Editorial Ausgabe 81
Liebe Leser, lassen Sie uns zur Abwechslung nicht über die Drehtürpolitik Trumps, unkontrollierte Zuwanderung und Dieselskandal reden, sondern von wirklich grundlegenden Dingen. Fakt ist doch, dass wir gerade Zeuge eines gigantischen seismografischen Ereignisses sind – eines Bebens im menschlichen Kollektivbewusstsein, das sich durch alle Schichten der Gesellschaft zieht. Die oben genannten Themen sind da doch nur kleinere tektonische Risse, Ausläufer einer größeren Verwerfungslinie. Auf der stehen unsere traditionellen Institutionen – Kirche, Staat, Wissenschaft –, und sie zittern in ihren Grundfesten.
Was sich hier vor unseren Augen abspielt, ist eine der großen Vertrauens- und Glaubenskrisen, von denen die Welt schon einige gesehen hat, bevor sie ihr Antlitz drastisch veränderte.
Bei diesem Umwälzungsprozess betrachte ich unser kleines Magazin wie einen Oszillator, einen notorischen Quälgeist, der wie viele andere kontinuierlich an der Kruste des herkömmlichen Weltbilds pickert. Und es ist nicht unschuldig daran, dass ich mich nach Jahrzehnten des Infragestellens und ständiger Erschütterungen daran gewöhnt habe, keinen festen Boden mehr unter den Füßen zu haben.
Ich meine, wo soll ich auch stehen? Ich weiß inzwischen, dass der katholische Glaube, in den ich hineinerzogen wurde, nur ein Flickenteppich ist, zusammengeschustert aus altägyptischen und babylonischen Religionen – und dass die Bibel eher eine uralte Grimmsche Märchensammlung ist als Historie, zeigt ja unser Artikel zur Josefsgeschichte exemplarisch. Ich weiß, dass hinter der offiziellen Politik schattenhafte Plutokraten die Fäden ziehen, die uns ihren Zukunftsplan aus Paneuropa, Kryptogeld und Weltregierung überhelfen – so mächtig und so weit von meinem mickrigen Einfluss entfernt, dass ich nur perplex zuschauen kann. Ob die Chinesen wirklich auf globale Kooperation aus sind, wie unser Artikel über die Neue Seidenstraße vermuten lässt, oder sich hier nur die nächste Weltmacht mit den üblichen Lippenbekenntnissen ihren Weg bahnt, ja, ob das nicht alles Teil des Plans der Globalisten ist – who knows? Ich weiß, dass die Naturwissenschaft nur eine messbare Karte der Welt entworfen hat, die das Subjekt, den Beobachter, das Bewusstsein außer Acht lässt – und damit unvollständig sein muss.
Das ist überhaupt die Frage, an der ich knabbere, seit ich zum ersten Mal Schrödingers Katze gestreichelt habe. Wheelers Quantenradierer, von dem Sie in unserem Artikel von Robert Solomon lesen werden, und der Auszug aus dem neuen Buch des ungarischen Bewusstseinsforschers und Philosophen Ervin László sind nur weitere Indizien für eine profunde Wahrheit: Das Bewusstsein ist intrinsisch mit der messbaren Welt verwoben, und es existiert allem Anschein nach ohne materielle Grundlage.
Lászlós Buchtitel bringt meine Grundfrage auf den Punkt: Was ist Realität? Vor gut einem Jahr habe ich mich auf der Suche nach Antworten tatsächlich allwöchentlich morgens aus dem Bett gequält, um eine Uni-Vorlesung über die „Struktur der Materie“ zu besuchen. Zwischen Avogadro-Konstante, Boltzmann-Verteilung und Coulomb-Kraft ist mir vor allem eins klar geworden: Die Wissenschaft kann die Beziehungen zwischen Phänomenen, denen sie einen Namen gegeben hat, berechnen, aber was die Wirklichkeit, was Materie ist – diese Frage kann sie nicht beantworten. Das, was wir Elektronen und Atome nennen, sind im Grunde nur Wellenpakete mit Aufenthaltswahrscheinlichkeiten, und ich habe immer noch daran zu kauen, dieses Faktum in die handfeste Realität zu übersetzen, die ich tagtäglich zu erleben meine.
Aber was genau hat das Bewusstsein damit zu tun? Ganz einfach: alles. Es ist der alleinige Grund, dass Fragen wie diese gestellt werden, dass die Schwingungssuppe, die wir Welt nennen, überhaupt beobachtet und beschrieben wird, dass es so etwas wie Wissenschaft und Weltbilder gibt. Und dieses Bewusstsein ist formbar wie Wachs.
Kehren wir noch einmal zum Bild des Bebens zurück. Ich meine ja, dass das, was hier einige als „Aufwachen“ bezeichnen, im Grunde die Erkenntnis ist, dass sich unter der Kruste aus oktroyierten Weltbildern ein glühender flüssiger Kern bewegt. Die Lava, die aus den Rissen quillt, ist nichts anderes als unsere Erkenntnis- und Gestaltungsfähigkeit. Und die dunklen Plutokraten, denen man dank Unmengen von Aufklärungskanälen im Internet inzwischen live bei ihrer Weltgestaltung zusehen kann, haben das längst erkannt und unsere Welt und das Bild, das wir von ihr haben, nach ihrem Willen geformt.
Für mich ist diese zentrale Erkenntnis wirklich unbequem, denn sie hat eine Frage im Gepäck, die ich mir stelle, seit ich mich durch Nietzsches Werk gewühlt habe. Wenn wir uns von allem frei gemacht haben und wieder am Urgrund der Weltschöpfung sind, lautet die nämlich: frei wozu? Es ist jene Frage, an der schon die Occupy-Bewegung gescheitert ist, und der sich auch die Gelbwesten und sämtliche Kritiker des Establishments stellen müssen: Welche Welt wollen wir eigentlich schaffen, wenn wir sie uns nicht schaffen lassen wollen?
Herzlich
Ihr Daniel Wagner
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