Zeigt her eure Klauen

Die Lämmchen - oh, Entschuldigung, das sind mittlerweile halbstarke Rocker - lässt es kalt: Ihre Mütter müssen zur Pediküre.
Diese nennt sich bei meinen wolligen Lieblingen Klauenpflege, und muss mindestens alle drei Monate - besser alle sechs Wochen - erledigt werden. Der Tierliebe, der Schafgesundheit zum Wohle, durfte ich wieder an einem ganzen 'Nahkampftag' teilhaben.

Klauenpflege

Die Schafklaue

Schafe sind Paarhufer, ihre Mittelfuß- und Mittelhandknochen sind sozusagen zu zwei Zehen zusammengewachsen, deren Haut durch eine feste Hornkapsel geschützt wird. Die Bezeichnung „Paarhufer“ ist etwas irreführend, denn der Ausdruck "Huf" für das Endglied der Extremitäten ist in der Anatomie den Pferden vorbehalten. Im Falle von Schafen, Ziegen, Schweinen, Kamelen etc. spricht man von Klauen.

Das Horn wächst - wie unsere Fingernägel - ununterbrochen. Das vermutlich vom Mufflon - also einem sich im Gebirge und auf festen, trockenen Böden bewegenden Tier - abstammende Schaf, kann bei Stall- und Weidehaltung sein Horn nicht auf natürliche Weise abnutzen. Unweigerlich biegt sich die äußere Hornwand des sogenannten Hornschuhs beim Wachsen über die Ballen des Tieres. Das ist zum einen aufgrund des Drucks (auf verhältnismäßig sehr geringer Fläche wird das gesamte Gewicht des Schafes getragen) schmerzhaft, zum anderen verschmutzt der entstehende Hohlraum und bietet somit einen ausgezeichneten Nährboden für Bakterien und andere Keime. Hast du erstmal die gefürchtete, hochansteckende (z.B. über kontaminierten Boden) Moderhinke bzw. Klauenfäule in der Herde, hast du ein Problem! Die Ballen faulen, der ungeschützte, empfindliche Klauenzwischenspalt entzündet sich, die Schafe humpeln oder bewegen sich auf den Knien fort. Zieht so eine unbehandelte Entzündung weiter das Bein hoch, hilft nur noch eine Notschlachtung, um den Tieren die Hölle auf Klauen zu ersparen.
Der gute Schafhalter kontrolliert also regelmäßig prophylaktisch die Klauen seiner ihm anvertrauten Geschöpfe und greift zu sehr scharfem Werkzeug, um die Tragwände des Horns bis zum Ballenrand abzuschneiden.

Während der Arbeit konnte ich keine Fotos schießen, bei Interesse findet man den Vorgang aber sehr gut illustriert auf der Website "Das Ostfriesische Milchschaf".

Gib Pfötchen!

Sehr zahme Schafe sollen tatsächlich bereitwillig ihre Klaue hoch halten und behandeln lassen. Das deutlich intelligentere Tier, als sein Ruf uns vorgaukelt, hat rasch gelernt: Das Abschneiden der toten Hornmasse tut nicht weh.
Nun, davon haben wir keine - also keine ganz zahmen Schafe. Sehr, sehr kluge Schafe selbstverständlich schon...

Man kann das Schaf - wie ein Scherer es macht - auf seinen Steiß setzen, denn dann bewegt sich das typische Beute- und Opfertier gar nicht mehr, erduldet sein "Schicksal". Dafür braucht es aber mehrere Leute: Zum Fangen, Festhalten und Arbeiten an der Klaue. Oft arbeitet "meine" Schäferin alleine, diesmal sind wir zunächst zu zweit.

Auf diesem Hof wird für die regelmäßige Klauenpflege ein Klauenpflegestand benutzt. Das Schaf wird in den Stand gelockt (sehr schwierig: das sehr lernfähige Tier weiß zwar, dass die Pediküre in der Regel schmerzfrei verläuft, aber den Boden unter vier Füßen zu verlieren, ist doof!) und mit "eisernen Gurten" festgeklemmt. Dann wird es per Hebelwirkung - dennoch mit viel Muskelkraft - in die Rückenlage rotiert. Das ist nicht sehr gemütlich, vermittelt totale Hilflosigkeit. Und so zittert manch ängstliches Schaf ganz schön, während andere die Ruhe weg haben. Zum Glück sind wir ja zu zweit und so kann ich während der etwa zehnminütigen Klauenschnitt- und Reinigungsprozedur die Schafe beruhigend am Kopf kraulen.

