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in Deutsch Unpluggedlast year (edited)

Mit Pascal an der Ampel

Neulich an der Ampel war es ja nicht, aber es hätte wie erwähnt gewesen sein können. Also stelle ich es mir eben jetzt vor:

Die Ampel ist rot. Ich werde nicht verfolgt und habe auch sonst keine Eile. Aber die Ampel ist rot, und ich kann keine anderen Leute auf der Straße entdecken, weder zu Fuß unterwegs noch mit Fahrzeugen. Es ist auch keine Kurve da, die mir die Sicht verdeckt, ich befinde mich innerhalb der Stadt, es ist nicht zu erwarten, dass ein Lamborghini Miura S mit 320 km/h schneller auftaucht, als ich mit den Augenlidern zwinkern kann. Wie es aussieht, stehe ich hier nur, weil Rot ist. Es gibt momentan keinen tieferen Sinn, keinen nachvollziehbaren Grund zu erkennen.

Es wird Grün. Ich bewege mich nicht. Ich will es jetzt wissen. Ich bleibe bei meinem Gedanken. Ich schaue, ob mir die Pascalsche Wette weiter hilft. In dieser Wette geht es darum, auf das richtige Pferd zu setzen. Genauer gesagt, auf das richtige Leben. Pascal konstruiert den Fall, nicht zu wissen, ob es ein Leben nach dem Tod gibt und einen belohnenden oder strafenden Gott. Diese Konstruktion kann ich gut nachvollziehen, genau mein Fall. Fast genau.

Bei mir ist es so, dass Gott jetzt durch mein Gewissen vertreten wird. Wird es mich belohnen, wird es mich bestrafen? Und das Leben ist das Leben vor dem Tod. Komme ich heil über die Kreuzung oder über den Fußgänger-Überweg? Pascal eröffnet eine Vier-Felder-Tafel, indem er sagt: entweder es gibt diesen Lohn-Straf-Gott, oder es gibt ihn nicht, und entweder richte ich mein Leben nach seinen mutmaßlichen Geboten aus, oder ich tue es nicht. Richte ich mich nach seinen Geboten, und es gibt ihn nicht, war die Mühe umsonst (so weit ich nicht unmittelbare Vorteile davon habe oder darin sehe, nicht zu töten oder zu stehlen beispielsweise; aber ich stelle mir jetzt mal das weniger sozial scheinende Schweinefleisch-Verbot vor).

Richte ich mich nicht nach den Geboten des in Frage stehenden Gottes und esse Schweinefleisch (wie gesagt, nur mal als Beispiel) und es gibt ihn doch, dann habe ich spätestens nach meinem Tod einiges an Ärger zu erwarten. Pascal betrachtet vor allem diese beiden worst-case-Szenarien, wenn ich es recht in Erinnerung habe: meine unnötige Mühe, wenn es diesen Gott nicht gibt, und mein Riesen-Ärger, wenn ich mir das bisschen Mühe nicht gegeben habe und vor diesen Gott treten muss. Seine Lösung ist klar: besser etwas Mühe umsonst als ein müheloses Leben mit ewiger Strafe. Das ist Pascals Kostenabwägung.

Ich bin kein Atheist, aber ich teile nicht den Glauben an einen solchen Gott, und mir sträuben sich als Kantianer die Haare auf der Zunge, wenn ich erwäge, nur dann ethisch gut sein zu wollen, wenn es mir nicht allzu viel Nachteil bringt oder wenigstens einen riesigen Nachteil ausschließen könnte. Eine moralische Kosten-Nutzen-Rechnung ist für die Kantische Ethik ein großes Übel, er nennt eine solche Abwägung wörtlich „radikal böse“.

