Eine freie Gesellschaft braucht ein Fundament. Anhang 3 (Ruhezonen der Freien Gesellschaft; das „Karitative“)

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Ruhezonen der Freien Gesellschaft

Kinder und Rentner treten im „Hamsterrad“ der leistungsteiligen Tauschgesellschaft nicht mit. Es gibt aber auch viele Menschen, die nach dem Kindesalter und vor dem Altersruhestand unfähig oder unwillig sind, darin mitzutreten. Es stellt sich nun die Frage, wie solche Menschen in einer freien Gesellschaft qua leistungsteiliger Tauschgesellschaft leben können. Sie ist ja eine Leistungs-Gegenleistungs-Gesellschaft.

Fakt ist: wer Tauschgut nicht auf- und beibringen will oder kann, wer sein Leistungspotential verschlampt, von Krankheiten geplagt ist oder Burnout-Syndromen erliegt, geht in einer reinen Tauschgesellschaft unter. Wer Leistungspotential wegen angeborener geistiger oder körperlicher Schwächen nicht entfalten kann, geht in ihr gar nicht erst auf. Beide versinken in Armut.

Um sich um das Überleben der Armen kümmern zu können, bedarf es keiner christlichen Gesinnung. Leistungsunfähige und leistungsunwillige Menschen sind hilfsbedürftig und Versorgungsfälle. Es wird geholfen werden müssen. Die Freie Gesellschaft wird die Armen nicht ihrem Schicksal überlassen. Jeder Mittellose würde die Hilfe der Mitglieder einer wahrhaft freien Gesellschaft schon deshalb finden,

„weil eine solche Gesellschaft seine… Not so wenig dulden würde, wie ein reinlicher Mensch einen Flecken auf seinem Kleide“ (John Henry Mackay, Nachdruck 1980).

Oft wird argumentiert, eine Gesellschaft darf diejenigen nicht mitversorgen, die aufgrund freien Entschlusses aus dem „Hamsterrad“ aussteigen oder von vornherein nicht darin mittreten können. Sie hätten hätten sich auch anders entscheiden können und müssen „den Anderen nicht auf der Tasche liegen“. Dagegen ist einzuwenden: Eine wahrhaft freie Gesellschaft widerspricht sich selbst, wenn sie den freien Entschluss, aus dem Trubel von Leistungserbringung und Leistungstausch auszusteigen, nicht akzeptiert. Für jene Menschen, die aus der Betriebsamkeit des Marktes freiwillig herauswollen oder sich herausschleichen, wird eine wahrhaft freie Gesellschaft nach dem Motto

„Jedem das Seine“

verfahren. Nur auf der Basis solcher Toleranz besteht eine konsequent auf Freiheit und auf dem Naturrechtsgrundsatz aufgebaute Gesellschaftlichkeit.

Unter den Leistungsunfähigen bzw. -unwilligen sind auch Individuen, die brauchen Stätten der Besinnung auf sich selbst, Stätten, in denen z. B. das uns Menschen eigentümliche Numinose ausgelebt werden kann. Sie durchleben Phasen, in denen sie in Ruhe gelassen werden wollen und auch sollen. Ihr Ruhebedürfnis kann so groß sein, dass sie sich außerstande sehen, tauschbare Güter zu erzeugen und in die Gesellschaft einzubringen.

Es gibt auch Existenzformen, die der persönlichen Aufklärung, etwa im Sinne der Kultivierung des Geistes (cultura animi - wörtlich: Beackerung der Seele) dienen, oder der Theoriegewinnung (theoria wörtlich: Überschau über das, was ist). Menschen, die Erkenntnisse hervorbringen, die nicht technikrelevant und insofern in der Leistungsgesellschaft nicht zu vermarkten sind, brauchen Räume außerhalb der Leistungsgesellschaft, in denen sie von Existenzangst unbehelligt sind. Das einfache klösterliche Leben in der Frühphase der Universitäten Oxford und Cambridge ist ein eindrückliches Beispiel für solche Rückzugsräume. Dort lebte man in relativer Armut und Abgeschiedenheit. An solchen Orten konnten sich neue Paradigmen der Natur-, Welt- und Lebenserkenntnis entwickeln. Wilhelm von Humboldt hatte richtig erkannt, dass diese Orte Stätten der Einsamkeit sein müssen, damit es wirklich Stätten der Freiheit sein können.

