So wird das nix mit der Kunst! (Wobei man Julian Charrière keinen Vorwurf machen kann)
Wie gesagt ein Versuch. Wobei alle nur das Beste wollten: Der Künstler mit seiner engagierten Ausstellung, die Dame an der Kasse, die auch noch den Motor starten musste und die Dame der Aufsicht, die immer einen dezenten Abstand gehalten hat. Ja, alle drei genannten bilden die Ausstellung. Bilden den Eindruck den ich als Kunsthallenbesucher mit nach Hause nehme. Und damit sind wir schon beim Problem: Wie war nochmal die Kunst von Julian Charrière?
Schon an der Eingangskasse treffe ich auf die volle Anzahl der Beschäftigten. Mir wird die gesamte Aufmerksamkeit geschenkt. Der Eintritt allerdings nicht. 6 Euro inklusive unterschiedlicher Broschüren zur Ausstellung. Viel Text, die andere mit Bildern. Muss ich das jetzt lesen? Nein. Mache ich eigentlich nie vorher. Ich finde die Kunst muss damit leben, dass ich nüchtern zu ihr komme. Der Kopf soll möglichst frei sein. Ich nehme die Empfehlung entgegen zuerst den Turm zu erklimmen um die dortigen Räume aufzusuchen. Natürlich gehen ich die Treppenstufen und nehme nicht den Aufzug. 94,9 kg machen sich auf in die oberen Geschosse. Ich bin der einzige in der gesamten Kunsthalle, dessen Bewegungsabläufe die Ruhe stören. Nein, stimmt nicht ganz. Noch unauffälliger und leiser bewegt sich ein fast unmerklicher Schatten hinter mir. Ich versuche nicht zu auffällig meinen Schatten zu beobachten, aber ja, es ist meine persönliche Aufsicht, die mir folgt. Von nun an werde ich während meines gesamten Besuches von diesem Schatten begleitet. Ich betrete den ersten Raum: Ein kleiner Kinosaal. Ich versuche es mit etwas Konversation: „Ist hinter dieser Tür das Kino?“ Ich betrete den Raum und schaue mir das Video an. Ich bemerke den Loop und denke daran aufzustehen und zu gehen. Bin ich in einer gebotenen Länge im Raum gewesen? Habe ich die Kunst ausreichend gewürdigt? Spricht die Aufenthaltszeit für einen kunstinteressierten Besucher? Meine Gedanken sind bei meiner persönlichen Aufsichtsperson die in gebotenem Abstand meinen Besuch begleitet. Ich beschliesse einfach aufzustehen und zu gehen. Wieder folgen mir dezente Schritte ins nächste Stockwerk. Hier darf ich den Raum alleine betreten. Meine persönliche Aufsicht hat offensichtlich erstes Vertrauen zu mir aufgebaut und lässt mich allein. Ich drehe eine Runde um die Kunst. Eigentlich reicht mir das, aber was wird meine persönliche Aufsicht denken, wenn ich schon so schnell wieder rauskomme? Nur Mut, da muss ich jetzt durch. Im obersten Stockwerk werde ich einen schönen Blick über den alten Hafen haben. Mit den Stockwerken steigt offensichtlich das Vertrauen weiter. Auch hier bin ich allein. Mittlerweile fällt es mir schon leichter den Raum wieder zu verlassen. Diesmal befreie ich meine Gedanken von meiner persönlichen Aufsicht und steige die gesamte Treppe wieder ab.
In den grossen Sälen im Erdgeschoss wird mein Schatten erst einmal abgelöst. Die freundliche Dame von der Kasse muss nun exklusiv für mich den Motor mit Palmöl angetrieben, starten. Spontan denke ich: Sag ich jetzt, das ist aber nicht nötig für mich allein? Denn so einfach geht das nicht. Die freundliche Dame muss erst eine Anleitung holen, verschiedene Hähne und Drehknöpfe betätigen bis der Motor laut prustend startet. Nun stehen wir drei hier: Die freundliche Dame, die offensichtlich wartet bis mein Erlebnisdurst gestillt ist, ich der offensichtlich jetzt aufgerufen ist das Kunsterlebnis zu geniessen und die Kunst, die hier nun zwischen uns steht und ohrenbetäubende Geräusche von sich gibt. Ja sie wartet, damit sie den Motor wieder ausschalten kann. Alles hängt nun von mir ab. Auch ich kann nichts anderes denken. So stehen wir hier beide vor einem laut knatternden Motor. Unsere Blicke kreuzen sich. Scheinbar erblickt die freundliche Dame in meiner Mimik die Zustimmung den Motor nun endlich wieder auszuschalten. Das tut sie dann auch. Der Dialog mit der Kunst endet mit den Worten: „Das ist schon sehr laut“. Da kann ich natürlich zustimmen.
Weiter geht´s. Schnell verabschiedet sich die freundliche Dame um mir mitzuteilen, dass sie ja wieder die Dame der Aufsicht ablösen muss, damit diese wieder ihre Arbeit aufnehmen kann. Ich schaue mir derweil ein weiteres Video an, indem gefällte Bäume knarzend umfallen. Ich vertiefe mich fast schon in das Video bis ich in meinem linken Blickfeld die Beine meiner persönlichen Aufsicht wieder entdecke. Nun habe ich sie wieder im Nacken. Vorne fallen die gefällten Bäume und hinten steht wie ein Baum meine persönliche Aufsicht. Ich beschliesse ohne sie eines Blickes zu würdigen, einfach den nächsten Raum zu betreten. Ein grosser Saal, ein Objekt, eine Wandmalerei und eine Aufsicht. Ich mittendrin. Zusammen schauen wir noch ein weiteres Video an mit lauter Musik im Folgesaal. Mir reicht´s. Ich beschliesse zu gehen.
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