Jetzt stehe ich aber mit diesem Pascal an der Ampel. Vielleicht stehe ich ein andermal mit Kant an der Ampel, jetzt jedenfalls mit Pascal, basta. (Mit Hegel lieber nicht, denn ich könnte bestimmt nicht widerstehen, ihn vor einen Lkw zu schubsen…)

Bleibe ich also trotz leerer und übersichtlicher Straße bei Rot stehen, damit mein Gewissen Ruhe gibt? Wäre der Nutzen, entspannt weiter zu gehen, geringer als die mögliche Strafe? Oder ist es anders: hat man mir im Kindergarten – okay, dort war ich nicht, also nehme ich die Schule oder die Eltern – beigebracht, dass es gefährlich ist, bei Rot zu gehen? Ja, logisch, denn als Kind hatte ich nun wirklich selten Überblick über den Straßenverkehr, dazu hatte ich ja gar keine Zeit beim Rumhüpfen. Also lieber auf die Ampel verlassen, Gehorsam macht frei, und dann bei Grün aber los peesen, was das Zeug hält, denn Gehorsam macht nicht frei, sondern dumm.

Fühle ich mich – jetzt als halbwegs Erwachsener – besser, wenn ich bei Grün loshüpfe? Gemessenen Schrittes, versteht sich, aber innerlich hüpf-hüpf. Will ich die Belohnung auskosten, die mir ankonditioniert worden ist? Sollte ich nicht noch ein bisschen erwachsener werden und mich davon frei machen? Das sollte ich sicherlich. Was aber, wenn ich dabei vor das dann doch übersehene Auto renne und zu Schaden komme? Oder den Fahrenden erschrecke, dass er ausweicht und seinerseits zu Schaden kommt? Was dann? Pascal, hilf!

Die Optionen sind also offenbar diese: bei Rot warten, möglicherweise insofern umsonst, als auf der Straße nichts sich rührt in der Zeit, bis es grün wird. Oder bei Grün warten – ach nee, halt, so ja nicht! Oder bei Rot gehen oder fahren, mit der sehr geringen (aber nicht nulligen) Wahrscheinlichkeit, jemand anders übersehen zu haben und mit meiner Missachtung der Lichtzeichenanlage mich und/oder diese andere Person in echte Schwierigkeiten zu bringen.

Rechtfertigt meine Selbstbestimmung, mein Versuch, mich als mündiger Mensch zu verhalten, ein Risiko, das ich zwar bei genauer und sorgfältiger Prüfung nach bestem Wissen und Gewissen, aber eben doch nicht absolut ausschließen kann? Ich rede jetzt nicht davon, mich schnell und „souverän“ zwischen anderen bewegten Straßenverkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern hindurch zu mogeln. Bei dieser Art Risiko gehe ich erstens bewusst ein (mir gering erscheinendes, aber sichtbares) Risiko ein, und ich tue es nicht aus Gründen freier Selbstbestimmung, sondern aus Eile oder aus Nachlässigkeit oder aus arroganter Coolness oder weil ich nicht länger schirmlos im Regen stehen bleiben will.

Nein, jetzt stehe ich an leerer Kreuzung oder Fußgänger-Ampel, niemand sonst zu sehen, nur Pascal und ich. Und ich setze mein letztes bisschen Freigeist aufs Spiel, wenn ich jetzt nicht bei Rot gehe. Darum warte ich noch. Beim vielen Überlegen war es ja grün geworden und wieder rot und wieder grün, das Signal, und jetzt stehe ich ohne Eile da und warte auf ein neues Rot. Damit ich ausdrücklich selbstbestimmt gehen kann. Damit Pascal und diese Ampel sehen, was meine Pflicht mir gegenüber ist. Mich meines eigenen Verstandes zu bedienen, ist ein Wagnis, denn ich kann scheitern dabei. Gehorsam macht aber nicht nur dumm, sondern auch faul. Und ängstlich.

grafik.png

photo: ty-ty

With Pascal at the traffic lights

The other day at the traffic lights it wasn't, but it could have been. So now I imagine:

The traffic lights are red. I'm not being followed and I'm not in any other hurry. But the traffic lights are red and I can't see any other people on the road, neither on foot nor in vehicles. There is also no bend there to obscure my view, I am inside the city, a Lamborghini Miura S at 320 km/h is not expected to appear faster than I can blink my eyelids. As it is, I'm only standing here because it's red. There is currently no deeper meaning, no comprehensible reason to be seen.