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Nach vollendeter Pflege aller Klauen müssen die Tiere für eine weitere Viertelstunde in einem Klauenbad stehen. Das ist Pflegemittel für die Ballen und Desinfektionslösung in einem. Manchmal gibt es halt doch einen kleinen Schnitt in die Haut, außerdem wird nun auch das letzte verbliebene Bakterium abgetötet.
Wieder müssen die Tiere - diesmal aus dem ungeliebten Klauenpflegestand hinaus - mit Futter, Engelszungen und ggf. kräftigem Schub am Hinterteil gelockt werden, denn das Klauenbad ist auch doof: Schafe mögen nicht im Wasser stehen (da könnten die Klauen ja anfangen zu faulen...), zudem verfügen sie über einen hervorragenden Geruchssinn, der für den Moment durch abscheulichen Desinfektionsmittelduft ausgeschaltet wird.

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Mein Einsatz

In erster Linie betätige ich mich auf dem benachbarten Bio-Hof als Melkerin, in jüngster Zeit zusätzlich super gern als Hebamme. An diesem Tag bin ich dann wohl Tierwirt-Helferin mit der Fachrichtung Schaf sowie der Psychosoziale Dienst.

Ich muss die Tiere in das Wartezimmer vor dem Klauenpflegestand - einen engen Einzelpferch - bringen. In dem Wissen, dass der kräftige, junge Langzeitpraktikant in den Nachmittagsstunden nach der Berufsschule freiwillig arbeiten möchte, beschränke ich mich dabei erstmal auf die "braven" Schafe, denn das Fangen der "widerspenstigen" Tiere ist (noch) schweißtreibender. Im Stall ein Schaf von der Herde zu isolieren, geht ja noch (notfalls hältst du ein Hinterbein fest). Ob der Rest meiner Methode jemals Einzug in ein Lehrbuch finden wird, bezweifle ich jedoch: Ich halte dem Schaf einen Eimer mit Futter vor die Schnauze, packe es mit der anderen Hand an seiner Wolle am Hals, steige über diesen und halte das Tier in meinem Schritt fest. Mit dem Schaf zwischen den Beinen humple ich nun - den Futtereimer stets ein paar Zentimeter vom Maul entfernt - voran. Das ist zwar keine sehr rückenfreundliche Haltung, bedarf aber auch nicht besonders viel Kraft. Nein! Kein Foto - ich arbeite... ;-)

Das Schaf in den Stand zu locken, ist nun Teamwork. Das Futter wird hin- und hergereicht, nach einem Schritt in die richtige Richtung, gibt es die heiß ersehnte Belohnung. In einer bestimmten Position muss dann diejenige, die sich gerade zentral am Hebel befindet, das Schaf einklemmen. Dann helfe ich beim Kippen (das habe ich nicht alleine geschafft - zu wenig Eigengewicht), indem ich aufpasse, dass die Beine des Tieres nirgends eingeklemmt werden. Auf halber Strecke - also in Seitenlage - fängt das ein oder andere Schaf nämlich an, zu strampeln.
Doch. Nach ein paar Tagen werden all meine blauen Flecken an den Unterarmen verschwunden sein...

Krauldienst. Schaf im Klauenbad mit einem dicken Wachsmalstift markieren (könnte ja sein, dass wir heute nicht alle etwa 50 Schafe schaffen...). Schaf auf die Weide entlassen und... "Die Nächste, bitte!"

Das wirklich Tolle an Schafen ist, dass es sehr soziale Tiere sind, die untereinander sogar Freundschaften schließen und Cliquen innerhalb ihrer Herde bilden. Bist du erstmal ihr Freund, nehmen sie dir nichts wirklich übel und sind trotz eines sehr guten Gedächtnisses (Schafe merken sich z.B. Gesichter von Menschen und Artgenossen über zwei Jahre lang) nicht nachtragend. Bei Sonnenschein und einer leckeren Portion Heu, ist die Welt umgehend wieder in Ordnung - und gehumpelt wird sowieso nicht!

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Fotos: @chriddi

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Literatur

• Berner Schafzuchtverband: Anatomie der Klaue
• Hubert, Reinhard: Funktionelle Klauenpflege bei Schafen
• OFM (Das Ostfriesische Milchschaf): Klauen schneiden
• PETA: 9 faszinierende Fakten über Schafe
• Schafplanet: Schafanatomie
• Stallbedarf24: Moderhinke beim Schaf
• Wikipedia: Hausschaf
• Wikipedia: Moderhinke

Hihi, schon spannend, was ich im Moment so alles lese... ;-)

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09.04.2022

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