Die Türkei vor den Kommunalwahlen
Am 31. März finden in der Türkei die nächsten Wahlen statt, die letzten für die nächsten Jahre. Sie könnten zu einer weiteren Ohrfeige für Erdogans AKP werden, denn die Probleme des Landes verschärften sich und die Koaltion aus AKP und MHP reagiert zunehmend hilflos.
Die Parlamentswahl im vergangenen Juni gewann er zwar, dennoch wurde er vom Wähler abgestraft indem seine Partei fast sieben Prozent verlor und ihr nun erstmals seit ihrem Aufstieg die absolute Mehrheit abhandenkam. Lokal fielen die Ergebnisse bisweilen heftig aus, da die AKP in einigen Hochburgen ein Minus im zweistelligen Bereich einfuhr. In den zentralanatolischen Provinzen Küthaya und Konya zum Beispiel, verlor sie 12,5% beziehungsweise 14,5% (freilich allerdings von einem sehr hohen Niveau aus). In Yozgat, einer Provinz, aus der viele österreichische Türken stammen, verlor die AKP 11,2%. Und auch ihr Partner, die MHP, hatte ein kleines Minus (0,8%) zu verzeichnen.
Die Opposition konnte davon allerdings nur bedingt davon profitieren. Die CHP verzeichnete ebenso ein Minus, sie verlor 2,7%, gewann jedoch, aufgrund des Mehrheitswahlrechts, ein paar Sitze im Parlament hinzu. Einen Erfolg fuhr jedoch die IYI-Partei von Meral Aksener ein, die sich im Herbst 2017 unter ihrer Führung von der MHP abgespalten hatte und auf Anhieb die hohe 10%-Klausel meisterte. Auch die HDP konnte leichte Zugewinne verbuchen.
Jetzt, im Frühjahr 2019, scheint sich der Abwärtstrend Erdogans fortzusetzen. Die Ursache ist freilich nicht monokausal, es sind im wesentlichen zwei große Probleme, die sich noch dazu gegenseitig verstärken.
Zum einen wären hier die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu nennen. Die Lebensmittelpreise zum Beispiel sind in im vergangenen Jahr stark gestiegen und diese Tendenz ließ sich, trotz immer verzweifelnder anmutenden Maßnahmen seitens der Regierung, nicht stoppen. Diese reagiert auf die Entwicklung immer grotesker: In den letzten Wochen und Monaten wurden wiederholt Lebensmittelvorräte der Händler von Polizeieinheiten beschlagnahmt, Erdogan wetterte bei einem Treffen mit Geschäftsleuten Ende Jänner über Lebensmittelgeschäfte, die „seine Leute ausbeuten“ und sprach sogar von „Verrat an der Nation“. Als Reaktion begannen türkische Supermärkte, besonders teure Gemüsesorten, wie Auberginen zum Beispiel, aus den Regalen zu nehmen und nur noch in Vierteln der Oberschicht zu verkaufen. Doch nicht nur Auberginen sind betroffen: Auch die Preise für Paradeiser und Paprika haben sich seit dem letzten Jahr verdoppelt, berichtet die kemalistische Zeitung „Sözcü“. Nun plant die Regierung sogar, die Produkte direkt von den Produzenten zu kaufen und sie zum Einkaufspreis an die Bevölkerung zu verkaufen. Man versucht mit interventionistisch-sozialistischen Methoden gegenzusteuern, die freilich im Sand verlaufen werden, wenn sie die Probleme nicht sogar verschärfen.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten wittert die Opposition Morgenluft. In einigen (größeren) Städte und Provinzen formiert sich, wie schon bei der Wahl im Juni, wieder die „Allianz für die Nation“ , bestehend im wesentlichen aus CHP und IYI-Partei. Die Partei Akseners wird in den größeren Städten die Kemalisten unterstützen. Yilmaz Akbay, Generalsekräter der CHP in der Hafenstadt Iskenderun, meint dazu im Gespräch mit „Libanios“: „Wir rechnen mit Überraschungen in Städten wie Antalya, Balikesir oder Bursa. Die AKP wird dort ziemlich sicher Verluste einfahren, denn gerade dort sind die Menschen um ihr Auskommen besorgt. Möglicherweise schaffen wir sogar Istanbul und Ankara.“ Um Verluste gering zu halten, verzichtet auch die MHP in einigen Städten auf eigene Kandidaten und unterstützt die AKP.
Das andere heiße Thema ist jenes, das Erdogan jetzt massiv auf den Kopf fallen dürfte: Die syrischen Flüchtlinge. Je mehr sich die wirtschaftliche Lage verschlechtert, desto heftiger wird der Konkurrenzkampf in der Unterschicht, die wiederum die Wählerbasis Erdogans darstellt, werden. Viele Syrer gehören selbst den schlecht gebildeten unteren Schichten an und konkurrieren dadurch mit den Einheimischen um Arbeitsplätze und Wohnraum, welche wiederum mit ihren Steuern die Syrer (mit)finanzieren. Rund 30 Milliarden Dollar soll der Staat laut offizielen Angaben zur Versorgung der Flüchtlinge ausgegeben haben. Viele Türken fühlen sich deshalb vom Staat vernachläßigt, da durch die Wirtschaftskrise die Situation auch für sie immer schwieriger wird und die Syrer aus ihrer Sicht bevorzugt werden. Akbay schlägt in dieselbe Kerbe: „Sie haben mehr Rechte als die Einheimischen und bekommen von uns gute Sozialleistungen“. Unter manchen Türken heißt es sogar, die Syrer würden keine Steuern bezahlen, wenn sie Geschäfte betreiben.
Und der Unmut über die Syrer wächst nicht nur in der einfachen Bevölkerung: Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2018 sagten 80% aller Befragten, daß die Flüchtlinge „kulturell fremdartig“ seien. Anfang des Jahres ließ ein weiteres Ereignis die Gemüter hochkochen: Aus der Neujahrsnacht wurde ein Video in den sozialen Netzwerken veröffentlicht, daß feierende Syrer in Istanbul zeigte, die dabei die Fahne der syrischen Opposition schwenkten. Viele Türken empörten sich nun darüber, daß ihre Soldaten in Syrien kämpfen um die Heimat der Syrer zu befreien, während diese in der Türkei fröhlich feiern.
Alles deutet zumindest auf weitere Verluste der AKP hin, für die Erdogan im wesentlichen selbst verantwortlich ist, da er sich bei einigen Themen offenbar verspekuliert hat. Die Kommunalwahlen am 31. März könnten zu einer Zäsur werden.
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