It's turning green. I am not moving. I want to know now. I stay with my thought. I see if Pascal's bet will help me. This is about betting on the right horse. More precisely, on the right life. Pascal constructs the case of not knowing whether there is an afterlife and a rewarding or punishing God. I can well understand this construction, exactly my case. Almost exactly.

In my case, God is now represented by my conscience. Will it reward me, will it punish me? And life is life before death. Will I get through the crossroads or the pedestrian crossing in one piece? Pascal opens a four-field table by saying: either there is this reward-punishment God, or there is not, and either I align my life with his presumed commandments, or I do not. If I align myself with his commandments and he does not exist, the effort was in vain (as far as I do not get immediate benefits from it or see them in not killing or stealing, for example; but I am now imagining the less social-seeming pork ban).

If I do not obey the commandments of the God in question and eat pork (as I said, just as an example) and he does exist, then I can expect a lot of trouble at the latest after my death. Pascal is looking at these two worst-case scenarios, if I remember correctly: my unnecessary effort if this God does not exist, and my huge annoyance if I have not made the little effort and have to appear before this God. His solution is clear: better some effort for nothing than an effortless life with eternal punishment. That is Pascal's cost trade-off.

I am not an atheist, but I do not share the belief in such a God, and as a Kantian the hairs on my tongue stand on end when I consider wanting to be ethically good only if it does not bring me too much disadvantage, or at least could eliminate a huge disadvantage. A moral cost-benefit calculation is a great evil for Kantian ethics; he literally calls such a weighing "radically evil".

But now I'm at the traffic lights with this Pascal. Maybe I'll stand at the traffic lights with Kant some other time, but for now I'm standing with Pascal, basta. (I'd rather not with Hegel, because I certainly couldn't resist pushing him in front of a lorry...).

So do I stop at a red light, despite the fact that the road is empty and clear, so that my conscience will rest? Would the benefit of walking on relaxed be less than the possible punishment? Or is it different: was I taught in kindergarten - okay, I didn't go there, so I'll take the school or the parents - that it is dangerous to walk on red? Yes, logically, because as a child I really rarely had an overview of the traffic, I didn't have time to do that when I was jumping around. So I'd rather rely on the traffic lights, obedience makes you free, and then when the light turns green, go pee-pee for all you're worth, because obedience doesn't make you free, it makes you stupid.

Do I feel better - now that I'm halfway grown up - if I jump off when the light turns green? At a measured pace, of course, but jump-jumping on the inside. Do I want to savour the reward that has been conditioned into me? Shouldn't I grow up a bit more and free myself from it? I certainly should. But what if I run in front of the car that I overlooked and get hurt? Or if I frighten the driver so that he or she swerves and is injured in turn? What then? Pascal, help!

So the options are obviously these: wait when the light turns red, possibly in vain, because nothing moves on the road until the light turns green. Or wait at green - oh no, wait, not like that! Or walking or driving on red, with the very small (but not zero) probability of having overlooked someone else and, with my disregard for the traffic lights, getting myself and/or that other person into real trouble.

Does my autonomy, my attempt to behave as a responsible human being, justify a risk that I can, if I examine it closely and carefully to the best of my knowledge and belief, but just not absolutely rule out? I'm not talking about quickly and "sovereignly" manoeuvring my way between other moving road users. With this kind of risk, I firstly consciously take a risk (which seems small to me, but which is visible), and I don't do it for reasons of free autonomy, but out of haste or carelessness or arrogant coolness or because I no longer want to be left umbrella-less in the rain.

