Aber sicher nicht!

in #deutsch7 years ago (edited)

Eine kurze Geschichte der Angst.

Ich bin ein Frack.
Abgebrannt, ausgebrannt, leer geträumt. Die Angst hat mich kahl geschlagen. Kein Baum steht mehr dort, wo er stehen soll, wo er früher wuchs, am richtigen Ort, gesund und grün. Umgerissen, zersplittert, geknickt, hinweggefegt. Meine Seele wirkt wie nach einem gigantischen Feuersturm. Verwüstet.
Meine Drähte ins Gehirn sind offline geschaltet. Das Spüren von Angst hat jede Entspannung in seiner Entfaltung gehindert. Ich zerdenke, verdenke, erdenke, finde keinen grünen Zweig.

Wie soll ich wissen, was ist, wenn es erst geschehen muss? Wenn ich es erst passieren lassen muss? Wie kann ich mir ausdenken, was passieren könnte, wenn ich es erst erleben muss. Ein vorgefertigter Pfad hintereinander gesetzter Programmcodezeilen zwingt mich dazu das zu tun, was es braucht, um zu überleben.

Mit Sicherheit weiß ich nicht wirklich, was mit mir los ist. Auch wenn ich mir vorstellen könnte, was sein möge, weiß ich nicht wahrhaft, was ist. Ich kann mir zwar in meinen Gedanken vorstellen, was passieren könnte, wenn ich auf die Straße ginge, aber wirklich entschieden hat es sich erst, wenn ich da draußen auf der Straße gegangen bin. Diese vielen Menschen da draußen machen mir wirklich Angst. Außerhalb meines Komfortbereiches schwirren sie in ihren kleinen abgeschotteten Raumschiffrealitäten durch den Äther und folgen einem vorgefertigten Pfad? Was beobachten sie, wenn sie an mir vorüberziehen wie Wolken am Himmel?

Ihre Absichten, ihre Muster, ihre Motive kann ich lesen wie ein offenes Buch. Aber täusche ich mich da nicht und lese womöglich im falschen Buch? Vielleicht spricht mich irgendjemand an, wenn ich da draußen auf der Straße entlanglaufe. Wie reagiere ich darauf, sollte das geschehen? Welche Absicht hat jeder einzelne Mensch im Orbit seiner Wirklichkeiten und wie will er diese Wahrheit mit mir teilen? Meine Projektionen und Ängste beginnen jedem Individuum eine vorgefertigte Rolle einzupflanzen und überzustülpen, auch mir selbst. Ich erkenne Bedrohung überall. Meine Sinne sind gereizt, meine Pupillen erweitert, der Pulsschlag erhöht und meine Muskeln und Sehnen sind gespannt wie die Saiten einer Harfe.

Die Finger sind zu Fäusten geballt. Meine Atmung ist flach und schnell und mein Blutdruck sprengt mir beinahe die Schädeldecke auf. Die Angst hat mich voll im Griff, sie hat mich roh und wild gepackt, wie ein Raubtier auf der Jagd haut sie ihre Krallen in mein Fleisch und setzt zum tödlichen Genickbiss an. Die Angst ist mein Vollstrecker, mein Henker, mein Herr und Meister. Sie steckt mir in den Gliedern, fährt mir tief ins Knochenmark hinein und kontrolliert meine Sinne, meine Gedanken, meine Körperfunktionen.

Ich ertrage sie nicht, die Menschen da draußen. Ich kann sie nicht ansehen, die Menschen da draußen. Ihre Gesichter sind rastlos fordernd und ihre Körper vollbringen ruckartige Bewegungen. Sie sind unberechenbar, unkalkulierbar, unabsehbar, unbestimmbar, unmessbar, unsicher, bizarr, sprunghaft, unbeständig, flatterhaft, nicht einzuschätzen, anarchistisch. Der Freiraum zwischen ihnen und mir ist begrenzt, der Zwischenraum, die Spannweite zwischen ihnen und mir reicht nicht aus. Sie erdrücken mich mit ihrer Präsenz, mit ihrer Existenz. Ich muss weitergehen, wegsehen, auf den Boden blicken. Nur nicht in die Gesichter starren. Nicht hineinziehen lassen in ihre Blicke. Um nicht in Panik zu verfallen, suche ich ruhende Formen und Strukturen in der Landschaft.

Statische Energien lassen mich in Ruhe. Sie besitzen diesen friedlichen Stillstand, der nichts will von einem und auch nichts vorhat, der einfach ist, ohne etwas sein zu wollen. Ohne Rastlosigkeit und Motiv. Ein Haus bleibt immer ein Haus und will nichts anderes werden, als ein Haus. Es käme wohl niemals auf die Idee über jemanden herzufallen, ihn zu berauben, zu töten, zu vergewaltigen, zu quälen.

Ein Haus wird immer ein Haus bleiben und nie etwas anderes im Schilde führen, als ein Haus zu sein. Kein Motiv, kein Bewusstsein, kein Leben, keine Bewegung. Ich orientiere mich an Architektur und Natur. Sie gibt mir Sicherheit und Halt und schreit nicht gierig nach Aufmerksamkeit. Sie ist kein Narzisst und Egomane, kein Selbstdarsteller und Blender. Ein Baum stiehlt dir keine Lebensenergie, wenn du an ihm vorüberziehst, er gibt dir höchstens etwas ab von seiner ruhenden Kraft.

Fortsetzung

Aber sicher nicht Vol. 1.1 - https://steemit.com/deutsch/@artpoet/aber-sicher-nicht-vol-1-1

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Ja, auch Kitty braucht Psychopax!


Wie nennt man das, Sozialphobie. Ganz schön ungemütlich. Bin gespannt auf die Fortsetzung!

Zum Beispiel.., vielleicht auch eine Psychose..., paranoid schizophren?

Beim Lesen Deines Textes , gleich während den ersten Zeilen, fällt mir eine, nach meiner Erinnerung von Stephen Hawking gestellte Frage, ein:

wieso kann ich mich an die Vergangenheit erinnern und an die Zukunft nicht?

Gute Frage..., laut Einstein sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zur selben Zeit.

Was sind das für Farben?

Welche Farben ?

Die Farben der Gefühle ;) Guck mal hier https://steemit.com/kunst/@nacktepoesie/geheime-talente-wer-hat-die-penisse-gemalt Deine Penisse haben mich inspiriert :)

ah okay..., jetzt kenn ich mich aus :D

Wow!
Das hat ja ordentlich geknallt!

ja und es geht noch weiter :P

Schöner Text.

Kommt mir irgendwie bekannt vor :D

oje, das klingt nicht gut :P

Man arbeitet daran :D

Tiefgründig,aufschlussreich und eben auch nicht aufschlussreich.
Aus meiner Sicht sach ich mal...das haste echt gut drauf.

Vielen Dank @marionwacker - sogar da ist der Zwiespalt drinnen. Aufschlussreich und auch wieder nicht aufschlussreich:P

wow, coole Geschichte. Hatte beim lesen das Gefühl eine ziemlich große Persönlichkeit vor mir zu haben.

Ich freue mich immer, wenn ich noch andere Schreiberlinge finde und nicht nur über bitcoins etc. lesen muss. Danke an @leroy.linientreu für seinen Resteem.

Deine Kunst gefällt mir außerordentlich!

Ich will mehr davon, diese Kurzgeschichte lässt sich sehr flüssig durchlesen.🤯

vielen Dank..., ich werde in nächster Zeit eh öfters Kurzgeschichten schreiben..., und zum Thema Angst kommt noch der zweite Teil.

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