Nun erwachsen aus der real existierenden Armut einige handfeste Probleme:
wie bringt man die Freiheit der Armen, auf die sie ja auch ein Anrecht haben, mit der Freiheit der Armenhelfer zusammen? Welcher Ressourcenaufwand ist gerechtfertigt, um einerseits alle Nichtleistungsträger am Leben zu erhalten und andererseits die Leistungsträger nicht zu überfordern? Und nicht zuletzt:
wie beseitigt man alle Anreize, die den Entschluss zu einem willkürlichen Ausstieg aus der leistungsteiligen Tauschgesellschaft stimulieren?

Eine vernunftgerechte Lösung des anstehenden Problems ist die Einrichtung von Ruhehäusern, die sich außerhalb der Betriebsamkeit der leistungsteiligen Tauschgesellschaft befinden. Solche Ruhehäuser sind Aufenthalts- und Wohnstätten, in denen die Existenz der Nichtleistungsträger gesichert ist. Dort können sie sorglos überleben. Die Ruhestätten gewähren alles Nötige zum Überleben und zur persönlichen Weiterentwicklung.

Die Freie Gesellschaft hat das Leben und die Aufenthaltsorte der Nichtleistungsträger zwar auskömmlich, aber frugal ausgestattet. Sie sind großzügig mit Fortbildungsmöglichkeiten und entsprechendem Material versehen. Jedem ist ermöglicht, sich zu vervollkommnen, vielleicht deshalb, um sich später einmal in die Leistungsgesellschaft eingliedern zu können, vielleicht aber auch deshalb, um eine Bewusstseinserweiterung bei sich zu bewirken.

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken: Menschen, die sich in sozialen Ruhezonen befinden, treten nicht als Güteranbieter am Markt auf. Ihre Leistungsabstinenz befähigt nicht dazu. Dass man ihnen Tauschgut, z. B. Geld, ausreicht, damit sie sich dennoch am Markt beteiligen können, widerspricht ihrer Situation. Die besteht ja gerade darin, dass sie nicht „mit dabei“ sind. Sie leben gewollt oder ungewollt jenseits der Tausch- und Leistungsgesellschaft. Dazu im Widerspruch steht, dass sie über Tauschgüter verfügen - gleich welcher Art. Die benötigen sie aber auch nicht. In ihren Ruhehäusern haben sie alles, was sie zum Überleben und zur Weiterentwicklung brauchen. Verfügen sie hingegen über Tauschgut, z. B. über Geld, dann brauchen sie fremdfinanzierte Ruhehäuser nicht.

Die in Deutschland vehement geführte Diskussion über das sog. „bedingungslose Grundeinkommen“ geht am Kern der Sache vorbei. Hier wird der soeben aufgezeigte Sachverhalt völlig außer Acht gelassen. Wenn es geheißen hätte „bedingungslose Armenhilfe“, hätte man dem Begriff „bedingungslos“ einen vernünftigen Sinn abgewinnen können (s. o.). Die Vorstellung vom „bedingunglosen Grundeinkommen“ im Sinne der Zurverfügungstellung eines bestimmten Geldbetrags steht in einem kompletten Widerspruch zur Situation derjenigen, die sich außerhalb der leistungsteiligen Tauschgesellschaft befinden.

Ist das Problem der sachgerechen Versorgung der Nichtleistungsträger vernunftgerecht gelöst, muss und kann sich eine freie Gesellschaft erlauben, jedes ihrer Mitglieder nach eigener façon selig werden zu lassen, auch den Grübler, auch den Sinnsuchenden, auch den Bummelanten, auch den Faulenzer. Als eine wahrhaft freie Gesellschaft wird sie die Passivität solcher Individuen dulden müssen, so lange die nicht in eine marktgerechte Aktivität von selbst hineinfinden. Die Idee der Freiheit lässt eine andere Denkbarkeit nicht zu. So gehört die Armut von Menschen als anerkannter und unerlässlicher Bestandteil in eine freie Gesellschaft.