No, now I'm standing at an empty crossroads or pedestrian traffic lights, no one else in sight, just Pascal and me. And I'm putting my last bit of free spirit at risk if I don't go on red now. That's why I'm still waiting. With all the thinking, it had turned green and red again and green again, the signal, and now I'm standing there without hurry, waiting for a new red. So that I can explicitly walk on my own. So that Pascal and this traffic light see what my duty is to myself. To use my own mind is a risk, because I can fail in doing so. But obedience not only makes you stupid, it also makes you lazy. And fearful.

Translated with www.DeepL.com/Translator (free version)

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 last year 

Erst letzte Woche hab ich schlimmer Bube die Straße bei roter Ampel überquert, im Jenseits werde ich sicher vom Gott der Verkehrsregeln einen Punkt dafür bekommen. Ab wie vielen dieser himmlischen Punkte man in der Hölle des ungezügelten Verkehrs landet, ist mir leider nicht bekannt. Mit 3 Monaten Himmelsentzug muss ich wohl rechnen.

Hier ein Video zur pascalschen Wette von Prof. Rieck, ich fand's ganz interessant.

Wie dem auch sei, das Geschäftsmodel im Diesseits "Produkte" des Jenseits zu verkaufen ist schon verdammt clever, das Ganze dann auch noch nach MLM-Strategie vermarktet. Ich denke dabei an eine Urkunde meiner Urgroßtante, Sündenerlass gegen Gebühr, außer sie bringt drei weitere (zahlende) Sünder, dann ist es kostenlos. Unglaublich.

 last year 

Ich hatte das Video gesehen, du Schlauberger - das war es ja, was mich an diese Wette erinnert hat. Aber ich darf dich tröstlich arrogantisieren: ich kannte die Wette bereits, und die Riecksche Verdichtung bringt die Absurdität eines solchen "Glaubens" für meine Begriffe noch nicht genug auf den Punkt. (Dafür ist seine Anwendung ja auch anders geplant und modelliert sehr schön den falschen Gott Klimaschmutz heraus.)

 last year 

The text discusses Pascal's Wager, which argues that it is better to believe in God and lead a moral life because there is potentially a reward for doing so in the afterlife. The author questions the idea of basing one's morality on the potential for reward or punishment and feels uneasy about making a moral cost-benefit analysis. They then relate this to their decision to obey the traffic light and ponder whether their compliance is driven by habit, fear of punishment or a desire for reward, and whether this relates to their moral behavior.

Aber darum geht´s ja nicht .
Was aber interessant ist und wo #Es denkt dass da ein Verschmierungseffekt im Spiele ist , der den Effekt nach wenigen Minuten oder gar Sekunden auslöscht , hihi , ist , wenn #Es das Knöpfchen drückt und dann in das "Karma" der armen Autofahrenden eingreift .

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 last year 

Das war keine Drücke-Ampel am heißen Berg.

Aber interessanter Annalüse-Gegenstand: kein Verkehr weit und breit, ich drücke den Drücker der Drücke-Ampel, und als sie endlich umschaltet, kommt passenderweise jemand gerollt und muss respektvoll warten, während ich würdevoll die Straße überkwere.

Im andern Szenario hätte ich auf hätte-hätte Faradays Kette verzichtet und auf das Gedrücke obendrein und wäre gehüpft, niemand hätte-hätte liegt in Bette gewartet.

Ahja, ich weiß: gerollt kam ein Bus voller Loide. Oder ein Transport voller Schafe. Noch besser: ein Geld-Transport! Und der wurde dann übergefallen, nur weil ich die Drüggeberger Ampel...

 last year 

Ja , aber ob der Weintransporter etwas später eintraf , vor ´ner Woche oder zwei , tut dann im Heute so gar nichts mehr zur Sache.

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Wenn ich nun nicht ganz genau wüßte, daß der Erwachsene gelegentlich auch ganz vergnügt durch die Gegend hüpft... ;-))

 last year 

Erwachsenwerden? Ganz schön schwer!
Mit Hüpfen jedoch nicht zu sehr.

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