, sein großes Herz und sein wirklich cooler Humor. Er hatte sich in mein Herz gestohlen und damit jeden hässlichen Gedanken, den ich je ihm gegenüber hatte, vertrieben.
Und dieses Phänomen konnte ich in den folgenden Jahren noch öfters beobachten.
Das er fremden Menschen die Scheu abnahm mit seinem eigenen Wesen.

Er ist wunderschön, innen wie auch außen und ein Geschenk für die Welt und er hat mein Leben berührt und meine Gedanken verändert.

Erst Jahre später kam in mir die Frage auf, wenn ich dieses Kind so wunderschön finde und mit so viel Liebe betrachte, warum bin ich zu mir selber so unglaublich hart?

Ich bin noch nicht einmal ansatzweise am Ziel dieser Übung angekommen.
Wir werden von klein an darauf trainiert, selbst unser größter Kritiker zu werden, uns mir hartem Urteil zu betrachten und stets unsere Fehler im Auge zu behalten.

Aber wer, wenn nicht wir, liebt uns bedingungslos?
Wie sollen andere unsere innere Schönheit entdecken, wenn wir selbst sie nicht sehen können?

Immer wenn ich mich selbst dabei erwische, wie ich mich wieder verurteile, mit mir selber kämpfe und hadere und mich niederringe, erinnere ich mich an diesen Jungen.

Niemals habe ich von ihm ein Wort der Klage gehört, niemals ein böses Wort über sein Gesicht, nie hat er bis jetzt damit gehadert und er ist heute 11 Jahre alt und hat nichts von seinem Charme verloren.

Ich versuche, die Welt und mich selber, etwas mehr aus seinen Augen zu sehen und mit seiner Art zu fühlen. Wenn ich ihn wunderschön finden kann, trotz seiner augenscheinlichen Makel, dann kann ich das auch mit mir selber.

Ich darf gütig zu mir sein, mich lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten. Ich darf mich mit all dieser Liebe, diesem Humor und dieser Ehrlichkeit und Toleranz betrachten, denn das macht mich zu einem besseren Menschen.

Natürlich weiss der Junge, dass er den Rest seines Lebens schräg aussehen wird, er ist nicht blöd. Ihm ist sehr wohl bewusst, wie die Leute ihn anstarren.
Ich fragte ihn eines Tages, warum er immer so freundlich reagiere, wenn Menschen ihn so ansehen, wie er das nur schaffe.

Seine Antwort hat mir die Sprache verschlagen, er war 9 Jahre jung und schon so klug. Ich beende meinen Artikel, indem ich ihn zitiere, denn ich finde, da gibt es absolut nichts hinzuzufügen.

Weißt du, mir macht das nichts aus. Ich habe vielleicht nicht so ein schönes Gesicht aber sie dafür ein nicht so schönes Herz. Ich weiss, sie können nicht anders als schlecht zu denken, denn ihr Herz ist so krank zur Welt gekommen wie mein Gesicht. Aber ich finde ein gutes Herz viel wichtiger als ein schönes Gesicht. Ich habe viele Freunde, weil sie mein Herz gut finden, das find ich viel besser, als wenn ich wenig Freunde hätte, weil mein Herz voller Verachtung ist.