Bei der Armenhilfe kommt etwas ins Spiel, das von Alters her Karitas heißt.. Mit dem Wort „Karitas“ verbinden wir die Vorstellung, eine bestimmte Leistung nicht wegen eines Leistungstauschs zu erbringen, sondern auch ohne Tauschabsicht etwas zu leisten. Lebensnotwendiges wird hier nicht erzeugt und ertauscht. Es wird verschenkt. Die karitativ Versorgten leben von Geschenken.

Eine Hergabe von Gütern nennen wir dann karitativ, wenn vom Empfänger kein vollständiges oder überhaupt kein Äquivalent als Gegenleistung erwartet und verlangt wird, so wie bei einem Geschenk. Sie ist, wie jedes Schenken, bedingungsloses Geben. Sie unterscheidet sich vom gewöhnlichen Schenken dadurch, dass sie aus purer Barmherzigkeit erfolgt.

In dem Wort „Barmherzigkeit“ steckt zweierlei, zum einen das Erbarmen, d. h. die Besorgung und Bekümmerung um das Erbärmliche (Hunger, Obdach- und Hilflosigkeit), zum anderen die Herzlichkeit, d. h. etwas von ganzem Herzen, spontan und also freiwillig tun. Wenn jemand frei und ohne Rücksicht um sein eigenes künftiges Wohl und Wehe Eigenes abgibt, dann bewegt uns das. Denn das bewirkt ein Verkleinern seines Ich. So etwas rührt uns, weil der Strom des Lebens normalerweise in die andere Richtung fließt: Behauptung und Vergrößerung des Ich, Bewahrung, Absicherung, Entfaltung, Wachstum des dem Ich Eigenen.

Die karitative Neigung eines Menschen gestattet Anderen die Teilhabe an seinem Eigentum. Diese Neigung, die außer dem Wohlgefallen an der Kreatur keinen weiteren Beweggrund hat, wird stets zu den edelsten und erhabensten Regungen des Menschengeschlechts gezählt werden müssen.
Um die karitative Neigung nicht misszuverstehen, sind einige weitergehende Überlegungen hilfreich. Denn über das Karitative weiß man offensichtlich zu wenig.

Einen der Hauptgründe für das Wissensdefizit in Bezug auf das Karitative sehe ich in dessen Vermengung mit dem Solidarischen. Eine Solidargemeinschaft ist geschaffen, um die Risiken des Lebens zu mindern: bei Verlust der Gesundheit oder des Hausrats, bei Vermögensverlust aufgrund von Haftungspflichten usw. Wechselfälle des Lebens können Hilflosigkeit und Armut bewirken. Gegen die kann man sich durch Beitritt in Solidargemeinschaften, z. B. bei Assekuranzen, absichern. Die durch Solidarität Begünstigten sind aber auch die Zahlmeister eines solchen Instituts! Eine Solidareinrichtung ist die Schöpfung einer Gemeinschaft, deren Mitglieder sie nicht nur nutzen, sondern auch wirtschaftlich tragen. Sie basiert auf Tauschbasis - auf dem Tausch Geld gegen Schutz, Geld gegen Sicherheit usw. Bei einer karitativen Einrichtung fehlt das Merkmal solcher Gegenseitigkeit.

Der Denkfehler bei der Ansicht, dass die Karitas eine Solidareinrichtung zu sein hätte, besteht darin, dass die Hilfsbedürftigen, um die es bei der Karitas geht, schon von vorneherein nicht in der Lage sind, eine finanzielle Leistung zum Unterhalt einer solchen Einrichtung zu erbringen, etwa in Form eines Versicherungsbeitrags. Bei der Karitas wird ein Aufwand betrieben, werden Leistungen für Menschen erbracht, ohne dass dabei eine Gegenleistung erfolgt bzw. eine vertraglich vereinbarte Pflicht zu einer Gegenleistung besteht. Zahlmeister und Begünstigte sind zwei voneinander getrennte Menschengruppen. Also entfällt das Merkmal der Gegenseitigkeit, welches das Solidarwesen kennzeichnet. Solidarität muss hier um den Preis der Konfiskation von Eigentum erkauft werden. Der karitative Bereich ist ein Bereich ganz außerhalb des Solidarischen.

