Lesung "Der Tag, der nie war..."
Heute stelle ich mein Buch über mediale Erfahrungen vor. Es ist eine überarbeitete 2. Auflage meiner Autobiografie die seit gestern vom Verlag freigegeben wurde.
Das Buch handelt von Erlebnissen und Erfahrungen mit Medialität. Es ist dafür gedacht, Betroffenen eine Hilfestellung zu geben und aussenstehenden einen Einblick in die sensitive Wahrnehmung zu bieten.
Ich werde aus dem Buch lesen und im Anschluss beantworte ich gerne Fragen.
Die 1. Lesung ist heute am 24.10.2021 um 16 Uhr und nachfolgende siehe Veranstaltungsankündigung auf Sofengo.
https://www.sofengo.de/w/397730
Ein wenig aus dem Inhalt:
Die Nacht kam und es kam der Moment, in dem sich
das Schiff leerte. Die Fähre fuhr ruhig auf dem Meer. Mein
Freund und die anderen wollten schlafen gehen. Alle Läden
hatten geschlossen und das geschäftige Treiben auf dem Schiff
wich leeren und beleuchteten, stillen Gängen. Ich fühlte mich
zusehends wie ein Tiger in einer Sardinenbüchse. Aber für eine
einsame Tour durch das Schiff hatte ich keinen Bedarf. Und so
begleitete ich die anderen widerwillig in unser Zimmer.
Das Licht wurde ausgeschaltet und ich legte mich neben meinen Freund ins Bett.
Meine Gedanken rasten und kreisten um den
verlorenen Freund. Ich lag mit einem Kribbeln in meinem Rücken zur Ausgangstür. Die Spannung war unerträglich und ich lag steif im Bett. Nach einer Weile
fiel ich trotz rasender Gedanken in einen Halbschlaf.
Aber sobald ich mich der Schwelle zum
Traum näherte, sah ich plötzlich den Raum, als hätte ich die Augen
nicht geschlossen.
Es war dunkel und das Zimmer war nur durch
ein Notlicht über der Tür erhellt. Ich drehte mich um,
so dass mein Gesicht Richtung Tür schaute und schloss
erneut meine Augen. Augenblicklich sah ich immer
noch den Raum. Unter dem Notlicht vor der Tür stand
eine dunkle Gestalt, deren Umrisse ich nur durch das
schwache Licht erkennen konnte.
Erschrocken öffnete ich die Augen. Kalter
Schweiß trat mir durch die Poren. Aber niemand war
zu sehen. Ich wusste sofort, dass diese dunkle Gestalt
Kj war. Aber die Elektrizität im Raum war unerträglich.
Ich schloss wieder meine Augenlider. Sofort war
es so, als hätte ich die Augen nicht geschlossen und sah
wieder die Gestalt unter der Tür stehen.
Ich wälzte mich einige Stunden im Bett, bis ich schließlich aufgab. Ich stand auf, verließ das Zimmer und betrat den
Gang. Meine Armbanduhr zeigte zwei Uhr früh morgens.
Hinter mir öffnete sich erneut die Tür. Mein Freund trat auf
den Gang.
„Ich kann nicht schlafen“, sagte ich, „ich will durch das
Schiff laufen.“
Er sagte nichts und begleitete mich. Egal wo ich hinging, die Spannung verfolgte mich. Die Einsamkeit auf dem
Schiff machte die Ablenkung davon fast unmöglich. Wir liefen schweigend durch die Gänge. Niemand von uns, sagte ein
Wort.
Irgendwann musste ich auf Toilette gehen. Ich öffnete
die Tür und sah zögernd in den hell erleuchteten, viel zu still
wirkenden Raum, den ich alleine betreten würde... ein mulmiges Gefühl machte sich breit. Es blieb mir nichts anderes übrig.
Ich gab mir einen Ruck, betrat den Raum und hinter mir fiel
die Tür zu. Mein Freund blieb draußen.
Die Spannung um mich herum schien zu steigen und
war nun unerträglich, so dass ich fast rückwärts wieder aus
dem WC fliehen wollte. In meinem Kopf schrie es förmlich:
„Ich bin nicht tot!“ Aber es half alles nichts, also gab ich
mir erneut einen Ruck und ging auf Toilette. Als ich die Tür
der Kabine schloss, intensivierte sich die Spannung im Raum
weiter und in meinem Kopf gellte immer wieder der gleiche
Satz: „Ich bin nicht tot, ich bin nicht weg, ich bin noch hier!“
Ohne weiter darüber nachzudenken, brüllte ich fast:
„Kj, ich weiß, dass du noch da bist, aber bitte verschwinde und lass mich in Ruhe!“
Augenblicklich ließ die Spannung nach und ich fühlte,
dass er weg war. Sofort tat es mir leid und ich bedauerte, dass
ich ihn einfach so weggeschickt hatte.
Ich verließ die Toilette und betrat den Gang, wo mein
Freund auf mich wartete. Ich war es gewohnt, über das, was
ich sah oder hörte, zu schweigen und dachte keine Sekunde
darüber nach, meinem Freund davon zu erzählen. Wir hatten
die ganzen Stunden kein Wort gesagt. Und so liefen wir weiter schweigend durch das Schiff, bis mir irgendwann die Füße
wehtaten. An einem kleinen Tisch ließen wir uns nieder und
starrten vor uns hin. Plötzlich sagte mein Freund: „Ich konnte
gar nicht schlafen. Ich habe dauernd gedacht, da steht jemand
an der Tür.“
Vieles ist seit der ersten Auflage 2014 passiert und sehr viele Erkenntnisse durfte ich dazu gewinnen, die ich schon lange gerne einfließen lassen wollte und nun habe ich es endlich getan.
Ich verdanke diesem Buch sehr vieles und so fand ich das es eine grundlegende Überarbeitung verdient hat.