Eine weitere Verwässerung, ja geradezu Verballhornung des Karitativen erwächst aus dessen Verkoppelung mit der Menschenwürde. Ein regelrechtes Hindernis in dem Bestreben, möglichst vielen Hungernden und Frierenden zu helfen, stellt die ideologisch bedingte Verblendung dar, dass die materielle Versorgung eines Jeden „menschenwürdig“ zu sein habe. Bei einigen Proklamatoren der Armenhilfe liegt offensichtlich eine etwas unausgegorene Vorstellung von „Menschenwürde“ zugrunde. Das Denken muss regelrechte Verrenkungen machen, um mancher Argumentation in Sachen „Menschenwürde“ noch folgen zu können.

Der Begriff Menschenwürde ist heute zu einem Begriffsmollusk geworden.

„Was genau die Menschenwürde-Idee ausmacht, ist strittig…Der Würdebegriff brauchte [bisher] nicht weiter erörtert zu werden, weil dessen moralischer Stellenwert als unumstritten angesehen wurde. Ja, er durfte nicht einmal diskutiert werden, weil ihm etwas beinahe Heiliges anhaftete, von dem man fürchtete, dass es sich in terminologischen Erörterungen verflüchtigen würde“ (Arnd Pollmann, 2011).

Die Berufung auf die „Menschenwürde“ bewirkt unter anderem, dass Kraftfahrzeuge und aufwendige Kommunikationsgeräte bei vielen „Bedürftigen“ zu finden sind, wo andere nicht einmal das Nötigste gegen Hunger und Kälte haben.

Bei der Knappheit der Ressourcen auf dieser Erde muss man bei allzu großzügiger Auslegung der „Menschenwürde“ Bedürftige abweisen, denen man durchaus noch Hilfe zukommen lassen könnte. Die sprichwörtliche Schweizer „Luxuskaritas“ etwa steht in einem krassen Widerspruch zur Idee der Karitas im Sinne einer Obdach, Kleidung und Nahrung bereitstellenden Hilfe für möglichst viele Arme.

Um die „Menschenwürde“ für die Armenhilfe zu missbrauchen, muss man sie materialistisch interpretieren. Dann kann aber nicht vermieden werden, dass die Bewohner einer reichen Nation als menschenwürdiger gelten als die anderen. Über kurz oder lang werden alle bedürftigen Erdenbewohner dorthin streben, wo es „menschenwürdig“ zugeht, wo also starke Anreize vorhanden sind, bedürftig zu bleiben (Erich Weede, 2003). -

Jene, die das, was sie „Menschenwürde“ nennen, am materiellen Besitz festmachen wollen, haben uns Einiges zu erklären.

Die Barmherzigkeit ist eine Emotion und damit ein ganz anderes Movens hin zur Armenhilfe als die „Menschenwürde“, die man heutzutage dafür beansprucht. Armenhilfe ist Armenhilfe und Menschenwürde ist Menschenwürde. Es zeugt nicht gerade von der intelligentesten Denkungsart, beide Begriffe miteinander zu verkoppeln. Der Begriff „Menschenwürde“ wurde in der Aufklärungsperiode für einen bestimmten ausgezeichneten Sachverhalt eingeführt, wie man bei Immanuel Kant nachlesen kann. Dass man ihn heute bei allen möglichen Gelegenheiten ins Spiel bringt, zeigt, wie gnadenlos schlicht die Konfrontation mit der abendländischen Bildungstradition manchen unserer Zeitgenossen zurückgelassen hat.


Viele meinen - von ihrem eigenen Verhalten auf das Verhalten anderer schließend, es gäbe keine wirkungsvollen karitativen Aktivitäten, wenn Politik und Staat sich ihrer nicht annähmen. Der Staat müsse

„Politik für die Armen“ (Gustav Heinemann)

betreiben. - Dazu ist zunächst einmal festzuhalten: Politik in der Freien Gesellschaft hat mit den Gefahren der Ökonomie und deren Rechtsgestalt zu tun (s. #freie-gesellschaft). Insofern hat sie überhaupt keine Berührungspunkte mit Bereichen außerhalb der leistungsteiligen Tauschgesellschaft.

Es ist ein verhängnisvolles Fehlurteil, eine entwickelte Gesellschaft, die in Form einer Leistungsgesellschaft und einer Rechtsgemeinschaft besteht, müsse durch „Sozialpolitik“ komplettiert oder gar korrigiert werden. „Sozialpolitik“ ist vielleicht gut gemeint. Aber das Gutgemeinte ist nicht immer das Gute.

Ludwig Erhard beispielsweise, der stets in Richtung freier Gesellschaftlichkeit gedacht und gewirkt, dabei aber die Not der Hilfsbedürftigen nie aus den Augen verloren hat, war zurecht der Überzeugung, dass die Gesellschaft -

auch in Gestalt einer strikten Leistungsgesellschaft - an sich selbst schon „sozial“ sei und nicht nebenher noch einer „sozialen Ergänzung“ bedürfe. Durch ihre wirtschaftliche Effizienz vergrößere sie den Kuchen für alle - auch für die Ärmsten der Armen. Sie ist die wirksamste „soziale Einrichtung“, die die Menschheit je hervorgebracht hat. (Ludwig Erhard, 2009; s. auch Robert Nef, 1995, Gerhard Schwarz, 1995 und Hans-Hermann Hoppe, 2004).

Es kann aus der Tatsache, dass bei einer Politik die karitativen Aspekte des Zusammenlebens ausgesperrt und somit der Privatinitiative überlassen werden, nicht geschlossen werden, dass es den Armen in der Freien Gesellschaft schlechter geht als im „Sozialstaat“.

Die Individuen der Freien Gesellschaft werten es als ungeheuerliche Bevormundung, nicht selbst darüber entscheiden zu dürfen, wo und wie sie ihr Eigentum einsetzen, es beispielsweise als Hilfeleistung ohne Gegenleistung an andere abgeben. Im „Sozialstaat“ sind sie diesbezüglich einem massiven Zwang ausgesetzt. Der „Sozialstaat“ ist in Sachen Karitas ein Zwangskollektiv. Ein Zwangskollektiv kommt nicht ohne Nötigung aus.

Ein zur Freien Gesellschaft passendes Politsystem ist nur dann in sich konsistent, wenn es jegliche Art von Nötigung als irrationales Verhaltensmuster aus sich verbannt - auch zugunsten einer sich frei entwickelnden karitativen Gesinnung. Wenn heute irgendwelche Leute (z. B. Staatsfunktionäre) meinen, der Wille zur freiwilligen Karitas sei zu klein, nun denn, sie mögen sofort ihre persönlichen Maßnahmen dagegen ergreifen! Aber sie sollten dabei den Fremdzwang, der immer und überall in Nötigung ausartet, aus dem Spiel lassen.

Die Freie Gesellschaft erachtet es als überflüssig, Zwangskollektive in gesellschaftlichen Bereichen zu haben, in denen sich der Bedarf - wie heute schon an vielen Beispielen ablesbar - durch freiwillige Privat- und Gruppeninitiative decken lässt. Der Staat als wohlsorgender „Vater“ unterstellt, was die Hilfswilligkeit seiner Bürger angeht, allgemein verbreiteten Geiz und die prinzipielle Unfähigkeit, ein „soziales Gewissen“ zu entwickeln. Aus solcher Unterstellung spricht dreiste Menschenverachtung.

Von weitsichtigen Gesellschaftstheoretikern ist schon seit Jahrzehnten betont worden, dass ein offiziell und bewusst auf Eigennutz gerichtetes Gemeinschaftsleben eine wahrhaft lebendige und wirkungsvolle Karitas eher aufblühen lässt als jede vom Staat organisierte Zwangsveranstaltung.

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts schreibt Silvio Gesell über die natürlichen Auswirkungen einer auf Eigennutz ausgerichteten Ökonomie:

„Sie (die Wirtschaft) liefert dem Menschen nicht nur die Gelegenheit zu uneigennützigen Taten, sondern auch die Mittel dazu. Sie stärkt diese Triebe durch die Möglichkeit, sie zu üben. Hingegen in einer Wirtschaft...wo der Staat jede persönliche Hilfsleistung überflüssig macht, da müssen, scheint mir, zarte und wertvolle Triebe verkümmern...Irgendwo in einem Märchen heißt es, dass die größte Strafe, die dem Menschen auferlegt werden kann, die ist, ihn in eine Gesellschaft von Hilfsbedürftigen zu bringen, die die Hände nach ihm ringen, und denen er nicht helfen kann. In diese schreckliche Lage bringen wir uns aber gegenseitig, wenn wir die Wirtschaft anders als auf dem Eigennutz aufbauen, wenn nicht jeder über den Arbeitsertrag nach freiem Ermessen verfügen kann. Hierbei wollen wir zur Beruhigung der menschenfreundlichen Leser nur noch daran erinnern, dass Gemeinsinn und Opferfreudigkeit dort am besten gedeihen, wo mit Erfolg gearbeitet wird. Opferfreudigkeit ist eine Nebenerscheinung persönlichen Kraft- und Sicherheitsgefühls, das dort aufkommt, wo der Mensch auf seine Arme bauen kann. Auch sei hier noch bemerkt, dass Eigennutz nicht mit Selbstsucht verwechselt werden darf“ (Nachdruck 1984).

Die Zwangskaritas fördert nicht, sie untergräbt nachweislich das Barmherzigkeitsgefühl des Menschen, das ganz natürliche Mitleid und das Gefühl der Mitverantwortung. Bei den Staatsbürgern setzt sich angesichts der Armut mehr und mehr ein Verhalten durch, das dem Motto frönt: warum sich um den Nachbarn kümmern, wenn es das Sozialamt gibt?

Die staatliche Zwangskaritas hat in Bezug auf die Entwicklung der karitativen Freigiebigkeit einen eher negativen Effekt. Der Mensch verlernt, sich für die Schwachen individuell verantwortlich zu fühlen. Bei Vielen verkümmern das natürliche Gefühl der Barmherzigkeit und damit die Bereitschaft zur freiwilligen Armenhilfe. Selbst vor der eigenen Türe erscheint die Armut mittlerweile als Sache des Staates:

„Warum tut hier nicht endlich der Staat etwas, damit die Leute vor meinem Hause verschwinden?“

Einschlägige Untersuchungsergebnisse liegen über den ehemals „sozialsten“ Staat der Erde vor, nämlich über Schweden. Infolge der Aktivitäten von Per Albin Hansson und Olaf Palme wurde die schwedische Gesellschaft zu einer monströsen Karitasstation, in die die Bürger mittels Zwang hineingepfercht wurden. Die Folge: Bei über 50% der Schweden sind so etwas wie „soziales Interesse“ oder „soziale Verantwortung“ nicht vorhanden. Damit hält Schweden einen denkwürdigen Rekord.

„Es ist merklich kühler geworden in ‚Volksheim’, jener vom sozialdemokratischen Urvater Per Albin Hansson bereits 1928 entworfenen Utopie einer warmherzigen, fürsorglichen und toleranten Gesellschaft“, schreibt der SPIEGEL (26/1991).

Zum Vergleich:

Bei den „rabiaten Tigerstaaten“ Asiens, in denen noch „die rohen Praktiken des Frühkapitalismus vorherrschen“, ist das soziale Gewissen wesentlich stärker ausgeprägt (Robert Nef, 1996).

Ein „soziales Netz“ kann auch zum Totengräber mitmenschlicher Empathie werden.

Die Freie Gesellschaft verzichtet auf eine Verwandlung ihrer selbst zur öffentlich-rechtlichen Karitasstation mit zweifelhafter Effizienz und schillernder Dubiosität. Hier gibt es keine andere schlüssige Lösung als den konsequenten Verzicht auf Politik. Die karitative Hilfsbereitschaft war und ist stets eine persönliche Herzensangelegenheit. Sie entsprang seit eh und je dem Mitgefühl für menschliches Leid.

In einer freien Gesellschaft gibt es keine andere Lösung des Armutsproblems als den konsequenten Verzicht auf Politik im karitativen Bereich. Um ein „soziales Gewissen“ müssen sich die Fürsprecher der Bedürftigen nicht besorgen. Das entdeckt jeder bei sich selbst, wenn man ihn nur lässt! Man muss ihn wirklich frei leben, und das heißt auch: die Nöte menschlicher Lebensverhältnisse am eigenen Leib erfahren lassen.

Die Barmherzigkeit, diese prinzipiell Jedem mitgegebene Herzensgüte, muss erst wieder von den Geröllmassen staatlichen Aktionismus befreit werden, damit sie ungehindert wachsen kann. Sie muss wieder soweit aus der Verschüttung gegraben werden, bis ein kräftiger Quell hilfsbereiter Taten zu sprudeln beginnt. Schon heute gibt es Privatleute, die für die Armenhilfe freiwillig mehr Geld ausgeben, als Politiker selbst hochentwickelter Industrienationen es jemals getan haben. Ich verweise auf die zig Milliardenbeträge, die reiche Amerikaner für die Armen der Welt jährlich zur Verfügung stellen.

Ich verweise auch auf die deutsche „Tafel“-Bewegung. In nur 20 Jahren hat sie sich zu einer Hilfsorganisation mit fast Tausend Anlaufstellen entwickelt, die 1,5 Millionen arme Menschen mit Lebensmitteln versorgen. Die Tafelbewegung ist ein vortreffliches Beispiel dafür, wie sich engagierte Karitas auf Freiwilligenbasis entwickelt.

Eine freie Gesellschaft bildet sicher noch effektivere karitative Einrichtungen aus. Welchen Aufwand sie dabei zu treiben gedenkt, hängt von den Ressourcen ab, die ihre Mitglieder bereit sind, dafür zu opfern. Wenn in einer entwickelten freien Gesellschaft nur eines ihrer Mitglieder verhungert oder erfriert, dann ist das hochgradig beschämend für diejenigen, die so viele Mittel zur Verfügung haben, dass sie die für Nichtigkeiten verschwenden können.

Das Wohltätigkeitswesen in der Freien Gesellschaft ist die durch Einzelne getragene freiwillige Karitas.

Karitative Aktivitäten dürfen niemals eine juristische, sondern immer nur eine moralische und damit freiwillige Angelegenheit sein (Wladimir Bukowski, 1983).

Und wenn gutbetuchte Mitglieder der Gesellschaft nicht genügend karitative Ressourcen freiwillig bereitstellen wollen, dann ist das eben so.

Die Freie Gesellschaft erscheint fürs erste, weil keine „öffentliche Verantwortung“ sie zu irgend etwas zwingt, um einiges strenger als die heutige Gesellschaft. Sie stellt bei der Armenhilfe höhere Ansprüche sowohl an die Wohltäter als auch an die Bedürftigen. Den ersten fordert sie ab, aus ihrer Verhaltenheit herauszutreten. Die zweiten spornt sie an, sich nicht zu sehr gehen und hängen zu lassen. Der Staat hingegen muss gegen beide Gruppen die Peitsche schwingen: gegen die, die das Monsterwesen „Soziales“ finanzieren müssen und gegen die, die unverblümt durchblicken lassen, dass sie keine Lust haben, im großen Hamsterrad mitzutreten.

Mit der Einrichtung besagter Ruhestätten (s. o.) in freier karitativer Trägerschaft kann die Freie Gesellschaft beiden Menschengruppen gerecht werden und sich Zwangsmaßnahmen ersparen.

Euer Zeitgedanken

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Man muss sich nur die Blütezeit im Mittelalter anschauen.
Da war es ihn vielen Städten üblich, dass reiche Familien das Erdgeschoss armen Familien kostenlos zur Verfügung stellen.
In dem Buch - Das Geld in der Geschichte - wird beschrieben, wie in einer deutschen Stadt (hab vergessen welche) die Bettler sogar einen Brunnen gestiftet haben. In meiner Stadt (Landshut) wurde das Essen vom Fürsten und seinem Hofstaat, welches übrig blieb den Bettlern gegeben. Es muss so reichlich gewesen sein, dass viele sich als Bettler ausgegeben haben.
Es war auch üblich, dass der Meister seine Gesellen und deren Familien komplett mit Lebensmitteln versorgt (sehr reichlich, Unmengen Fleisch).
usw., usw.
Es gibt genug Beispiele aus der Geschichte.
Wenn einem natürlich schon vorher 2/3 seines verdienten Geldes abgenommen wird, dann bleibt nicht mehr viel für Barmherzigkeit.

Alles richtig gemacht, weiter viel Erfolg...

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